box 17/1
11. Reigen
Frau und die junge Frau hat — wieder einmal —
ein téte-ä-täte mit ihrem Gatten. Dieser selbe Gati¬
soupiert mit einem süßen Mädel in einem cabiner
particulier. Und das süße Mädel hat ein Verhältnis
mit einem Dichter und dieser Dichter liebt eine Schau¬
spielerin. Die Schauspic rin tanzt aber auch mit
einem Grafen und der Graf findet sich mit derselben
Dirne zusammen, die der Soldat in der ersten Szeue
unter der Augartenbrücke küßte. So ist der Kreis des
Reigens geschlossen. Und jede Szene ist wie ein Ro¬
man, eingekapselt in einer Nuß, und all diese Romanc
geben einen lustig klappernden Rosenkranz der Liebe
Vor einiger Zeit ist — allerdings nur für Lieb¬
haber und nicht für den Buchhandel — eine ganz
prachtvolle deutsche Uebersetzung der Gespräche des
Aretin erschienen. Und an Aretin muß man bei
Schnitzler wiederholt denken. Nicht als ob Schnitzler
die unerhörte satirische Gewalt Aretins besäße. Er
ist auch beileibe nicht wie dieser der großartige Cyniter
noch der virtuose Höllenbreughel der Liebe. Wo
Aretin im kurioso dahinschmettert, zieht Schnitzler
tempo di ralse vor. Keinen Augenblick darf und kam
man vergessen, daß all die Geschichten in Wien spielen
„Reigen“ verlangt nach Musik. Aber diese Suite hätte
nur Johann Strauß schreiben können. Nein, die Ver¬
wandtschaft mit Aretin liegt nicht in Ton und Thema
sondern in einem tiefen Satze der Lebensweisheit, der
beide zwar nicht aussprechen, aber den beide aus der
Erlenntnis der L#be schöpfen. Man könnte dieser
Satz in die Form fassen: die Liebe ist die ausgleichende
Gerechtigkeit. Es ist eines der drolligsten Schauspiele
in der Welt und unter Menschen, wie vor der Liebe,
die selbst tausend Masken hat, alle Masken fallen.
Zan möchte, ein banales Wort varüerend, sagen
### Liebe sind alle Katzen gran. Diese Arisheinst
enso tief. folgenschwer und gewichtig als sie irivial
alltäglich erscheint. Bei Aretin höhmt sie die
#chen und schreit auf in Haß und Verachtung.
Bel Schnitzler ist sie wie ein feines und kluges Lacheln,
wie ein liebenswürdiger Spott. Aber Schnitzler, in
Uen Werten sonst umr immer der Mann des Lächelns,
terschmäht diesmal auch das laute Lachen nicht. Es
gibt Stellen in seinem Buche, wo man lacht, bis Einem
die Thräuen kommen. Stellen von unbändigster
Komik, denn nie ist ein Meusch komischer als im Balz
gesang und =Tanz. Wir lachen über das Schneehuhn,
das auf der weißen Fläche seine verrückten Kapriolen
macht, um dem Weibchen zu gefallen und über den
Hahn, der in seinem Werbegesange den nahenden
Jäger nicht hört. Aber kein Schneehuhn und kein
Hahn kann sich an Komik mit dem Menschen messen.
Schnitzlers Buch stimmt Einen darum so heiter, wei
wir die tanzenden Paare wie durch eine Glasscheibe
von außen sehen und die Ballmusik dabei nicht hören
Wer aber jemals so als Zuschauer den Tanzenden
zugesehen hat, muß über ihr scheinbar unsinniges
Springen gelacht haben, was aber nicht hindert, da
auch er sofort mitspringt und sich mit im Kreise drehr,
wvenn die Musik an sein Ohr schlägt. Allen Lesern,
die sich weiß Gott wie erhaben dünken über die Hel¬
den des „Reigens“, mag der Liebestanzdichter die
selben Worte zurufen, die die Titentanzmalep
ver¬
kündeten: Von dir, mein Freund, ist die Rede!
Wien, 9. April.
Rudolph Lothar.
20.000 Kronen flüssig gemacht.
4% Einstellung der Güter=Auf= und Ab¬
gabe in der Halte= und Ladestelle Pisek=Stadt.
Aus Anlaß der Erweiterungsarbeiten in der Halte¬
und Ladestelle Pisek=Stadt, welche für den Personen¬
und Gepäckverkehr, sowie auch für Güter in Wagen¬
ladungen der Stadtgemeinde Pisek und der k. k. Tabak¬
abrik daselbst eröffnet ist, findet in der Zeit vom 15.
bis ungefähr 24. April 1903 keine Auf= und Abgabe
von Gütern statt.
#. Moldau=Dampfschifffahrt zwischen Karo¬
linental und Kletzan. Bei günstiger Witterung wird
während der beiden Österfeiertage die Dampfschiff¬
fahrts=Gesellschaft zur Besichtigung der Kammerschleußen
zwei Extradampfer von Karolinenthal nach Kletzan ab¬
fertigen; diese werden an allen Zwischenstationen an¬
halten. Die Abfahrt von Karolinental (Remise und
Station der elektrischen Bahn) um 2 und 2½ Uhr
Nachmittags, Rückfahrt von Kletzan um 5¾ hr Nach¬
mittags.
** Von der Wetterwarte auf dem Keilberge.
Die Witterungsverhältnisse im verflossenen Lenzmonate
gestalteten sich sehr milde und in Folge de zahlreichen
sonnenhellen Tage (18) im Allgemeinen sehr günstig.
Die höchste Luftwärme, im Tagesmaximum mit + 11°
m Tagesmittel mit + 8•4°, wurde am 27. März ver¬
zeichnet, während die größte Kälte im Tagesminimum
mit —7•5°, im Tagesmittel mit — 5·70 per 11. März
brachte. Als mittlere Monatswärme ergibt sich —0•4%,
Am 2. und 3. März erreichte das Barometer seinen
tiefsten Stand, in dessen Begleitung sich im Gebirge
heftiger Schneesturm einstellte. Niederschläge fielen an
11 Tagen; hievon waren 6 Schneetage, an zwei Tagen
11. Reigen
Frau und die junge Frau hat — wieder einmal —
ein téte-ä-täte mit ihrem Gatten. Dieser selbe Gati¬
soupiert mit einem süßen Mädel in einem cabiner
particulier. Und das süße Mädel hat ein Verhältnis
mit einem Dichter und dieser Dichter liebt eine Schau¬
spielerin. Die Schauspic rin tanzt aber auch mit
einem Grafen und der Graf findet sich mit derselben
Dirne zusammen, die der Soldat in der ersten Szeue
unter der Augartenbrücke küßte. So ist der Kreis des
Reigens geschlossen. Und jede Szene ist wie ein Ro¬
man, eingekapselt in einer Nuß, und all diese Romanc
geben einen lustig klappernden Rosenkranz der Liebe
Vor einiger Zeit ist — allerdings nur für Lieb¬
haber und nicht für den Buchhandel — eine ganz
prachtvolle deutsche Uebersetzung der Gespräche des
Aretin erschienen. Und an Aretin muß man bei
Schnitzler wiederholt denken. Nicht als ob Schnitzler
die unerhörte satirische Gewalt Aretins besäße. Er
ist auch beileibe nicht wie dieser der großartige Cyniter
noch der virtuose Höllenbreughel der Liebe. Wo
Aretin im kurioso dahinschmettert, zieht Schnitzler
tempo di ralse vor. Keinen Augenblick darf und kam
man vergessen, daß all die Geschichten in Wien spielen
„Reigen“ verlangt nach Musik. Aber diese Suite hätte
nur Johann Strauß schreiben können. Nein, die Ver¬
wandtschaft mit Aretin liegt nicht in Ton und Thema
sondern in einem tiefen Satze der Lebensweisheit, der
beide zwar nicht aussprechen, aber den beide aus der
Erlenntnis der L#be schöpfen. Man könnte dieser
Satz in die Form fassen: die Liebe ist die ausgleichende
Gerechtigkeit. Es ist eines der drolligsten Schauspiele
in der Welt und unter Menschen, wie vor der Liebe,
die selbst tausend Masken hat, alle Masken fallen.
Zan möchte, ein banales Wort varüerend, sagen
### Liebe sind alle Katzen gran. Diese Arisheinst
enso tief. folgenschwer und gewichtig als sie irivial
alltäglich erscheint. Bei Aretin höhmt sie die
#chen und schreit auf in Haß und Verachtung.
Bel Schnitzler ist sie wie ein feines und kluges Lacheln,
wie ein liebenswürdiger Spott. Aber Schnitzler, in
Uen Werten sonst umr immer der Mann des Lächelns,
terschmäht diesmal auch das laute Lachen nicht. Es
gibt Stellen in seinem Buche, wo man lacht, bis Einem
die Thräuen kommen. Stellen von unbändigster
Komik, denn nie ist ein Meusch komischer als im Balz
gesang und =Tanz. Wir lachen über das Schneehuhn,
das auf der weißen Fläche seine verrückten Kapriolen
macht, um dem Weibchen zu gefallen und über den
Hahn, der in seinem Werbegesange den nahenden
Jäger nicht hört. Aber kein Schneehuhn und kein
Hahn kann sich an Komik mit dem Menschen messen.
Schnitzlers Buch stimmt Einen darum so heiter, wei
wir die tanzenden Paare wie durch eine Glasscheibe
von außen sehen und die Ballmusik dabei nicht hören
Wer aber jemals so als Zuschauer den Tanzenden
zugesehen hat, muß über ihr scheinbar unsinniges
Springen gelacht haben, was aber nicht hindert, da
auch er sofort mitspringt und sich mit im Kreise drehr,
wvenn die Musik an sein Ohr schlägt. Allen Lesern,
die sich weiß Gott wie erhaben dünken über die Hel¬
den des „Reigens“, mag der Liebestanzdichter die
selben Worte zurufen, die die Titentanzmalep
ver¬
kündeten: Von dir, mein Freund, ist die Rede!
Wien, 9. April.
Rudolph Lothar.
20.000 Kronen flüssig gemacht.
4% Einstellung der Güter=Auf= und Ab¬
gabe in der Halte= und Ladestelle Pisek=Stadt.
Aus Anlaß der Erweiterungsarbeiten in der Halte¬
und Ladestelle Pisek=Stadt, welche für den Personen¬
und Gepäckverkehr, sowie auch für Güter in Wagen¬
ladungen der Stadtgemeinde Pisek und der k. k. Tabak¬
abrik daselbst eröffnet ist, findet in der Zeit vom 15.
bis ungefähr 24. April 1903 keine Auf= und Abgabe
von Gütern statt.
#. Moldau=Dampfschifffahrt zwischen Karo¬
linental und Kletzan. Bei günstiger Witterung wird
während der beiden Österfeiertage die Dampfschiff¬
fahrts=Gesellschaft zur Besichtigung der Kammerschleußen
zwei Extradampfer von Karolinenthal nach Kletzan ab¬
fertigen; diese werden an allen Zwischenstationen an¬
halten. Die Abfahrt von Karolinental (Remise und
Station der elektrischen Bahn) um 2 und 2½ Uhr
Nachmittags, Rückfahrt von Kletzan um 5¾ hr Nach¬
mittags.
** Von der Wetterwarte auf dem Keilberge.
Die Witterungsverhältnisse im verflossenen Lenzmonate
gestalteten sich sehr milde und in Folge de zahlreichen
sonnenhellen Tage (18) im Allgemeinen sehr günstig.
Die höchste Luftwärme, im Tagesmaximum mit + 11°
m Tagesmittel mit + 8•4°, wurde am 27. März ver¬
zeichnet, während die größte Kälte im Tagesminimum
mit —7•5°, im Tagesmittel mit — 5·70 per 11. März
brachte. Als mittlere Monatswärme ergibt sich —0•4%,
Am 2. und 3. März erreichte das Barometer seinen
tiefsten Stand, in dessen Begleitung sich im Gebirge
heftiger Schneesturm einstellte. Niederschläge fielen an
11 Tagen; hievon waren 6 Schneetage, an zwei Tagen