II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 29

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11. Reigen
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(Merkwürdig,] schon lange merkwürdig, leider immer
merkwürdig ist die entsetzliche Erscheinung, daß allüberall, wo
der Sumpf der Verderbtheit aufspritzt, der Jude es ist, der im
Schlamme plätschernd sich wohlbefindet, von der Fäulnis um ihn
lebt, ja zu seinem Nutzen sie erzeugt. Seit Babylon kennt man die
Schrecknisse der Korruption in den Tiefen des großstädtischen
Lebens. Und in jeder Weltstadt seit Babylon war es das
semitische Element, das Handel trieb mit der Unzucht;
mehr oder minder offen je nach Ort und Zeit. Gibt es noch einen
Toren, der es für nicht bezeichnend hält, daß die ertappten
Mädchenhändler, die Kupplerinnen und Bordellwirte fast durchwegs
99 von 100 — Juden sind? So als glatten, gleichgültigen Zufall
es hinstellen, wie es charakteristischerweise die „Arbeiter=Ztg.“ und
die „W. Allg. Ztg.“ tut, so mit Nonchalance darüber hinweggehen,
daß die scheußliche Frau aus der Floßgasse, welche von der Unzucht

unreifer Kinder lebte, ebenfalls eine Jüdin ist, geht denn doch
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nicht. Aber schon den Namen „Feuerstein“ zu nennen, macht
den genannten Monitoren des Judentums Beschwerden. Die
„Arbeiter=Zeitung“ benützt die Gelegenheit, um in ihrer profunden
Art von Volkserziehung eine schandbare Pornographie des „mehr
Abzur glatten Liebenswürdigkeit neigenden Dichters“ Schnitzler dem
AbInteresse ihres Leserkreises näherzurücken; die „Allgemeine“ bläst für
ihre philosemitischen „Nachtasyl“=Gorki die Reklameposaunen. Die
„Allgemeine“ findet: „Die Hauptangeklagte, die Inhaberin des be¬
Inlrüchtigten Kinder=Nachtasyls und Massenquartiers in der Floßgasse,
dInimmt nur wenig Interesse für sich in Anspruch. Sie ist eine
w(jener nur zu zahlreichen Erscheinungen, die nur im Sumpfe der
LeGroßstadt gedeihen können, eine jener Gestalten, denen die Be¬
griffe „Leben“ und „Unrechttun“ identisch sind.“ Und sie lenkt
sorglich die Blicke ab von der Erscheinung, daß die „eine jener
nur zu zahlreichen“ eine Jüdin ist. Auch die „Arb.=Ztg.“ hält sich
nicht an die „Realität“ der Frau Feuerstein und ihres Mitasyl¬
habers Isidor Beer. Für sie ist die „glaubwürdigste Figur in
diesem Höllengemälde“ „jener Offizier, der sich mit einem ver¬
lotterten dreizehnjährigen Mädchen einläßt“. Wäre diese Art, über
den wunden Judenpunkt hinwegzukommen, nicht so herzlich dumm,
man wär' versucht, sie ganz verdammt gescheit zu nennen. Was
heißt es aber, wenn die „A.=Z.“ und ihresgleichen nur von
„Pfaffen" und „Burschoas“ als „Kinderschänder“ und „Schon
wieder einer“ berichtet, stillschweigend aber hinwegsieht über die
Beer und Feuerstein! Bloß weil das Juden sind! Merkwürdig,
höchst merkwürdig
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Philipp Frey.
Schnitzlers „Reigen“.“
Wüßte man es nicht vom „Anatol“ her, daß Herr Arthur Schnitzler mit
seinem natürlich=witzigen Dialog es der besten Kleinkunst der Franzosen von Musset
bis Lavedan gleichtut, so hätte der Reigen, durch dessen Hände dies Buch schon im
Sommer 1897 wanderte, dies Urteil kreieren können. Viel des Neuen ist also darüber
nicht gerade zu sagen. Doch verdient das Werk eines Schriftstellers, auf dessen
Anmut, psyche ische Feinarbeit und redliche Vertiefung wir nicht vom Rassengeiste
erleuchteten Österreicher ein wenig stolz find, immerhin weitere Erwähnung. An der
künstlerischen Leistung des fein gefeilten Büchleins ist zunächst die treffliche Technik
des Dialoges zu loben. Nett ist es auch, daß der Autor mit den photographischen
Aufnahmen von Milieunichtigkeiten spart, mit denen die jetzigen Routiniers des Dialog¬
genres (siehe Lavedan, Gyp, La vie Parisienne) Seiten füllen. Herr Schnitzler geht
in jeder Szene resolut auf eine Zeile Gedankenstriche los, die jeweilig den Stand
der Unterhaltung andeuten, in dem sie vom Gedanklichen am weitesten entfernt ist.
Den leitenden Einfall, das erotische Treiben von Großstadttypen in sozialer Skala
zu verfolgen und die leicht Entbrannten und rasch Gestillten in doppeltem tour de
main auftreten zu lassen, hat er graziös und witzig durchgeführt. Die Dirne, der
Soldat, das Stubenmädchen, der junge Herr, die junge Frau, der Ehegatte, das süße
Mädel, der Dichter, die Schauspielerin, der Graf treten nacheinander auf, durch
sexualökonomische Bedingungen zu den „großen Zielen, der Gattung“ verknüpft. Dirne
und Graf schließen das Gewinde, dessen Arrangement den kundigen Blick des Lebe¬
mannes und Arztes verrät.
Es ist sicher, daß in diesen durch Witz verfeinerten Stenogrammen erotischer
Alltäglichkeitsgespräche sehr viel auf das Heikle der Situation gestellt ist. Und doch
darfbehauptet werden, daß Herr Schnitzler nicht die leichten Situationen gesucht hat,
um es sich leicht zu machen. Seine Stenogramme haben psychologischen Wert. Es
kömmt bei solcher jedem „Problem“ von vorneherein abgewandten Belletristik darauf
an, das Oberflächliche doch so zu wenden, daß es ein Stück Inneres frei läßt. Lavedan
hat in „Le nouveau jeu“ einen ganzen sexuellen Roman in Dialogform geschrieben.
Sehr witzig, sehr situationsgetreu, aber mit lauter phonographischen Puppen. Schnitzlers
Figuren verraten in einigen Momenten etwas, das weniger selbstverständlich und das
mehr als erwitzelt ist. Wie sich z. B. der Dichter Biebitz und die um jeden Preis
verblüffende Schauspielerin in den Augenblicken benehmen, die als die naivsten im
menschlichen Sein gelten, erlaubt uns prächtige Durchblicke in die komplizierte'Gemacht¬
Herrn, der sein bischen
heit ihres ganzen Wesens. Man sieht den abgeschmackten
Normalgenuß sich mit ewigen Seitenblicken auf Stimmungseffekte fürs „Geschäft“
Temperamentlosigkeit der
verpätzt; die unter tausend Gesuchtheiten versteckte schale
mählich alternden Kokette, die das dumme Männliche durch das erotisch sehr belang¬
lose Piedestal der „Kunst“ anlockt.
Selbstredend ist auch das Physio=psychologische — das Wort nicht im gelehrten
Sinne — jeder Szene mit hübschem Verismus durchgeführt: wie der Schwerpunkt
des Vergnügens vom Manne bestimmt wird, wenn das Weib nicht (wie die Schau¬
spielerin) durch falsche Wärme und Kühle die Instinkte irreleitet; wie in sozusagen
normaler Disharmonie das erotisch gesteigerte Empfinden des Weibes länger nach¬
schwingt als das des Mannes, der rascher zur Alltäglichkeit umgeschaltet ist, und
manche andere kleine Wahrheit, die ein Theoretisieren wohl nicht verträgt. Das Ganze
bietet, nochmals sei es gesagt, genug Perspektiven, um nicht frivol genommen zu werden
Sollte aber ein junger Leser — an Leserinnen will ich lieber nicht denken — die
graziösen Dialoge mit unerfahrenem Sinn ohne mögliche Hintergründe betrachten,
so sei es dem Kritiker gestattet, auf all das Rosenrot einige Ibsenartige Schatten
fallen zu lassen: Der junge Leser denke sich ein einziges Schlänglein in dem hold¬
seligen Blumengewinde der Lust verkrochen! Der Ernst des Lebens, den Pedanten
nie und nirgends missen wollen, wird sich dann auch bei Lektüre des „Reigen“.
einstellen.