11. Reigen
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vor Augen, die aus solchen kleinen Betrügereien an sich selbst
und anderen entsteht!
Die Pärchen, die so drollig vor uns den Reigen des Ge¬
schlechtsgenusses tanzen, sollen unsittlich sein? Nun ja, genau so
wie das Leben. Es ist einmal so eingerichtet, dass die Mensch¬
heit nicht aus dem Durchblättern von Gebetbüchern entstelt.
Was die Mucker und Denunzianten so entrüstet, ist wohl, dass
die verächtlich ironische Menschenkenntnis dieses Buches gai
so amüsant ist. Pornographen sind auch amüsant, also ... Nun,
die Logik erlaubt bekanntlich diesen Schluss nicht, aber die
Sittlichkeit gebietet ihn.. Der Zwiespalt ist nicht neu; neu ist
aber, dass auch Gegnerschaft, die immerhin ein wenig Reputa¬
tion zu verlieren hat, nach dem Staatsanwalte schrie. Jüdische
Geilheit? Warum nicht gar! Solchen Reigen haben alle Rassen
aufzuweisen und gallisch-semititisch ist nur die so ganz leichte,
hingehauchte und dennoch körperliche Art, mit der die Mensch¬
lein lebendig gemacht wurden. Der Deutsche pflegt gar zu
schwer, sachlich, deutlich, gegenständlich zu sein. Wenn andere
auf dünnem Eise einen -Reigene tanzen, so bräche er ein mit
seinen schweren Tritten. Das ist wahrlich kein Tadel: Mit diesen
wuchtigen Schritten ist er auf die höchsten Felsengipfel der
Erkenntnis vorgedrungen. Aber sollte er deshalb unduldsam
sein? Schliesslich: Kunst bleibt Kunst, und Schmach über jedes
nationale Empfinden, das sie zu besudeln gebietet und seine
Sittlichkeit sich von Herrn Bobies schützen lässt! Das ist nicht
deutsch, sondern pfäffisch-polizistenhaft-österreichisch.
Die Verunreiniger deutscher Geistesfreiheit werden bald
Gelegenheit zu erneutem Jammergeschrei haben. Dieser Tage
soll Reigene in München szenisch vorgeführt werden. Eine
künstlerische Nötigung zu dieser Herausforderung liegt nicht
vor: Die Szenen sind nicht für die Bühne gedacht. Nun, das
Gute hat der kecke Versuch immerhin noch grössere Aufmerk¬
sümkeit auf dies zunsittliches Buch zu lenken, das eine der an¬
mutigen und nachdenklichsten Arbeiten eines feinen Künst¬
lers ist.
L
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2
Ein Diebstahl stand bevor.
Von Leonid Andrejew.
Deutsch von Sonja Wermer.
Ein grosser Diebstahl stand bevor, vielleicht auch ein Mord.
Heute Nacht sollte er ausgeführt werden, und es hiess sehnell den
Kameraden aufsuchen und nicht müssig allein zuhause sitzen. Den Einsamen
und Untätigen ängstigt alles, und alles lacht ihn aus mit dumpfem, schaden¬
frohem Lachen.
Es ängstigt ihn eine Maus. Sie kratzt geheimnisvoll unter dem Fuss¬
boden und will nicht schweigen, wenn man auch über ihrem Kopfe mit
dem Stocke klopft, dass es einem selbst bange wird. Für einen Augenblick
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vor Augen, die aus solchen kleinen Betrügereien an sich selbst
und anderen entsteht!
Die Pärchen, die so drollig vor uns den Reigen des Ge¬
schlechtsgenusses tanzen, sollen unsittlich sein? Nun ja, genau so
wie das Leben. Es ist einmal so eingerichtet, dass die Mensch¬
heit nicht aus dem Durchblättern von Gebetbüchern entstelt.
Was die Mucker und Denunzianten so entrüstet, ist wohl, dass
die verächtlich ironische Menschenkenntnis dieses Buches gai
so amüsant ist. Pornographen sind auch amüsant, also ... Nun,
die Logik erlaubt bekanntlich diesen Schluss nicht, aber die
Sittlichkeit gebietet ihn.. Der Zwiespalt ist nicht neu; neu ist
aber, dass auch Gegnerschaft, die immerhin ein wenig Reputa¬
tion zu verlieren hat, nach dem Staatsanwalte schrie. Jüdische
Geilheit? Warum nicht gar! Solchen Reigen haben alle Rassen
aufzuweisen und gallisch-semititisch ist nur die so ganz leichte,
hingehauchte und dennoch körperliche Art, mit der die Mensch¬
lein lebendig gemacht wurden. Der Deutsche pflegt gar zu
schwer, sachlich, deutlich, gegenständlich zu sein. Wenn andere
auf dünnem Eise einen -Reigene tanzen, so bräche er ein mit
seinen schweren Tritten. Das ist wahrlich kein Tadel: Mit diesen
wuchtigen Schritten ist er auf die höchsten Felsengipfel der
Erkenntnis vorgedrungen. Aber sollte er deshalb unduldsam
sein? Schliesslich: Kunst bleibt Kunst, und Schmach über jedes
nationale Empfinden, das sie zu besudeln gebietet und seine
Sittlichkeit sich von Herrn Bobies schützen lässt! Das ist nicht
deutsch, sondern pfäffisch-polizistenhaft-österreichisch.
Die Verunreiniger deutscher Geistesfreiheit werden bald
Gelegenheit zu erneutem Jammergeschrei haben. Dieser Tage
soll Reigene in München szenisch vorgeführt werden. Eine
künstlerische Nötigung zu dieser Herausforderung liegt nicht
vor: Die Szenen sind nicht für die Bühne gedacht. Nun, das
Gute hat der kecke Versuch immerhin noch grössere Aufmerk¬
sümkeit auf dies zunsittliches Buch zu lenken, das eine der an¬
mutigen und nachdenklichsten Arbeiten eines feinen Künst¬
lers ist.
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Ein Diebstahl stand bevor.
Von Leonid Andrejew.
Deutsch von Sonja Wermer.
Ein grosser Diebstahl stand bevor, vielleicht auch ein Mord.
Heute Nacht sollte er ausgeführt werden, und es hiess sehnell den
Kameraden aufsuchen und nicht müssig allein zuhause sitzen. Den Einsamen
und Untätigen ängstigt alles, und alles lacht ihn aus mit dumpfem, schaden¬
frohem Lachen.
Es ängstigt ihn eine Maus. Sie kratzt geheimnisvoll unter dem Fuss¬
boden und will nicht schweigen, wenn man auch über ihrem Kopfe mit
dem Stocke klopft, dass es einem selbst bange wird. Für einen Augenblick
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