box 17/1
11. Reigen
Das Buchdrama. 6/10
arbeiten veritable Bettelgroschen erhalten hat, aber
„Was man nicht zur Aufführung bringen
glaubt Ihr, daß er itzemal mehr bekommen hätte,
kann, das sieht man als ein Buchdrama an.“
wenn er seine künstlerische Ueberzeugung geopfert
Ich glaube mit dieser auf Kosten des Rhythmus
und sich dem Geschmacke des breiteren Publikums
geschehenen Variante eines alten Schulspruches
ubordiniert hätte? Die Konjunktur, als Schau¬
das allgemeine Wesen des Buchdramas am deut¬
pieldichter zum Kapitalisten zu werden, war
lichsten gekennzeichnet zu haben. Die Auffassung
damals überhaupt nicht vorhanden. Und wäre
des Dramatikers bezüglich der Ausübung seines
sie vorhanden gewesen, trann, fast glaube ich, daß
Berufes hat im Laufe von Jahrzehnten eine
auch ein Schiller, zin Grabbe oder ein
der Zeit entsprechende wesentliche Umgestaltung
Kleist es nicht verschmäht hätten, ihren dich¬
erfahren. Heute sieht der Dramatiker,
terischen Emanationen Mittelchen einfließen zu
ist
er nicht von Vaters Seite auf eigene Beine
lassen, die das Geheimnis einer gesteigerten Er¬
ge¬
stellt worden oder durch des Schwiegervaters
tragsfähigkeit in sich einschließen.
Säckel zu seiner Muse in ein Unabhängikeitsver¬
Doch zurück ad rem! Es ist wohl illnsorisch,
hältnis getreten, die Ausübung seiner Kunst als
auzunehmen, daß sich heute irgend ein zünftiger
Broterwerb an, er wird, will er die Chancen
oder nicht zünftiger Literat mit der Ab¬
der Nutznießung aus seinen Werken erhöhen,
icht an den Schreibtisch setzt, ein Buchdrama zu
Konzessionen an den Geschmack des Publikums
schreiben. Ausgeschlossen! Jeder und wir dürfen
machen, vor allem aber damit rechnen, daß die
getrost einen Teil unserer anerkannten Literatur¬
seinem Stücke innewohnende Technik den An¬
größen mitnennen, trägt sich schon von vornherein
forderungen der modernen Bühne entspricht. Daß
mit dem Gedanken, ein Werk zu schaffen, das sich
bei solchen Rücksichtnahmen, bei all den hundert
möglichst viele Bühnen erobern soll und das
Fragen, die weniger an das Gewissen, denn an
demzufolge den Keim zu einem ansehnlichen Tan¬
die praktischen Erfahrungen gerichtet sind, das
tiémenertrag in sich birgt. Unter solchen Um¬
künstlerische Moment Schaden erleidet, ist un¬
tänden haben zweifelsohne auch jene gehandelt, die
bestreitbar. Aber darf man all diesen um ihre
bereits auf anderen künstlerischen Gebieten akkre¬
Existenz ringenden Menschen aus ihren Be¬
ditiert, ihre Zuflucht zum Drama genommen haben,
strebungen einen Vorwurf machen? Die gute
und trotz dem unangenehmen Resultat einer Selbst¬
alte Zeit! Das ist eine stehende Phrase ge¬
kritik in Bezug auf die Kraft und Entfaltungs¬
worden. Man denkt dabei an Schäferspiele, an
fähigkeit ihres Talentes, eine stattliche Anzahl
zierliche, weißgepuderte Rococodämchen, die nichts
von Dramen geschrieben haben. So Lilien¬
anderes
als
ein bischen Liebe
2000
cron, der doch sicherlich nicht zu den Ver¬
langten, und an die Dichter und Minne¬
schmähern des Mammons gehört, so Salus
sänger damaliger Zeit, die keine Bankkontis,
und Falke. Sie und viele andere mehr haben
keine Villen, geschweige denn Schlösser besaßen.
oftmals Versuche gewagt, ihre Gedanken und
„Während ein Schiller", pflegt man
Empfindungen in dramalische Formen zu pressen,
bei besonders heftigen Erörterungen dieser Frage
sie brachten es aber mit Ausnahme Salus,
zu sagen, „für eines seiner Stücke ein Lumpen¬
dessen „Susanna im Bade“ seinerzeit das Ueber¬
geld von so und so vielen Talern erhielt, be¬
brettl zu Hilfe kam, nur zu Buchdramen.
kommt heute Herr X. oder Y. für seinen Schwanl
Und Buchdramen geht es ähnlich wie den unglück¬
Hunderttausende von Mark!“ Bravo, Ihr Lieben,
seligen Versbüchern, nur daß ihre Vorgeschichte
Euere tiefempfundene Entrüstung ehrt Euch, aber
bei weitem mannigfaltiger und abwechslungsreicher
gerade da, wo Ihr hinreichende Beweise für ben
st. Ehe sich ein spekulativ zu sein wähnender
ungetrübten Idealismus unserer literarischen Alt¬
Verleger ihrer erbarmt, haben die Mannskripte
vorderen gefunden zu haben glaubt, liegt der
bereits bei den verschiedensten Theaterdirektoren
Hase im Pfeffer. Es ist wahr, daß ein
des In= und Auslandes odysseische Irrfahrten
Schiller z. B. für seine Unsterblichkeits= unternommen. Hier störte das zu düstere Milien,
dort die szenischen Schwierigkeiten,
hier
die allzu große Tiefe der Gedanken, dort
vollständige Effektlosigkeit. Und es berührt
wenigstens mich komisch, wenn ich von einem bei
Pierson oder bei anderen sehr entgegen¬
kommenden Verlegern erschienenen Drama lese, daß
es vollauf dazu prädestiniert sei, öffentlich und
nit großem Erfolg aufgeführt zu werden.
Ein Buchdrama erscheinen zu lassen, heißt
aus der Not eine Tugend machen, und wenn sich
ein Dichter rühmt, nur Buchdramen zu schreiben,
weil er zu künstlerisch vergeistigt ist, um dem Götzen
Publikum zu opferu, so heißt das mit anderen
Worten, er hat trotz vielen Bemühungen keinen
Theaterdirektor gefunden, der sein Stück zur Auf¬
führung bringen will. Ich möchte durch meine voran¬
gehenden Zeilen absolut nicht den Glauben er¬
tehen lassen, daß ich dem Buchdrama, einzig
und allein darum, weil es eben nur „Buch“ ge¬
blieben ist, gewisse Werte abspreche.
Im
Gegenteil. Hat uns nicht Johann Wolf¬
gang von Goethe einen zweiten Teil
zum
„Haust“, hinterlassen und Christian
Dietrich Grabbe den „Napoleon“ und den
„Herzog Theodor von Gothland“? Sind
das nicht Buchdramen, wenn man auch in
neuester Zeit die Versuche gemacht hat, sie
bühnengerecht zu machen? Hat nicht erst
üngst Arthur Schnitzler mit seinem „Reigen“
bewiesen, daß gerade einem Buchdramo bedeutende
künstlerische Qualitäten innewohnen können? Doch,
gerats ich da in puncto Schnitzler nicht in
Widerspruch zu meinen früheren Behauptungen?
Nein, Schnitzler z. B. mußte von vornherein
felsenfest davon überzeugt gewesen sein, daß die
von ihm so meisterhaften Schilderungen durch
ihren erotischen Gehalt von öffentlichen Vos¬
führungen ausgeschlossen seien. Er konnte aber recht
wohl wissen, daß eben das Equivogue der
Szenenreihe eine behördliche Konfiskation und
damit eine gesteigerte Nachfrage nach dem Buche
m Gefolge haben werden. Und er hat sich nicht
getäuscht. Ja, Buchdramen verlangen eben weit
mehr als alles andere nach einem Blicke hinter
die Kulissen. Und es ist eigentlich ein un¬
erschöpfliches Thema, das Buchdrama ..
Leo Heller.
11. Reigen
Das Buchdrama. 6/10
arbeiten veritable Bettelgroschen erhalten hat, aber
„Was man nicht zur Aufführung bringen
glaubt Ihr, daß er itzemal mehr bekommen hätte,
kann, das sieht man als ein Buchdrama an.“
wenn er seine künstlerische Ueberzeugung geopfert
Ich glaube mit dieser auf Kosten des Rhythmus
und sich dem Geschmacke des breiteren Publikums
geschehenen Variante eines alten Schulspruches
ubordiniert hätte? Die Konjunktur, als Schau¬
das allgemeine Wesen des Buchdramas am deut¬
pieldichter zum Kapitalisten zu werden, war
lichsten gekennzeichnet zu haben. Die Auffassung
damals überhaupt nicht vorhanden. Und wäre
des Dramatikers bezüglich der Ausübung seines
sie vorhanden gewesen, trann, fast glaube ich, daß
Berufes hat im Laufe von Jahrzehnten eine
auch ein Schiller, zin Grabbe oder ein
der Zeit entsprechende wesentliche Umgestaltung
Kleist es nicht verschmäht hätten, ihren dich¬
erfahren. Heute sieht der Dramatiker,
terischen Emanationen Mittelchen einfließen zu
ist
er nicht von Vaters Seite auf eigene Beine
lassen, die das Geheimnis einer gesteigerten Er¬
ge¬
stellt worden oder durch des Schwiegervaters
tragsfähigkeit in sich einschließen.
Säckel zu seiner Muse in ein Unabhängikeitsver¬
Doch zurück ad rem! Es ist wohl illnsorisch,
hältnis getreten, die Ausübung seiner Kunst als
auzunehmen, daß sich heute irgend ein zünftiger
Broterwerb an, er wird, will er die Chancen
oder nicht zünftiger Literat mit der Ab¬
der Nutznießung aus seinen Werken erhöhen,
icht an den Schreibtisch setzt, ein Buchdrama zu
Konzessionen an den Geschmack des Publikums
schreiben. Ausgeschlossen! Jeder und wir dürfen
machen, vor allem aber damit rechnen, daß die
getrost einen Teil unserer anerkannten Literatur¬
seinem Stücke innewohnende Technik den An¬
größen mitnennen, trägt sich schon von vornherein
forderungen der modernen Bühne entspricht. Daß
mit dem Gedanken, ein Werk zu schaffen, das sich
bei solchen Rücksichtnahmen, bei all den hundert
möglichst viele Bühnen erobern soll und das
Fragen, die weniger an das Gewissen, denn an
demzufolge den Keim zu einem ansehnlichen Tan¬
die praktischen Erfahrungen gerichtet sind, das
tiémenertrag in sich birgt. Unter solchen Um¬
künstlerische Moment Schaden erleidet, ist un¬
tänden haben zweifelsohne auch jene gehandelt, die
bestreitbar. Aber darf man all diesen um ihre
bereits auf anderen künstlerischen Gebieten akkre¬
Existenz ringenden Menschen aus ihren Be¬
ditiert, ihre Zuflucht zum Drama genommen haben,
strebungen einen Vorwurf machen? Die gute
und trotz dem unangenehmen Resultat einer Selbst¬
alte Zeit! Das ist eine stehende Phrase ge¬
kritik in Bezug auf die Kraft und Entfaltungs¬
worden. Man denkt dabei an Schäferspiele, an
fähigkeit ihres Talentes, eine stattliche Anzahl
zierliche, weißgepuderte Rococodämchen, die nichts
von Dramen geschrieben haben. So Lilien¬
anderes
als
ein bischen Liebe
2000
cron, der doch sicherlich nicht zu den Ver¬
langten, und an die Dichter und Minne¬
schmähern des Mammons gehört, so Salus
sänger damaliger Zeit, die keine Bankkontis,
und Falke. Sie und viele andere mehr haben
keine Villen, geschweige denn Schlösser besaßen.
oftmals Versuche gewagt, ihre Gedanken und
„Während ein Schiller", pflegt man
Empfindungen in dramalische Formen zu pressen,
bei besonders heftigen Erörterungen dieser Frage
sie brachten es aber mit Ausnahme Salus,
zu sagen, „für eines seiner Stücke ein Lumpen¬
dessen „Susanna im Bade“ seinerzeit das Ueber¬
geld von so und so vielen Talern erhielt, be¬
brettl zu Hilfe kam, nur zu Buchdramen.
kommt heute Herr X. oder Y. für seinen Schwanl
Und Buchdramen geht es ähnlich wie den unglück¬
Hunderttausende von Mark!“ Bravo, Ihr Lieben,
seligen Versbüchern, nur daß ihre Vorgeschichte
Euere tiefempfundene Entrüstung ehrt Euch, aber
bei weitem mannigfaltiger und abwechslungsreicher
gerade da, wo Ihr hinreichende Beweise für ben
st. Ehe sich ein spekulativ zu sein wähnender
ungetrübten Idealismus unserer literarischen Alt¬
Verleger ihrer erbarmt, haben die Mannskripte
vorderen gefunden zu haben glaubt, liegt der
bereits bei den verschiedensten Theaterdirektoren
Hase im Pfeffer. Es ist wahr, daß ein
des In= und Auslandes odysseische Irrfahrten
Schiller z. B. für seine Unsterblichkeits= unternommen. Hier störte das zu düstere Milien,
dort die szenischen Schwierigkeiten,
hier
die allzu große Tiefe der Gedanken, dort
vollständige Effektlosigkeit. Und es berührt
wenigstens mich komisch, wenn ich von einem bei
Pierson oder bei anderen sehr entgegen¬
kommenden Verlegern erschienenen Drama lese, daß
es vollauf dazu prädestiniert sei, öffentlich und
nit großem Erfolg aufgeführt zu werden.
Ein Buchdrama erscheinen zu lassen, heißt
aus der Not eine Tugend machen, und wenn sich
ein Dichter rühmt, nur Buchdramen zu schreiben,
weil er zu künstlerisch vergeistigt ist, um dem Götzen
Publikum zu opferu, so heißt das mit anderen
Worten, er hat trotz vielen Bemühungen keinen
Theaterdirektor gefunden, der sein Stück zur Auf¬
führung bringen will. Ich möchte durch meine voran¬
gehenden Zeilen absolut nicht den Glauben er¬
tehen lassen, daß ich dem Buchdrama, einzig
und allein darum, weil es eben nur „Buch“ ge¬
blieben ist, gewisse Werte abspreche.
Im
Gegenteil. Hat uns nicht Johann Wolf¬
gang von Goethe einen zweiten Teil
zum
„Haust“, hinterlassen und Christian
Dietrich Grabbe den „Napoleon“ und den
„Herzog Theodor von Gothland“? Sind
das nicht Buchdramen, wenn man auch in
neuester Zeit die Versuche gemacht hat, sie
bühnengerecht zu machen? Hat nicht erst
üngst Arthur Schnitzler mit seinem „Reigen“
bewiesen, daß gerade einem Buchdramo bedeutende
künstlerische Qualitäten innewohnen können? Doch,
gerats ich da in puncto Schnitzler nicht in
Widerspruch zu meinen früheren Behauptungen?
Nein, Schnitzler z. B. mußte von vornherein
felsenfest davon überzeugt gewesen sein, daß die
von ihm so meisterhaften Schilderungen durch
ihren erotischen Gehalt von öffentlichen Vos¬
führungen ausgeschlossen seien. Er konnte aber recht
wohl wissen, daß eben das Equivogue der
Szenenreihe eine behördliche Konfiskation und
damit eine gesteigerte Nachfrage nach dem Buche
m Gefolge haben werden. Und er hat sich nicht
getäuscht. Ja, Buchdramen verlangen eben weit
mehr als alles andere nach einem Blicke hinter
die Kulissen. Und es ist eigentlich ein un¬
erschöpfliches Thema, das Buchdrama ..
Leo Heller.