II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 48

11.
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Reigen
daß Schnitzler seinen „Reigen“, der nichts anderes ent¬
hält als unzüchtige Gespräche und (in Gedankenstrichen
ausgedrückte) Handlungen, von je zwei Personen aus
zwei verschiedenen Standesklassen bereits vor Jahren
für seine intimen Freunde und Schätzer in numerierten
Exemplaren herausgab und doch hatte keiner von diesen
besonders feinen Kennern und Schätzern den Eindruck
eines außerordentlichen Kunstwerkes. Und fürwahr, die
Herrenabende-Literatur bietet nicht weniger, was eben¬
so geistvoll oder wie man es nennen mag, ist als
Schnitzlers „Reigen“. Erst als das bekannte Verbot
kam und Hermann Bahr sich justament darauf versteifte,
den „Reigen“ vorzulesen, erst als rekurriert und an der
Universität relegiert wurde, da entdeckte das große
Publikum den hohen Kunstwert des „Reigens“ der den
Besitzern der numerierten Exemplare bisher verborgen
geblieben war. Herr Schnitzler mag auf dieses Lob des
Publikums besonders stolz sein. Denn in „Kunst“fragen
ist das Publikum stets ein kompetenter Richter sobald
es lobt, sobald es aber tadelt oder ablehnt, versteht
es nichts von Kunst. Und diesmal hat es sich sogal
das Buch der Saison geschaffen, was doch sonst Sache
des Verlegers oder der Zeitungsschmöcke größeren
Stils ist.
Ein Buch, das auch eine Zeitlang Buch der Saison
war, ist Gustav Frenssens „Jörn Uhl“. Uns Süd¬
deutschen als Publikum hat das Werk eigentlich durch¬
aus nicht so besonders zugesagt. Der Erfolg und der
Ruhm des Buches wurde im Norden gemac
Und was
Süddeutschland von dem Buche hörte, war entweder
norddeutsche Kritik oder das Urteil geistig hochstehender
Männer, die an dem Buche allerdings viel zu loben
fanden. Das große Publikum lieh sich denn auch das
Buch wacker aus, legte es aber meist unbefriedigt aus
der Hand. Es war nicht das Echo seiner Seele. Und
über diese Uni efriedigtheit muß man sich eigentlich
wundern, denn das Buch ist in erster Linie ein trösten¬
des, erst in zweiter Linie nationales Buch. Und das
Nationale macht heute, in Deutschland mindestens, noch
viel bei Büchern.
Aber auch das Antinationale. Das sehen wir an
dem momentan modernen Buch der Saison, Leutnant
Bilses „Aus einer kleinen Garnison“. Es ist elend ge¬
schrieben. Der Verfasser hat auch wie jeder brave
Dilettant dem Verleger Herrn Richard Sattler in Braun¬
schweig die Druckkosten bezahlt. Daraus sieht man
wieder, daß man sich, wenn man will und Geld hat,
ein Buch drucken lassen kann, wie man sich Visiten¬
karten drucken läßt. Und daß dieses Buch sogar einen
kolossalen Erfolg haben kann, beweist uns Leutnant
Bilse. Aeußere Ereignisse haben dieses Buch zu einer
Sensation gemacht und das Interesse des Publikums,
das an erstklassigen Werken, wenn es nicht Dramen
sind, teilnahmslos vorübergeht, erregt und das Buch,
das uns Oesterreicher eigentlich gar nichts angeht (denn
wir haben ja bereits unseren Leutnant Gustel), wird
auch hier stark gelesen.
Als letztes unter den Büchern der Saison möchte
ich die hechbedeutsamen, anonymen „Briefe, die ihn nicht
erreichten, anführen, die bei den Gebrüdern Paetel in
Berlin eben zum 50. Mal aufgelegt werden. Wer die
Verfasserin ist, mag man aus dem Briefkasten des
„Literarischen Echos“ entnehmen. Wir sind nicht so
geschwacklos, eine gewollte Anonymität zu enthüllen,
wenn auch ihr Werk vom Ruhme erhellt ist. Die Briefe
sind das zarte Geschenk einer in aller Welt herum¬
kommenden Gesandtensfrau an einen in Peking weilen¬
den Freund, den sie durch die Ferne und durch den
Tod ihres seit langem unheilbar wahnsinnigen Gatten
als den von Gott für sie bestimmten Geliebten erkennt.
Wie sie dann kurz nach dieser Erkenntnis von der
Belagerung Pekings erfährt, in Angst und Pein um den
Geliebten schwebt, schließlich die kurze und unbestimmte
Nachricht empfängt, daß er jedenfalls tot sein dürfte
das ist wunderbar und mit den einfachsten Mitteln
herzergreifend dargestellt. Mag auch der Stand der
Verfasserin und die Anonymität manches zu dem Buche,
das wohl viel Wahrheit und wenig Dichtung enthält,
beigetragen haben — dennoch kann man von ihm nicht
sagen, daß an diesem Buche der Verlag der bessere
Teil wäre und die Auflagenhöhe dieses Werkes ist ihm
im Interesse aller Leser herzlich zu gönnen.