II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 53

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11. Reigen
gerundete, vor dem Spiegel einstudierte Bewegungen
kräftiger Gliedmaßen. Keine Spur, nicht der leiseste
Ansatz zum Rhythuns, keine Abwechslung, keine Bravour,
nicht ein Funken von Temperament. Zweite Enttänschung
Das sollte die neue Schönheitslinie sein? Die mußte ja
mehr oder minder jede halbwegs ausgebildete Ballerine
beherrschen, und noch eine Unsumme von Technik dazu
von der das Fräulein Duncan keine Ahnung zu haben
scheint! Und was soll denn überhaupt diese ganze
„Idyllentänzerei“?! Die Schäferin, die um ihren Ge¬
liebten trauert, die Bajadere, die sich ihren Rajal
erlangen will, Jo, die vor dem herrannahenden
Zeus erzittert, der Bienentanz, der Fächertanz, das
sind ja lanter uralte Balletteinlagen, die
alle schon viel besser und in unterhaltender Um¬
gebung gesehen hat! Und da hat man wenigstens immer
gewußt, worum es sich handelt, während man aus
den affektierten Posen der bloßfüßigen Dame da droben
gar nicht klug werden kann. Dritte Entläuschung. Na
und die bloßen Beine und ihre ditto Fortsetzung — was
Außerordentliches, als höchstens, daß es ihr die Polizei
erlaubt, ist daran auch nicht zu finden. Vierte Ent¬
täuschung. Man verließ das Haus, in dem man vor ein
und derselben Dekoration eine Frauensperson etwa eine
Stunde lang regellos umherspringen gesehen hatte, mit
dem Gefühle einer beispiellosen Oede, mit der dunklen
Ahnung, für einen grimmigen Aufsitzer ein Heidengeld
hinausgeworfen zu haben. Aber: das behielt „man
klüglich für sich. Und so kam es, daß, trotzdem die
Reklametänzerin bei ihrem Debüt um ein Haar lautlos
durchgefallen wäre, „man“ auch ihre folgenden Vor¬
stellungen besuchte. Mochte ein Besonnener einen anderen
noch so eindringlich vor dem Hereinfall warnen — es
nützte nichts, der andere ging hin und ließ sich willig um
sein Geld und oft auch um seine Ueberzeugung prellen.
Also auch hier die vierte Dimension als Siegerin
über jede bessere Einsicht.
Drehen wir nun das Kaleidoskop wieder nach der
literarischen Seite hin. Da fällt eine wunderliche Kon¬
stellation auf. Ein Literat wird mit einer Ehrengabe
ausgezeichnet, deren Verleihung im Namen und im Sinne
eines der vornehmsten Geister Oesterreichs erfolgt. Genau
zur selben Zeit veröffentlicht dieser Literat ein Buch,
dessen Inhalt und Darstellungsweise das Sittlichkeits¬
gefühl jedes anständigen Menschen aufs gröbste verletzen
muß. Es ist die Sammlung „Reigen“, zehn Dialoge von
Artur Schnitzler. Das Buch nimmt genau denselben
lirerarischen Rang ein wie jene Preßerzeugnisse, die von
Hausierern insgeheim in Gasthäusern feilgeboten und von
verdorbenen Schuljungen „unter der Bank“ gelesen werden.
Es läßt sich daraus nur das eine entnehmen, daß der
Verfasser das Metzenwesen aller Stände in Wien genau
in Augenschein genommen hat und aus diesen Kreisen
die ethischen Momente seiner Psychologie holt. Ein anderes
Wien als das Wien der Buhlerin kennt er nicht, was
er übrigens auch in seinen früheren Schriften bewies. Es
wäre also über das wertlose Buch, bei dem nur auffällt,
daß es nicht verboten wurde und daß sein Verfasser
nicht ein zünftiger, verachteter Pornograph, der Autor
obszöner literarischer Photographien ist, sondern auf den
Titel Schriftsteller Anspruch macht und aus der Bauern¬
feld=Stiftung preisgekrönt wurde, an sich nichts zu be¬
merken. Aber just diese horrende, verletzende Dissonanz
zwischen der Bewerbung des „Dichters“ und seinem
Werke bildet den Schlager. Es bliebe, witzlos=gemein,
wie es ist, ungelesen, hieße sein Verfasser Müller oder
Lehmann; aber das Werk des „Dichters“ Schnitzler, das
den sexuellen Schmutz aufwühlt, wird einen kolossalen
Absatz finden und selbst die vorstehenden, gewiß nicht
empfehlenden Zeilen tragen dazu bei. Schnitzlers Speku¬
latton in der Wahl des Zeitpunktes für die Herausgabe
dieser vor 6 bis 7 Jahren geschriebenen Dialoge war
eine kluge. Er kennt nicht bloß die Gemüter von Dirnen,
sondern offenbar auch die Macht der vierten Dimension
Wir haben sie nun an einigen Fällen illustriert, die
leicht zu vermehren wären, z. B. durch die Geschichte von
der Märchentiara; des obskuren Skythenkönigs Saita¬
phernes. Und wir wissen auch, wer auf unspiritistischem
Gebiete ihre mise en sedne besorgt, von Trebitsch bis
Schnitzler, von dem Impresario der Duncan, Alexander
Groß, bis zum Verfertiger des „antiken“ Helms, Israel
Rachumnovsky. Nur die Anna Rothe, die ihre Geister
aus dem Reiche der vierten Dimension plump und
lächerlich sächseln ließ, steht dem Stamme nach abseits.
Und die ist auch glücklich wegen Schwindels auf drei¬
einhalb Jahre eingesperrt worden.
1—.
Die Tochter
Die Gegend des oberen Od
noch von den Zügen des sudet
iumt wird und wo, fast gegen
Vorberge der Beskiden ihre rui
heben, ist trotz dieser Zeugen der
zeitliches Land, dessen Geschichte
mit dem alten historischen Abel
blicken ja zurück auf epochale
weltgeschichtliche Ereignisse aus
vanderung, und hie und da wu
zerstört, als jene schlefischen Gebi
der Geschichte traten.
Aber interessant und lehrreic
Gegend deshalb doch nicht mi
soeben vollendet vorliegendes dan
werk zur Geschichte der österreich
Odrau und ihres Bezirkes*),
Folgerung und alles weiterfü
nthält, zum Anlaß dieser Zeilen
eben um des Interesses will
beschreibung dieser von schwerge
heit freien Landstriche bietet.
I
ist österreichisch im Sinne der
elbst und nicht minder sind
Desiderien, die sich aus der Betr
heit und Gegenwart dieser Orte
Ueber die Zeiten des österre
die Geschichte von Odrau nicht
diese Gegenden von Marbods Mi
Böhmen und Mähren zu Anfar
Rom bedrohte, meteorgleich entste
von Hermann dem Cherusker besi
löschend. Kaum wissen sie et
lavischem Staate, in dem zum
jenes Geistes zu erkennen sind,
später in den Hussiten aufloderte
unität fortlebte, die jene Landst
einflußt haben. Nur die Sage we
*) Geschichte der Stadt und des
Professor Anton Rolleder in Steyr. 19