II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 78

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Reigen
Wir bemerken ausdrücklich, daß laut einem uns zuge
aul Wansen und in be¬
gangenen Berliner Privattelegramm auch im national¬
liberalen Zentralbureau 51 Mandate gezählt
on der Algemeinen Zeitung
sind.
Von dem Rückgang des Zentrums um bisher
inchen, Bayerstrasse 57/59.
Die zehn Gespräche „Reigen“ demonstrieren das Be¬
Beilage zur Allgemeinen Zeitung
nehmen des Männchens und des Weibchens vor und nach
Artikel: Zur Ethik des Gesamt¬
demjenigen Vorgang, dem wir alle unser Dasein ver¬
old (München); sodann den Schluß der
danken. Die zehn Personen sind: 1. die Dirne
Mörikes an seine Braut.
2. das Stubenmädchen, 3. die junge Frau, 4. das
üße Mädel, 5. die Schauspielerin, 1 a. der Soldat,
2 a. der junge Herr, 3 a. der Ehegatte, 4 a. der Dichter,
uilleton.
5 a. der Graf. Die Handlung entwickelt sich folgender¬
maßen: 1 + 1a; 1a + 2; 2 + 2a; 2a + 3;
3 + 3a; 3a + 4; 4 + 4a; 4a + 5; 5 + 5a
hlers „Reigen“
5 a + 1. — Die Dialoge sind so ausgetüftelt, berechnet
pdes Münchner Akademisch=dramatischer
und absichtlich, daß nur eine arithmetische Formel zur In¬
Kaimsaal, 25. Juni 1905.)
haltsangabe geeignet erscheint. Die Szenen sind, wie alles
kleinen Gesprächen, die der Wiener
von Schnitzler, mit jener mechanischen Präzision gearbeitet,
Schnitzler im Jahre 1900 als
die genügsame Kritiker raffiniert nennen; die Rädcher
1903 für die Oeffentlichkeit drucken
greifen ineinander wie bei einem Uhrwerk. Niemand wird
Akademisch=Dramatischen Vereine
von einem Uhrwerk verlangen, daß es Seele, Feuer,
ublikum aufgeführt worden. Das
Schwung oder Humor habe. Anders liegt der Fall bei
schienene Buch hat verschiedene Mei
einem Kunstwerk, anders vor allem bei einem Drama. Mit
und wider veranlaßt. Die Urteile
blasiertem Zynismus zeigt Schnitzler, daß auch für die
bkala vom Hymnus bis herab zun
Liebe das Wort gilt: Plus ga change, plus c’est la
sanwalt. Es scheint daher geraten
des
mème chose. Es ist der verächtliche Pessimismus
enfolge des Entstehens die Geschichte
Goetheschen Mephistopheles, von dem aus die Liebe
n Buches, sowie die Etappen seiner
beurteilt wird: „... und dann die hohe Intuition
effentlichkeit zu betrachten.
darf nicht sagen — wie — zu schließen!" Der psychologische
hat durch seine Schauspiele (Anatol
Verlauf jedes einzelnen Dialoges läßt sich nur in zwei la¬
894: Liebelei 1895; Freiwild 1896
teinischen Hexametern andeuten:
8; Paracelsus, Die Gefährtin, Der
Visus, colloquium, risus, post oscula tactus,
teigen 1900: Der Schleier der Bea¬
Post tactum factum; post factum poenitet actum.
Stunden 1902), sowie durch mehrere
r vordersten Plätze in der gegen¬
Ueberhaupt ließe sich der Bericht über Schnitzlers Dia
eratur errungen. Er ist verschiedent
oge leichter lateinisch als deutsch schreiben, wie die alten
en, auch — wenn wir uns nicht irren
Moralisten es auch zu tun pflegten, wenn dieses Gebiet zu
rung, die sein Vaterland dem drama¬
behandeln war.
Zehnmal hintereinander wiederholt
rleihen kann, den Grillparzer=Preis.
Schnitzler: Dumm und verächtlich sind Männchen und
nien geachteten Namen durch achtbare
Weibchen, lächerlich in ihrer dumpfen Brunst, widerlich und
er hat diesen Namen zu bewahren:
roh in ihrer Ernüchterung. Auch größeren Dichtern ist
aufs Spiel setzen.
dieser Gedanke nicht fremd gewesen; sie haben ihn vor¬
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ungünstigsten Fue immer noch ihren Besitzstand in
Bayern wahren.
Das Zentrum konnte in der Stichwahl zwar den
Wahlkreis Würzburg behaupten, verlor aber für den Wahl¬
kreis Wasserburg, den es dem Bauernbund abgenommen, an
übergehend da und dort in einem Werke niedergelegt. Aber
ie haben nicht im physiologischen Vorgang das Wesen der
Liebe gesehen; sie haben nicht diese eine Art, die Dinge zu
betrachten, einseitig in einem einzigen Werke bis zum Ekel
gen, die jahrtausendalte Verrlärung der Liebe ignoriert; sie
haben nicht zehnmal dem Leser die Nase in den Kot ge¬
toßen. Das alles aber hat Schnitzler getan. Angen immen,
däß er in einer bestimmten Hinsicht recht habe, daß, die vor
allem Schopenhauer großartig auseinandersetzt, die Er¬
haltung der Gattung der Liebe tiefster Sinn und letztes
Ziel sei: dennoch hat Schnitzler in der Hauptsache unrecht.
Seit Menschen denken und dichten, ist ihr Bestreben gewesen,
gerade diesen Trieb zu sublimieren; alle Zartheit und
Innigkeit des Gemütes, alles was an Verklärungskünst¬
und Veredelungsmöglichkeiten, an Feierlichkeit und holder
Schwärmerei, an philosophischer Vertiefung, häuslichem
Glück und religiöser Weihe in ihrer Macht lag, haben die
Menschen dankbar und hoffend um die Liebe gekränzt. Sie
haben dunkel gefühlt, daß die höhere, heiligere, vornehmere
Auffassung der Liebe sie vor allem vom Tier unterscheide;
die Geschichte der menschlichen Kultur und die Geschichte der
Anschauungen über die Liebe gehen parallel. Die Reli¬
zionen aller Völker, die Dichtung der gesamten Menschheit,
das Sinnen und Sehnen von Millionen Liebenden hat aus
er Liebe etwas Beglückenderes, Vornehmeres, Geweihteres
gemacht; wir haben die Liebe vermenschlicht, verschönt, mit
Geheimnis und Ergriffenheit umhüllt,
da tritt Schnitzler

herein in den großen und reinen Menschheitstempel der
Liebe und zeigt höhnend, daß auch Romeo und Julie im
Grunde nur ein lüsterner Bube und seine dumme Dirne
waren! Es ist wie wenn er ein Hundepaar vor einer
Aphroditestatue sich paaren ließe!
Es ist Schnitzlers gutes Recht, die Liebe aufzufassen
wie er will. Aber es ist auch unser gutes Recht, diese Auf¬
fassung als unkünstlerisch, als kulturfeindlich, als vom
Standpunkt jeder Sittlichkeit aus unsittlich zu empfinden.
Es stand Schnitzler frei, sein Werk zu verfassen; es
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