11. Reigen
mlchter Sinterlist
ist bezeichnend genug für die eigentümlichen
ner Theaterverhältnisse, daß die interessante
d literarisch wertvollsten Schauspielpremieren
er Reihe von Jahren durch den Akademisch
ischen Verein veranstaltet werden. Eine Hand
nger Leute also, die noch die Hochschule be¬
und keine irgendwie geartete finanzielle oder
Unterstützung von autoritativer Seite ge¬
bringt es hier zuwege, literarisch tatsächlick
ren. Wir verdanken dieser kühnen und zumeist
#tem Geschmacke geleiteten Vereinigung ein
Reihe origineller, zum Teile hochbedeutsamer
and Uraufführungen, und gar manches Stück,
den Separatvorstellungen dieses Vereines
Verprobe bestanden, wurde dann in das Reper¬
mer der hiesigen Bühnen übernommen (z. B.
enster" und „Wildente“ von Ibsen, „Jugend
albe, „Weber“ und „Einsame Menschen“ von
nann, „Über unsere Kraft“, 1. Teil, von
son u. s. w.). Eine Vorstellung dieses Ver¬
bedarf daher längst keiner besonderen Reklame
Das gesamte literarische und künstlerische
hen bemüht sich, dort gesehen zu werden, und
findet daher fast immer volle Häuser. Noch sel
er war der Andrang so stark gewesen, wie an¬
der letzten Aufführung, die vor geladenem
kum stattfand. Der ganze große Kaimsaal, der
ommer ein mittelmäßiges Volkstheater=En¬
ebeherbergt, war dicht besetzt von einem ele¬
n Publikum, das freilich diesmal weniger das
rische Interesse, als vielmehr eine sehr pitante
tion angelockt hatte, denn das Programm ver
u. a. einige Dialoge aus Schnitzlers schnell
mt gewordenen Buche „Reigen“.
as in nervöser Spannung harrende Publikum
box 17/2
wurde durch ein als Entree gebotenes einaktiges
Drama, „Die Tragödie des Triumphes“ von Karl
Goldmann, auf eine harte Probe gestellt. Das
Stück ist eines der nachgerade etwas in Mißkredit
geratenen sogenannten Künstlerdramen. Der Bild
hauer Walter besitzt ein ganz ungewöhnliches Ta¬
lent, den Beruf zur Ewigkeit. Aber das Lehen, das
brutale Alltagsleben mit seinen Sorgen und kate¬
gorischen Forderungen reißt ihn aus seiner glänzend
begonnenen Laufbahn heraus. Und die angefangene
Marmorgruppe des sterbenden Siegers leibt un¬
vollendet. Da besucht ihn zufällig ein Freund aus
seinen früheren, werkfrohen Jahren. Der Beredsam¬
eit dieses Schwärmers gelingt es, dem schon fast
Verzweifelten wieder den Glauben an sich selbst und
eine Zukunft zurückzugeben. Ja, sogar seiner Braut
will er im Interesse seiner Kunst entsagen. Aber der
Vater dieser Dame will nichts davon wissen, auch
dann nicht, als die Braut selbst in einer Anwand
lung heroischen Sinnes den Geliebten freigibt. Nun
will der Freund allein den Kampf mit dem wider¬
spenstigen alten Herrn ausfechten. Aber dieser weicht
keinen Schritt, und als ihn der Freund mit dem
Hinweis auf den herrlichen Torso, der seiner Aus
führung und Vollendung harrt, zum Verzicht bewe
gen will, da ergreift er den Hammer und holt zum
Schlage gegen den Marmor aus. Der Freund wirft
sich dazwischen, und so trifft ihn der tödliche Hieb
Der Bildhauer findet einen Sterbenden, das bre¬
chende Auge des Freundes aber, der im Tode
triumphiert, wird ihm das lange vergebens gesuchte
Vorbild für das Auge des sterbenden Siegers sein,
den er nun gewiß vollenden wird.
Es ist nicht zu leugnen, daß manche hübsche
Idee hier im Keime eingeschlossen ruht. Es kommt
jedoch nichts davon zur Entfaltung; das aber, was
geschieht, ist banal, brutal und nicht selten kolpor¬
tagereif bis zur Unerträglichkeit. Jeder Einsichtige
4
.e.
1
hätte dem Autor sagen können, daß derartig kom¬
plizierte Stoffe sich nicht ohne Gewalttätigkeiten in
einen Einakter pressen lassen. Eine Novelle wäre dem
Vorwurfe wohl besser gerecht worden. Als Drama
aber ist die Arbeit ganz und gar verfehlt, und so
nag es der Verfasser sich selbst zuschreiben, wenn
er ausgezischt wurde. Übrigens soll er erst 18 Jahre
alt sein. Andere behaupten allerdings, er sei schon
9. Da war es freilich höchste Zeit, daß die Welt
etwas von ihm erfuhr. Denn, wer weiß, vielleicht
hat er sich mit 25 Jahren schon längst eine Welt¬
anschauung erworben und das Dichten aufgegeben.
Bis dahin also muß der Name literaturfähig sein.
Und dann kam Schnitzler zu Worte. Zum
mindesten langweilte man sich bei ihm nicht. Die
Technik und Dialogführung verriet den erfahrenen
Könner. Man hört selten so graziöse, natürliche und
fein pointierte Wortgefechte auf der Bühne.
Alle zehn Dialoge dieses Buches, bei dessen Be¬
urteilung die Anschauungen so weit auseinander¬
gehen, daß eine Einigung wohl nie zu erzielen sein
wird, behandeln das sexuelle Problem, und zwar
mit einer Rücksichtslosigkeit, die unbedingt verletzen
müßte, wenn sie nicht durch eine entsprechend starke
Dosis von Witz und Geist zum Teile paralysiert
würde. Erst die Zubereitung macht diese Ungeniert¬
heiten halbwegs genießbar; sie umgibt sie mit einem
iterarischen Nimbus. Freilich, seien wir offen: diese
unleugbaren literarischen Qualitäten werden nur
wieder solchen Lesern bewußt, die feinfühlig genug
sind, überhaupt literarisch empfinden zu können,
Lesern, denen das Wie wertvoller ist als das Was.
Die große Masse der Durchschnittsleser aber wird
dieses Buch nicht um seiner eleganten, künstlerischen¬
Form willen lesen und verschlingen, sondern nur
wegen seines ganz ungewöhnlich pikanten Inhaltes.
Und das „war doch wohl nicht die Absicht“? Sämt¬
liche Handlungsreisende werden den „Reigen“ in
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mlchter Sinterlist
ist bezeichnend genug für die eigentümlichen
ner Theaterverhältnisse, daß die interessante
d literarisch wertvollsten Schauspielpremieren
er Reihe von Jahren durch den Akademisch
ischen Verein veranstaltet werden. Eine Hand
nger Leute also, die noch die Hochschule be¬
und keine irgendwie geartete finanzielle oder
Unterstützung von autoritativer Seite ge¬
bringt es hier zuwege, literarisch tatsächlick
ren. Wir verdanken dieser kühnen und zumeist
#tem Geschmacke geleiteten Vereinigung ein
Reihe origineller, zum Teile hochbedeutsamer
and Uraufführungen, und gar manches Stück,
den Separatvorstellungen dieses Vereines
Verprobe bestanden, wurde dann in das Reper¬
mer der hiesigen Bühnen übernommen (z. B.
enster" und „Wildente“ von Ibsen, „Jugend
albe, „Weber“ und „Einsame Menschen“ von
nann, „Über unsere Kraft“, 1. Teil, von
son u. s. w.). Eine Vorstellung dieses Ver¬
bedarf daher längst keiner besonderen Reklame
Das gesamte literarische und künstlerische
hen bemüht sich, dort gesehen zu werden, und
findet daher fast immer volle Häuser. Noch sel
er war der Andrang so stark gewesen, wie an¬
der letzten Aufführung, die vor geladenem
kum stattfand. Der ganze große Kaimsaal, der
ommer ein mittelmäßiges Volkstheater=En¬
ebeherbergt, war dicht besetzt von einem ele¬
n Publikum, das freilich diesmal weniger das
rische Interesse, als vielmehr eine sehr pitante
tion angelockt hatte, denn das Programm ver
u. a. einige Dialoge aus Schnitzlers schnell
mt gewordenen Buche „Reigen“.
as in nervöser Spannung harrende Publikum
box 17/2
wurde durch ein als Entree gebotenes einaktiges
Drama, „Die Tragödie des Triumphes“ von Karl
Goldmann, auf eine harte Probe gestellt. Das
Stück ist eines der nachgerade etwas in Mißkredit
geratenen sogenannten Künstlerdramen. Der Bild
hauer Walter besitzt ein ganz ungewöhnliches Ta¬
lent, den Beruf zur Ewigkeit. Aber das Lehen, das
brutale Alltagsleben mit seinen Sorgen und kate¬
gorischen Forderungen reißt ihn aus seiner glänzend
begonnenen Laufbahn heraus. Und die angefangene
Marmorgruppe des sterbenden Siegers leibt un¬
vollendet. Da besucht ihn zufällig ein Freund aus
seinen früheren, werkfrohen Jahren. Der Beredsam¬
eit dieses Schwärmers gelingt es, dem schon fast
Verzweifelten wieder den Glauben an sich selbst und
eine Zukunft zurückzugeben. Ja, sogar seiner Braut
will er im Interesse seiner Kunst entsagen. Aber der
Vater dieser Dame will nichts davon wissen, auch
dann nicht, als die Braut selbst in einer Anwand
lung heroischen Sinnes den Geliebten freigibt. Nun
will der Freund allein den Kampf mit dem wider¬
spenstigen alten Herrn ausfechten. Aber dieser weicht
keinen Schritt, und als ihn der Freund mit dem
Hinweis auf den herrlichen Torso, der seiner Aus
führung und Vollendung harrt, zum Verzicht bewe
gen will, da ergreift er den Hammer und holt zum
Schlage gegen den Marmor aus. Der Freund wirft
sich dazwischen, und so trifft ihn der tödliche Hieb
Der Bildhauer findet einen Sterbenden, das bre¬
chende Auge des Freundes aber, der im Tode
triumphiert, wird ihm das lange vergebens gesuchte
Vorbild für das Auge des sterbenden Siegers sein,
den er nun gewiß vollenden wird.
Es ist nicht zu leugnen, daß manche hübsche
Idee hier im Keime eingeschlossen ruht. Es kommt
jedoch nichts davon zur Entfaltung; das aber, was
geschieht, ist banal, brutal und nicht selten kolpor¬
tagereif bis zur Unerträglichkeit. Jeder Einsichtige
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hätte dem Autor sagen können, daß derartig kom¬
plizierte Stoffe sich nicht ohne Gewalttätigkeiten in
einen Einakter pressen lassen. Eine Novelle wäre dem
Vorwurfe wohl besser gerecht worden. Als Drama
aber ist die Arbeit ganz und gar verfehlt, und so
nag es der Verfasser sich selbst zuschreiben, wenn
er ausgezischt wurde. Übrigens soll er erst 18 Jahre
alt sein. Andere behaupten allerdings, er sei schon
9. Da war es freilich höchste Zeit, daß die Welt
etwas von ihm erfuhr. Denn, wer weiß, vielleicht
hat er sich mit 25 Jahren schon längst eine Welt¬
anschauung erworben und das Dichten aufgegeben.
Bis dahin also muß der Name literaturfähig sein.
Und dann kam Schnitzler zu Worte. Zum
mindesten langweilte man sich bei ihm nicht. Die
Technik und Dialogführung verriet den erfahrenen
Könner. Man hört selten so graziöse, natürliche und
fein pointierte Wortgefechte auf der Bühne.
Alle zehn Dialoge dieses Buches, bei dessen Be¬
urteilung die Anschauungen so weit auseinander¬
gehen, daß eine Einigung wohl nie zu erzielen sein
wird, behandeln das sexuelle Problem, und zwar
mit einer Rücksichtslosigkeit, die unbedingt verletzen
müßte, wenn sie nicht durch eine entsprechend starke
Dosis von Witz und Geist zum Teile paralysiert
würde. Erst die Zubereitung macht diese Ungeniert¬
heiten halbwegs genießbar; sie umgibt sie mit einem
iterarischen Nimbus. Freilich, seien wir offen: diese
unleugbaren literarischen Qualitäten werden nur
wieder solchen Lesern bewußt, die feinfühlig genug
sind, überhaupt literarisch empfinden zu können,
Lesern, denen das Wie wertvoller ist als das Was.
Die große Masse der Durchschnittsleser aber wird
dieses Buch nicht um seiner eleganten, künstlerischen¬
Form willen lesen und verschlingen, sondern nur
wegen seines ganz ungewöhnlich pikanten Inhaltes.
Und das „war doch wohl nicht die Absicht“? Sämt¬
liche Handlungsreisende werden den „Reigen“ in
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