II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 109

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Dr. Max Goldschmidt
. Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eisene Korrespondenten.
Berlin #1. 24.
Telephon: III, 3051.

Ausschnitt aus
Berliner Neueste Nachrichten
1.12.03
Feuilleton
Der akademisch - dramatische Verein
in München
Der akademisch=dramatische Verein bestehl
seit 1892 an der Münchener Universität; der Ton liegt auf dem
Dramatisch, denn akademisch waren seine Mitglieder nur inso
fern, als sie Studenten waren. Was wir sonst akademisches
Leben nennen, nicht immer billigen, aber stets verzeihen, lag
hinter ihnen im wesenlosen Scheine. Kaffee und Limonade still¬
ten ihr Durstgefühl, moderne und modernste Literatur war Ur¬
sprung und Quickborn ihrer Begeisterung. Mit soignierten
Händen und gewählten Haartouren im Schmucke himmelhoher
kragen und tieftragischer Kravatten suchten sie schon äußerlich
sich von der mützentragenden, bier= und waffenfrohen akademi¬
schen Jugend zu unterscheiden. Doch haben sie auf dem eigent¬
lichen Felde ihrer Betätigung, dem dramatischen Gebiete, sich
unleugbare Verdienste erworben. Untei der sachverständigen
Beihilfe erfahrener Literaten und Schauspieler hat dieser Ver¬
ein dem Münchener Publikum in geschlossenem Kreise zuerst eine
Reihe von Stücken vorgeführt, die inzwischen zum Teil Allge¬

meingut geworden sind, zum Teil aber auch noch immer ihrer
öffentlichen Aufführung harren. Ibsens „Gespenster“, „Ras¬
mersholm“ „Wildente", „Baumeister Solneß", Gerhart
Hauptmanns „Einsame Menschen“, Weber", „Friedens¬
fest“, Ruederers „Fahnenweihe", Wildes „Salome“ sind
z. B. einige der von ihnen gebotenen, nicht immer vollendeten,
aber stets genießbaren Leistungen. Im Juli d. J. verführte nun
ein böser Dämon den Dramatischen Verein, drei Nummern von
Schniblers Reigen zu#
ngnis, welches in der
Kritik augemeine Mißbilligung fand und mit
Recht finden mußte. Man hatte nicht einmal den Mut der Kon¬
equenz, indem man die bekannten, aus Gedankenstrichen bestehen¬
den Zeilen wegließ, und damit die kleinen Sauspiele, wie sie eine
hiesige Zeitung nannte ihrer Pointen beraubte. Denn der Schuf
besteht nun eiumal nicht im Zielen, sondern im Losdrücken. Die
Allg. Ztg.“ sagt jetzt sogar, der Verein habe durch die lasziven
Schmtlerschen Zötchen einen Kassenerfolg erzielen wollen, um ein
von früher her bestehendes Defizit zu decken; die darstellenden
Vereinsmitglieder wagten es nicht einmal, unter ihrem wahren
amen a fzutreten. Zunächst erfolgte von seiten der akademi¬
schen Bebörden wohlgemerkt trotz der Besprechungen in öffent¬
lichen Blättern nichts; aber mit Beginn des genen Semeziers
wurden dem akndemisch=dramatischen Verein die üblichen
Semesteranschläge am schwarzen Brett der Universieät untersagt.
Der ganze Vorgang würde um so weniger Bedeutung haben,
da sich inzwischen in München eine dramatische Gesellschaft ge¬
bildet hat, die erstens junge, noch unbekannte Autoren, deren
Werke Anspruch auf literarische Wertung erheben können, zu
Worte kommen läßt und zweitens solche Dranten zur Auf¬
ührung bringen will, denen aus irgend welchen Gründen, nicht
lediglich auf Grund eines zu befürchtenden oder schon bestehenden
Zensurverbotes, die hiesigen Bühnen verschlossen bleiben. Den
Ausschuß dieser neuen Gesellschaft bilden pekuniär und sozial un¬
#.#angige Herren, deren gereifterem Urteil man sich lieber an¬
vertrauen wird, als dem noch im Werden begriffener, nicht völlig
gereifter Jünglinge.
Das besondere Interesse weiterer Kreise erregt bei der Auf¬
lösung des akademisch=dramatischen Vereins der Umstand, daß
das Einschreiten der akademischen Behörden nicht eigener Initia¬
tive entsprang, sondern auf eine Verfügung des Kultusministe¬
eiums hin erfolgte. Die studentischen Korporationen, ihre Ten¬
denzen und ihr allgemeines Verhalten als akademische Bürger
unterstehen der Jurisdiktion des Rektorats und der übrigen Be¬
hörden der Universität; und es bedeutet ein desaren dieser Be¬
hörden und eine nicht geringe Verkümmerung dieser minimalen
Reste der früheren akademischen Freiheit, wenn diese Jurisdiktion
durch ministerielle Reskripte beeinflußt und gelenkt wird, wenn
sie auch formal nicht zu beanstanden ist.
Dieser Einfluß des Ministeriums erscheint aber in noch be¬
denklicherem Lichte durch die Vorwürfe, welche von einem Teil der
Münchener Presse bis jetzt unwidersprochen erhoben werden.
wird nämlich behauptet. auch das Kultusministerium habe nicht
aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern sei durch die ultramon¬
tane von Dr. Kausen herausgegebene Zeitung „Die Wahr¬
heit“ und durch eine deutliche Anspielung, welche Dr. Schäd¬
ler am 20. Oktober d. J. im bayerischen Landtag machte. ver¬
anlaßt worden. Man ist in den bayerischen Ministerien im all¬
gemeinen mit Berichtigungen recht schnell bei der Hand und da
sie nicht erfolgten, so läßt sich leider die Vermutung nicht ab¬
weisen, daß der geschilderte Zusammenhang tatsächlich besteht.
Zwar wird das Ministerium immer geltend machen können.
von Ende Juli bis Ende Oktober habe die akademische Tätigkeit
geruht und sei wegen der Ferien ein Einschreiten untunlich ge¬
wesen; doch wird es andererseits auch immer schlechte Menschen
geben, die aus dem wirklich vorhandenen post hoc auch auf das
propter hoc schließen. Die ministerielle Weisung an das
Rektorat ist namlich, wie wir bestimmt zu wissen glauben, später
erfolgt als Schädlers Rede.
Es war schwierig, über die ganze Lage zu schreiben, weil
man nicht gerne in den Verdacht kommen möchte, die einiger¬
maßen skandalöse Aufführung des akademisch=dramatischen
Vereins zu vertreten. Es sind nur die betrüblichen Neben¬
erscheinungen, die eine Kritik herausfordern, an sich wird man es
nicht unberechtigt finden, wenn eine studentische Gesellschaft auf¬
gelöst wird, die es sich offiziell gestattet, sexuelle Vorgänge derbster
Art auf offener Bühne vorzuführen.