II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 120

11.
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Reigen
6. Seito. Nv. 272.
Ein Reigen.
II.
Der Reigen um Schnitzlers Reigen geht weiter. Nur ist er aus
den lichten Höhen staatsmännischen Kalkuls, parlamentarischer Bered¬
samkeit und disziplinarischer Bedenklichkeit herabgeschwebt in die
staubigen Niederungen eines Zeitungs=Schuhplattlers. Atta Troll
Lraghendin berangenden Hochbrut.
Und schon hat auch die Rauferei begonnen. Oder ist es eine
regelrechte Fußballpartie? Die erhitzten Kämpfer schleudern sich den
Ball mit Eifer an die Köpfe, bald ist er in einem, bald im andern
Lager. Noch wogt der Kampf hin und her.
Denunziation heißt der Ball. Die Spieler aber sind: Bayerischer
Kurier, Augsburger Postzeitung und Gefolge und als einziger Gegen¬
part die Allgemeine Zeitung, deren „Liberalismus“ ich immer noch in
Gänsefüßchen setze, freilich nicht in „sittlich empörte“, wie sie bescheiden
meint, sondern in politisch hohnlachende.
Jetzt, da die Folgen der Verhetzung zutage treten, will niemand
mehr die Verantwortung dafür übernehmen. „Zweck des Artikels
nämlich dessen, auf die sich das Ministerium bezog — war ledig¬
lich, mit beizutragen, daß solche Dinge nicht mehr vorkommen. Wenn
das Ministerium aber weitergehen und das Kind mit dem Bade
ausschütten sollte, so müssen aber schließlich auch wir das
bedauern, wir müssen aber entschieden verlangen, daß man das
Verdienst jenem Blatte beläßt, dem es gebührt — der Münch. Allg.
Zeitung.“ Also das Bayer. Vaterland. Die Wahrheit, zumal die des
Herrn Dr. Kausen — des zweiten Kronzeugen der offiziellen An
klage — ist so selten, daß ich sie noch nicht zu Gesicht bekam. Halten
wir uns also an die offiziellen Zentrumsblätter. Der Bayer. Kurier
bläst gar sänftiglich in seine Schalmei, verweist aber um so geflissent¬
licher auf die Allg. Ztg. als die erste und letzte Ursache der ganzen
Verwickelung. Der Eifer ist so groß, daß Bedenken in mir aufsteigen
über diese absonderliche Schicksalsfügung, daß Herr Kausen nicht
minder als Herr Schädler, als sie die Polizei als letztes Rettungs¬
mittel alarmierten, sich ausdrücklich auf die Allg. Ztg. bezogen
und das Ministerium das ihm doch sonst sympathische Organ ganz
zu zitieren vergaß. Ein merkwürdiger Fall von Undankbarkeit. Die
Augsb. Postzeitung endlich stellt frohlockend fest:
„Die Oeffentlichkeit hat erst durch die liberale Allgemeine Zeitung
von den „Sauspielen“ des Akademisch=dramatischen Vereins erfahren.
Im Juliheft der „Wahrheit“ wurde mit Genugtuung darauf hinge¬
wiesen, daß wir einem Blatte, das wir sonst zu unseren Gegnern
zählen, in Fragen der öffentlichen Sittlichkeit auf Pfaden begegnen,
auf denen der natürliche Anstand und die christliche Sitte gedeihen.
Die liberale Allgemeine Zeitung hat sich damals ein wirkliches Ver¬
dienst dadurch erworben, daß sie in einen wahren Augiasstall studen¬
tischer Entartung hineinleuchtete.
Besonders erfreulich ist dabei die seltsame Hervorhebung des gar
nicht bestrichelten Liberalismns der Allg. Ztg. Es gibt also doch
noch Leute, die daran zu glauben scheinen. Selbstlos überläßt dann
die Postzeitung den Vorrang im Verdienst der teuren Kollegin mit
den Worten: „Andere mögen sich gerne mit fremden Federn schmücken
wollen. Wir gehören nicht zu dieser Sorte, und bitten deshalb, die Ehre
zu geben, dem Ehre gebührt.“ Indes ziert sich in einem
„Falsche Catonen“ überschriebenen Artikel die Allgemeine geschämig,
dies von erhabener Uneigennützigkeit eingegebene Lob sich an den Hut
zu stecken, und folgt ihren edlen Eingebungen einer erprobten Be¬
schwichtigungs=Hofrätin. „Ist die Maßregelung des akademisch¬
dramatischen Vereins so erfolgt, wie da mitgeteilt wird, dann würden
wir das nicht billigen.... Die Verirrungen vergangener Semester
darf eine in einem neuen Semester aus neuen Mitgliedern sich zu¬
sammensetzende Korporation nicht büßen. Es würde daher eine hin¬
reichende Pflichterfüllung der Kultusverwaltung und der Akademischen
Behörden gewesen sein, wenn sie sich zu Beginn des Semesters ver¬
gewissert hätten, daß derartige Entgleisungen... sich nicht wiederholen.“
Es scheint so beinahe alles in Ordnung zu sein. Niemand will
denunziert, niemand gehetzt haben. Milde trieft von allen Lippen.
Hoffen wir, daß auch der akademische Senat sich erweichen lassen wird,
Pengsbir uns des tiefen Abscheues vor der literarischen Denun¬
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sch
Münchener Post.
in dem bekannten Tone, worin alle Pfaffen aller Konfessionen sich zu
übertrumpfen suchen. Die banalste Ueberlegung hätte dem polternden
Herrn sagen müssen, daß der Künstler nicht verantwortlich ist für
die Dinge, die er schildert, daß die „Literatur und Poesie nicht die
Zustände erzeugen, sondern aus denselben hervorgehen“, was schon
Immermann wußte. Postkarten, Tingeltangel u. s. w. müssen alle
herhalten, um zu beweisen, „daß sich eine Art geistige Syphilis ver¬
und der Schmutz zum Himmel stinkt.“ Offenbar hat
breitet ..
Schnitzler diese Dinge alle erfunden, um sie schließlich durch den Reigen
zu bekrönen. Daß ein lateinisches Zitat aus Tacitus' Germania bei
einem akademisch gebildeteten Kritiker nicht fehlen konnte, war voraus¬
zusehen. Zum Beweise,
„daß auch er auf jener Bank gesessen,
wo man vieles lernt, um vieles zu vergessen“.
Doch genug. Wenn der Spießer, der auch in leidlich gebildeten
Menschen schlummert, einmal wild wird, schlägt er blindlings um
ich. In der Regel daneben. Denn der Erfolg dieser sensationell
aufgebauschten Kritik war offenbar eine höchst unfreiwillige Reklame
für den Reigen — und die Maßregelung des Akademisch=dramatischen
Vereins, die dersübereifrige Kritiker, wenn auch gewiß nicht beab¬
ichtigt, so doch fahrlässig verschuldet hat. Daß die Kritik, über deren
Rechte und Pflichten der redaktionelle Artikel der Allg. Ztg. so zu¬
tändig zu reden weiß, nicht dazu beitragen darf, der Kunst die
Polizei auf den Hals zu hetzen — darüber sollte Einstimmigkeit
herrschen.
Zu allem Ueberfluß will ich noch einmal betonen, daß ich es hier
nicht mit dem Wert oder Unwert von Schnitzlers Reigen oder von
dessen Aufführung zu tun habe, sondern mit der öffentlichen Ange¬
legenheit, die daraus geworden ist.
Der Akademisch=dramatische Verein wird in Zukunft, selbst wenn
er diesmal vom Rektorate gedeckt wird, wie es seine Pflicht wäre, da
es die Aufführung seinerzeit zugelassen hat, an der Universität schweren
Stand haben. Darum sollte er in die Oeffentlichkeit flüchten unter
den Schutz des gemeinen Vereins=Rechtes. Dann spart er all' den
Leuten, die so sehr um seine Moral besorgt sind, Mühen, Kummer
und Blamagen.
Oder sollen die Verse von Prutz immer Gültigkeit behalten, auch
für Staatsbürger, die unter Umständen bei den Wahlen das Recht
haben, ihre eigenen Professoren durchfallen zu helfen:
Das ew'ge Meer mit seinen Wogen
Mit seiner Ebbe, seiner Flut
Auf Flaschen wird's für Euch gezogen,
So ist's gesund, so schmeckt es gut.
kaf
sto
de
2
g
ge
w
ti
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3

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