II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 121

minder als Herr Schädler, als sie die Polizei als letztes Rettungs¬
mittel alarmierten, sich ausdrücklich auf die Allg. Ztg. bezogen
und das Ministerium das ihm doch sonst sympathische Organ ganz
zu zitieren vergaß. Ein merkwürdiger Fall von Undankbarkeit. Die
Augsb. Postzeitung endlich stellt frohlockend fest:
„Die Oeffentlichkeit hat erst durch die liberale Allgemeine Zeitung
von den Sauspielen“ des Akadeiisch=dramatischen Vereins erfahren.
Im Juliheft der „Wahrheit“ wurde mit Genugtuung darauf hinge¬
wiesen, daß wir einem Blatte, das wir sonst zu unseren Gegnern
zählen, in Fragen der öffentlichen Sittlichkeit auf Pfaden begegnen,
auf denen der natürliche Anstand und die christliche Sitte gedeihen,
Die liberale Allgemeine Zeitung hat sich damals ein wirkliches Ver¬
dienst dadurch erworben, daß sie in einen wahren Augiasstall studen¬
tischer Entartung hineinleuchtete.“
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Besonders erfreulich ist dabei die seltsame Hervorhebung des gar
nicht bestrichelten Liberalisins der Allg. Ztg. Es gibt also doch
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noch Leute, die daran zu glauben scheinen. Selbstlos überläßt hann
die Postzeitung den Vorrang im Verdienst der teuren Kollegin mit
O
den Worten: „Andere mögen sich gerne mit fremden Federn schmücken
de
wollen. Wir gehören nicht zu dieser Sorte, und bitten beshalb, die Ehre
B
zu geben, dem Ehre gebührt.“ Indes ziert sich in einem
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„Falsche Catonen“ überschriebenen Artikel die Allgemeine geschämig
dies von erhabener Uneigennützigkeit eingegebene Lob sich an den Hut
I
zu stecken, und folgt ihren edlen Eingebungen einer erprobten Be¬
schwichtigungs= Hofrätin. „Ist die Maßregelung des akademisch¬
dramatischen Vereins so erfolgt, wie da mitgeteilt wird, dann würden
wir das nicht billigen. ... Die Verirrungen vergangener Semester
darf eine in einem neuen Semester aus neuen Mitgliedern sich zu¬
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sammensetzende Korporation nicht büßen. Es würde daher eine hin¬
reichende Pflichterfüllung der Lultusverwaltung und der Akademischen
Behörden gewesen sein, wenn sie sich zu Beginn des Semesters ver¬
S
gewissert hätten, daß derartige Entgleisungen... sich nicht wiederholen.“
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Es scheint so beinahe alles in Ordnung zu sein. Niemand will
denunziert, niemand gehetzt haben. Milde trieft von allen Lippen.
Hoffen wir, daß auch der akademische Senat sich erweichen lassen wird,
sch
erfreuen wir uns des tiefen Abscheues vor der literarischen Denun¬
ine
ziation, der überall sich bekundet. Nicht wahr, Wolfgang Menzel hat
setz
als letzter den deutschen Namen befleckt, als er das junge Deutschland
dem weiland deutschen Bundestage anempfahl — und das ist lange
geg
her? Und wäre es nicht Sühne genug für die dramatischen Sünder,
Pfi
wenn sie von Rechts wegen die Herren Kausen und Schädler zu Ehren¬
mitgliedern ernennen und bei dem Verfasser der „Falschen Catonen“
deutsch lernen müßten? Wäre das nicht tanti, wie dieser Herr in
bis
seiner lateinisch ausstaffierten gespreizten Bildungssprache sagt?
cha
Schade, daß diese Milde mir versagt ist, und ich die Verhetzung
daß
aus zweiter Hand für eine Gewissenlosigkeit und den Ruf nach Polizei
mnar
in literarischen Fragen für eine Barbarei nach wie vor erklären muß
noch
Schade auch, daß der Theaterkritiker der Allg. Ztg. in dieser Ange¬
legenheit, für die er die moralische Verantwortung zu über¬
schl
nehmen hat, sich jetzt nicht noch selbst vernehmen ließ. Er hat dem
des
redaklionellen Artikel nicht widersprochen — folglich billigt er ihn
kom
Das ist schlimm. Bisher konnte man annehmen, daß er in einem
Zornanfall und Schimpfparoxysmus einen Augenblick die Selbstkritik
verloren und jener germanischen Berserkerwut sich hingegeben habe,
lion
die Teuts echte Söhne zieren soll. Wohlweislich habe ich deshalb in
könr
meinem ersten Artikel aus dieser kritischen Leistung nur das zitiert,
was Herr Schädler dem Landtage aufgetischt hatte. Nun hat die
Vor
füh
Allg. Ztg. den seltenen Mut gehabt, am Freitag die Gutgleisung
ihres Referenten ausdrücklich wieder abzudrucken — da die Nummer
Ge
vom 26. Juni „vergriffen sei“. Und so habe ich denn die unange¬
bes
die
nehme Aufgabe, den Herrn Theaterkritiker, den ich bisher weder für
erg
einen „nützlich tugendhaften Karrengaul des Bürgertums noch für
gla
ein Schlachtpferd der Parteiwut“ gehalten habe, sich hier höchsteigen
Op
durch seine maßlosen Geschmackswidrigkeiten und lächerlichen Kapu¬
in
zinaden blamieren zu lassen. Denn so hieß es in der Kritik über den
gew
Reigen: „Schnitzler zeigt höhnend, daß auch Romeo und Julie im
Grunde nur ein lüsterner Bube und eine dumme Dirne waren“. Woran
war
kein wahres Wort ist, denn da Schnitzler ein Dichter und kein ver¬
allgemeinender Kritiker ist, zeigt er uns seine Gestalten und hütet sich
des
vor solchen Philosafaseleien. „Es ist, wie wenn er ein Hundepaar
vor einer Aphroditestatue sich paaren ließe.“ Wirklich eine echt=sitt¬
liche Kritik — würdig eines sogenannten vornehmen Blattes. „Er hat
en
einen der besten, öffentlich am meisten geehrten Namen (nämlich seinen
wie
eigenen) durch diese Veröffentlichung beschmutzt und frivol gefährdet,
fel
wenn nicht verloren.“ Worüber dieser ehrenwerte Zensor offenbar
ganz allein zu verfügen hat, und dann geht's los über den Schmutzl gel
Leuten, die so sehr um seine Moral besorgt sind, Mühen, Kummer
und Blamagen.
Oder sollen die Verse von Prutz immer Gültigkeit behalten, auch
für Staatsbürger, die unter Umständen bei den Wahlen das Recht
haben, ihre eigenen Professoren durchfallen zu helfen:
Das ew'ge Meer mit seinen Wogen
Mit seiner Ebbe, seiner Flut
Auf Flaschen wird's für Euch gezogen,
So ist's gesund, so schmeckt es gut.
ir
Z
st