II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 123

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Reigen
ünchner Brief.
Max Halbe.
Konfiskation, Aufhebung des aka¬
hatischen Vereins, Zensurstreiche aller
tien über Kunst, Religion, Sittlichkeit
kres, Anträge auf Kolportageverbot
nd „Simplicissimus“. Beschränkung
-Redefreiheit durch den Präsidenten
it nachfolgender Abdankung des
identen: seit Monaten geht's in bunter
em Wechsel. Es weht ein scharfer Wind
r. und das neue Ministerium beeilt sich,
aufzufangen. Es soll endlich einmal
t werden in Capua und Umgegend!
mehr mit Fingern auf uns zeigen
it der allzulang geduldeten Lieder¬
stlibertinage! Die vom Norden sollen
um unseren freieren Ton und um
es Verstehen beneiden müssen! Ein
Nord und Süd, West und Ost!
Schulmeisterdünkel regiere brüderlich
Reich, und Arm in Arm wandle der
ernde Schutzmann vom Potsdamer
akelschwingenden Rektor aller Bayern
sidenten von Orterer!
ein Fehler in der Rechnung steckt?
mit ihrem blindwütigen Anrennen
urflagge lebendigen zeitgenössischen
box 17/2
*Geistes nicht schließlich selbst am bosesten zu Schaden
kommen werden? Gewiß, wer am Ruder sitzt, dünkt
sich unfehlbar und wünscht unbequeme Kritiker zu
allen Teufeln. Herrschen heißt recht haben. Und wer
recht hat, will doch auch recht behalten. Das ist
menschlich und gilt für einzelne wie für ganze
Parteien, für Könige und Staatsmänner wie für
Dichter und Künstler, für Schwarze wie für Rote.
Aber hinter allen Herrscherthronen (Schreibstühlen,
Parlamentssesseln) steht unsichtbar Hybris, die dunkel¬
drohende Göttin, und lenkt den Arm des Macht¬
berauschten, des Siegestrunkenen, daß er mit dem
Schwertstreich, den er nach dem Gegner zu führen
meint, sich selber den Todesstreich versetzt. Selbst¬
hilfe der Natur! Automatismus alles Werdens und
Vergehens! Am letzten Ende gehen wir an uns selbst,
an der Ueberspannung (vielleicht auch nur Erfüllung)
unseres eigenen Prinzips zugrunde.
Darauf wird's denn wohl auch bei dem klerckalen
Regiment hinauslaufen, dessen fröhliche Anfänge wir
jetzt in Bayern erleben. Vorläufig scheint es un¬
absehbar, unsterblich. Aber wenn die Herren so fort¬
ahren, durch Akte der Willkür und Unduldsamkeit,
durch Knebelung der freien Meinungsäußerung in
Wort und Bild, durch Verweigerung der noiwendigsten
Mittel für eine würdige Kunstpflege und sonstige
Schildbürgerstreiche sich gleichzeitig verhaßt und lächer¬
lich zu machen, dann ... Wer weiß! Abwarten!
Man mißverstehe mich nicht! Die Verdienste der
katholischen Kirche und Geistlichkeit, besonders um die
bildende Kunst, in allen Ehren, ja selbst zugestanden,
bag im adgemteinen das lachelisch. Uipstnden=Air
seinem Hang zum Sinnfälligen und irdisch Greif¬
baren einen günstigeren Boden für die Kunst abgibt
als der Verstandeskultus und die nordisch nücht.

Abstraktion protestantischen Geistes — aber schließlich
sind seit den Tagen der Rovere und der M. diei vier
Jahrhunderte dahingegangen, und in den Männern,
die hier in der Landstube an der Pranner Straße das
große Wort gegen alle zeitgenössische Kunst und
Wissenschaft führen, lebt kein letztes Fünkchen mehr
des Geistes, der anregend, befruchtend über dem
goldigen Morgen Raffaels und Nichelangelos leuchtete.
Eher noch von jenem anderen Geiste, der in Florenz
mit Feuersgluten gegen Fleischeslust und Sinnen
schönheit wütete, wenn man auch stiernackige Bier¬
bankpolitiker und kannegießernde Schulmeister nicht
in einem Atem nennen darf mit dem düster ge¬
waltigen Bettlermönch Savonarola.
Und doch ... zwar nicht in den Persönlichkeiten,
wohl aber in den Gesinnungen steckt der Vergleichs¬
punkt. In der nämlichen Art des Weltbetrachtens
und Weltverneinens, in dem finstern, sinnenfeindlichen
Mönchs= und Büßergeist, der immer wieder in der
katholischen Welt zum Vorschein kommt und deren
andere, dem protestantischen Mucker= und Puritanertum
zugekehrte Seite bildet. Mit diesen beiden einander
im Innersten verwandten Geistesrichtungen kann es
für Kunst und Künstler keinen Frieden und keine
Freundschaft geben. Kampf! Kampf bis ans Ende!
lautet hier das Feldgeschrei. Es hallt durch die
Jahrhunderte.