II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 124

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Reigen
So sehen wir denn „Jugend“ und „Simplicissimus“,
unsere beiden in vorderster Schlachtreihe stehenden
Witzblätter, dem Gegner mit immer schärferen Waffen
zu Leibe rücken. Dr. von Orterer, der Rektor des
Luitpoldgymnasiums, wird in der Ochsenhaut des
Evangelisten Lukas hörnergeschmückt zum Gespölt
seiner Schüler gemacht oder der „Galerie berühmter
Zeitgenossen“ mit der etwas einschränkenden Ueber¬
schrift „Auch ein Zeitgenosse“ einverleibt, rangiert also
sozusagen in die zweite Klasse des Soldatenstandes.
Was Wunder, daß die also von der Pritsche Ge¬
troffenen laut aufheulen und nun auf gute deutsche
Art nach dem Staatsanwalt schreien. Aber sowenig
man die „Verrohung der Theaterkritik“ mit flammenden
Protesten aus der Welt schafft, so wenig werden
Regierung und Geistlichkeit mit Strafprozessen dem
roten Höllenmops des „Simplicissimus“ den Lebensodem
ausblasen. Er reißt im Gegenteil sein böses Maul
kampflustiger als je auf und fletscht vergnügt die
dolchspitzen Zähne, denn die eine einzige Woche nach
der Beschlagnahme der Zentrumsnummer und den
bekannten Kammerdebatten hat ihm eine Erhöhung
seiner Auflage um achttausend Exemplare gebracht!...
Auch der Akademisch=Dramatische Verein, der das
Todesverbrechen beging, den Schnitzlerschen „Reigen“
aufzuführen, und dafür der Rache der Regierung
zum Opfer fiel, hat in diesen stürmischen Vorfrühlings¬
tagen eine fröhliche Urständ gefeiert. Der Verein
hatte hier zehn Jahre im Sinne der Berliner freien
Bühne gewirkt und sich bedeutende Verdienste um
die zeitgenössische Dramatik erworben. Zwanzig
akademische Semester waren gekommen und gegangen,
aber ein Geist lebendiger Teilnahme an allem Jungen,
Werdenden und ein frischer Wagemut hatten sich von
den ersten Gründern bis auf das jüngste Geschlecht
fortgepflanzt. Noch in den letzten Jahren war es der
Akademisch=Dramatische Verein, der die Wildesche
„Salome“ für Deutschland entdeckte und in einer un¬
vergeßlichen Vorstellung hier zuerst herausbrachte.
Ganz zuletzt schien es freilich, als sei ein sanftes Ver¬
dämmmern und Erlöschen über den Verein gekommen,
bis schließlich der Schnitzlersche „Reigen“ ein jähes
Sichaufraffen und einen ehrenvollen Tod brachte.
Und nun ist der „Neue Verein“ mit allen Ehren und
Sympathien, die Maßregelungen dem Verfolgten ein¬
zubringen pflegen, in das Erbe des Toten eingetreten.
Einige Münchner Schriftsteller haben sich mit den
studentischen Vertretern des aufgelösten Vereins
zusammengetan, um dessen. Traditionen auf breiterer
Grundlage fortzuführen. Die erste Tat des neuen
Vereins war eine Faschingsunterhaltung mit Molière
und Cervantes als Einlage. Für Anfang März
werden „Guiscard“ und „Diamant“ angekündigt.
Vorläufig also mehr antiquarisches Interesse als
lebendige Gegenwart! Warten wir ab!
Mehr aktuell, aber weniger glücklich führte sich die
„Dramatische Gesellschaft“ ein, die etwa gleichzeitig
mit dem „Neuen Verein“ ins Leben trat, um ebenso
wie dieser dem notleidenden deutschen Drama auf
die Strümpfe zu helfen und dem schon vor den
Toren wartenden Messias des neuengr
Stils das Haus zu bereiten. (Ist de
Schlaftänzerin Madeleine G., wie
Zeitungen zu lesen steht, eigens behn
des deutschen Dramas bei uns ersch
uns die langersehnte Erhebung aus
des Naturalismus zu den Höhen
bringen. Dem deutschen Drama wic
so manchen anderen Glückskindern,
Schlaf geschenkt.) Die „Dramatische
öffnete mit dem Drama „Die Kron
von Bodmann. Das Werk, an die
unter dem Titel „Die Kriwe“ besproch
keiner weiteren Worte mehr. Das E
fehl, der Messias sagte ab, und das
kann zur Freude aller Vereinsgründer
werden. Dagegen gab das Werk
dankbar an den feinen und nachde
Bodmann zu erinnern.
Während all dieser Taten hat u
Nationaltheater einem soliden und aus
schlaf obgelegen. Zuerst schien es, al
Ernennung des neuen Regisseurs L
frischer Zug in das altehrwürdige
Lützenkirchen debütierte sehr glücklich
einstudierung des größten dramatische
das unser Zeitalter hervorgebracht
natürlich „Die Wildente“. Danach ab
und stiller, und schließlich setzte ein san
ein, das sogar bis in unsere Zeit