11.
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Reigen
Zug in die königlichen Theater kommen wolle, daß jede
Initiative, insbesondere jede straffe Regieführung fehle. Sie
haben sich, wie gesagt, mit vollem Recht beklagt. Warum
aber beklagen sie sich noch jetzt, da man ihnen den Modernsten
der Modernen bietet? Sehr einfach: es scheint ihnen un¬
denkbar, daß ein Literat, der sich beim Theater noch nie
praktisch erprobt hat, mit eins Regie führen soll. Doch ist's
nicht das allein. Bei ihnen allen, obgleich kaum einer von
ihnen aus München ist, kommt ein lächerlicher Partikularismus
mit ins Treffen: „Warum muß denn da einer von auswärts
her? Wir hatten hier doch auch Bühnenschriftsteller gehabt,
die so viel verstehen wie der Bahr?“ Die Literatur ist natürlich
zum größten Teil genau derselben Meinung. Jeder, der schon
sensationelle Theatermiterfolge gehabt hat, fühlt sich verletzt und
hintangesetzt. „Durchgefallen sind wir ja auch, also warum
hat man uns nicht berufen, statt dieses Wieners?!“ Daß
Herrmann Bahr, mag man über ihn sagen, was man will,
ein sehr feiner Kenner des Theaters ist und seine gesammelten
Kritiken für einen literarischen Feinschmecker einen Genuß
darstellen, wied gar nicht in Betracht gezogen. Wahrscheinlich
kennen sie die wenigsten der empörten Herrschaften.
Die klerikale Presse in= und außerhalb Münchens tobt über
die unmoralischen Qualitäten des neuen Oberregisseurs, vertritt
offenbar die Ansicht, daß Glaubensstärke und eine streng¬
konservative Sittlichkeit für einen Theaterminister unerläßlich
seien. Eine sehr tugendhafte Theorie, die nur den kleinen
Fehler hat, daß sie durch die Praxis alle Tage widerlegt wird.
Es ist nur ein Glück, daß die Herren, die wahrscheinlich jetzt
gerade eifrig Bahrs Stücke lesen, um sie und ihn zu ver¬
dammen, nichts von seiner frechsten Jugendsünde, mit dem
vertrauenerweckenden Titel „Die Mutter“ wissen. Vielleicht
würde sich sonst eine ähnlich komische Szene ereignen, wie
vor zwei Jahren innerhalb des Universitätssenates à conto
Schnitzlers „Reigen“. Damals hatte der „akademisch=drama¬
tische Verein“, eine zum größten Teil aus Studierenden be¬
stehende Gesellschaft, Szenen des „Reigen“ gegen Entree auf¬
geführt und darob bei etlichen Philistern und dito=weibchen sittliche
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Bedenken erregt, so duß der Rektor der Alma mater sich ver¬
anlaßt sah, den Senat einzuberufen, um Stellung gegen die
unsittlichen Studenten zu nehmen. Um sie zu be= oder ver¬
urteilen, gehörte aber natürlich eine genaue Kenntnis des in¬
kriminierten Stücks; — man kann sich denken, daß keine
der Fakultäten auch nur eine Zeile davon gelesen hatte!
Doch wurde Rat geschafft. Der Dekan las dem versammelten
Senat den „Reigen“ vor . .. Eine Szene, die es verdiente, von
einem großen Satiriker festgehalten zu werden. Und zwar
las er alle sehr bedenblichen Stellen nur halblaut, „um die
Würde des Senats nicht zu beleidigen“. Was er mit den
zahlreichen, ach so inhaltreichen Punkten und Gedanken¬
strichen Schnitzlers gemacht hat, entzieht sich leider meiner
Kenntnis. Wie gesagt, vielleicht versammelt sich jetzt doch
einmal ein klerikal=journalistisch=theatralischer (denn es heißt, daß
das Hoftheater unter geistlicher Zensur stünde!) Clan und läßt sich,
im Flüsterton natürlich, „die Mutter“ vorlesen... Es ist kaum
zu bezweifeln, daß sie nach der Lektüre zunächst im Intendanz¬
bureau, wo der unselige Bahr=Hontrakt geschlossen wurde, den
Exorzismus sprechen und dann einen Kniefall vor dem Prinz¬
Regenten machen werden, um eine Lösung des Kontrakts zu
erflehen
Um aber nun im Einst ein paar Worte über den Viel¬
besprochenen, das heißt über seine künftige Wirksamkeit zu
prechen: die Hetze, die jetzt schon gegen ihn inszeniert wird, ist
lächerlich und geschmacklos. Lächerlich, sofern fossile Anschau¬
ungen, geschmacklos kleinlicher Partikularismus oder noch
kleinere persönliche Eitelkeit hinter ihr stehen. Wir haben den
neuen Oberregisseur weder nach seinem Charakter noch nach
seiner Weltanschauung zu beurteilen, sondern nur nach seinen
künstierischen Leistungen. Ob er imstande ist, an der Stelle,
die ihm zugewiesen, Talent zu entfalten, Taten zu tun, bleibt
vorläufig eine offene Frage, die nur er selber beantworten
kann, und zwar nicht im Plauschton eines Interviews, sondern
als Regisseur auf der Szene. Seine rein=literarische Ver¬
gangenheit braucht man ihm da nicht vorzuwerfen, sie ist
keineswegs ein unbedingtes Hindernis für praktische und er¬
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Reigen
Zug in die königlichen Theater kommen wolle, daß jede
Initiative, insbesondere jede straffe Regieführung fehle. Sie
haben sich, wie gesagt, mit vollem Recht beklagt. Warum
aber beklagen sie sich noch jetzt, da man ihnen den Modernsten
der Modernen bietet? Sehr einfach: es scheint ihnen un¬
denkbar, daß ein Literat, der sich beim Theater noch nie
praktisch erprobt hat, mit eins Regie führen soll. Doch ist's
nicht das allein. Bei ihnen allen, obgleich kaum einer von
ihnen aus München ist, kommt ein lächerlicher Partikularismus
mit ins Treffen: „Warum muß denn da einer von auswärts
her? Wir hatten hier doch auch Bühnenschriftsteller gehabt,
die so viel verstehen wie der Bahr?“ Die Literatur ist natürlich
zum größten Teil genau derselben Meinung. Jeder, der schon
sensationelle Theatermiterfolge gehabt hat, fühlt sich verletzt und
hintangesetzt. „Durchgefallen sind wir ja auch, also warum
hat man uns nicht berufen, statt dieses Wieners?!“ Daß
Herrmann Bahr, mag man über ihn sagen, was man will,
ein sehr feiner Kenner des Theaters ist und seine gesammelten
Kritiken für einen literarischen Feinschmecker einen Genuß
darstellen, wied gar nicht in Betracht gezogen. Wahrscheinlich
kennen sie die wenigsten der empörten Herrschaften.
Die klerikale Presse in= und außerhalb Münchens tobt über
die unmoralischen Qualitäten des neuen Oberregisseurs, vertritt
offenbar die Ansicht, daß Glaubensstärke und eine streng¬
konservative Sittlichkeit für einen Theaterminister unerläßlich
seien. Eine sehr tugendhafte Theorie, die nur den kleinen
Fehler hat, daß sie durch die Praxis alle Tage widerlegt wird.
Es ist nur ein Glück, daß die Herren, die wahrscheinlich jetzt
gerade eifrig Bahrs Stücke lesen, um sie und ihn zu ver¬
dammen, nichts von seiner frechsten Jugendsünde, mit dem
vertrauenerweckenden Titel „Die Mutter“ wissen. Vielleicht
würde sich sonst eine ähnlich komische Szene ereignen, wie
vor zwei Jahren innerhalb des Universitätssenates à conto
Schnitzlers „Reigen“. Damals hatte der „akademisch=drama¬
tische Verein“, eine zum größten Teil aus Studierenden be¬
stehende Gesellschaft, Szenen des „Reigen“ gegen Entree auf¬
geführt und darob bei etlichen Philistern und dito=weibchen sittliche
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Bedenken erregt, so duß der Rektor der Alma mater sich ver¬
anlaßt sah, den Senat einzuberufen, um Stellung gegen die
unsittlichen Studenten zu nehmen. Um sie zu be= oder ver¬
urteilen, gehörte aber natürlich eine genaue Kenntnis des in¬
kriminierten Stücks; — man kann sich denken, daß keine
der Fakultäten auch nur eine Zeile davon gelesen hatte!
Doch wurde Rat geschafft. Der Dekan las dem versammelten
Senat den „Reigen“ vor . .. Eine Szene, die es verdiente, von
einem großen Satiriker festgehalten zu werden. Und zwar
las er alle sehr bedenblichen Stellen nur halblaut, „um die
Würde des Senats nicht zu beleidigen“. Was er mit den
zahlreichen, ach so inhaltreichen Punkten und Gedanken¬
strichen Schnitzlers gemacht hat, entzieht sich leider meiner
Kenntnis. Wie gesagt, vielleicht versammelt sich jetzt doch
einmal ein klerikal=journalistisch=theatralischer (denn es heißt, daß
das Hoftheater unter geistlicher Zensur stünde!) Clan und läßt sich,
im Flüsterton natürlich, „die Mutter“ vorlesen... Es ist kaum
zu bezweifeln, daß sie nach der Lektüre zunächst im Intendanz¬
bureau, wo der unselige Bahr=Hontrakt geschlossen wurde, den
Exorzismus sprechen und dann einen Kniefall vor dem Prinz¬
Regenten machen werden, um eine Lösung des Kontrakts zu
erflehen
Um aber nun im Einst ein paar Worte über den Viel¬
besprochenen, das heißt über seine künftige Wirksamkeit zu
prechen: die Hetze, die jetzt schon gegen ihn inszeniert wird, ist
lächerlich und geschmacklos. Lächerlich, sofern fossile Anschau¬
ungen, geschmacklos kleinlicher Partikularismus oder noch
kleinere persönliche Eitelkeit hinter ihr stehen. Wir haben den
neuen Oberregisseur weder nach seinem Charakter noch nach
seiner Weltanschauung zu beurteilen, sondern nur nach seinen
künstierischen Leistungen. Ob er imstande ist, an der Stelle,
die ihm zugewiesen, Talent zu entfalten, Taten zu tun, bleibt
vorläufig eine offene Frage, die nur er selber beantworten
kann, und zwar nicht im Plauschton eines Interviews, sondern
als Regisseur auf der Szene. Seine rein=literarische Ver¬
gangenheit braucht man ihm da nicht vorzuwerfen, sie ist
keineswegs ein unbedingtes Hindernis für praktische und er¬
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