II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 133

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11. Reigen
in sein Verständnis hinein. — Wird Herrmann Bahr unsre
Bühne umwandeln? Oder wird nicht vielleicht eher unsre Bühne
ihn umwandeln? Wird er die starke Anregung geben, deren
unser ganzes geistiges, nicht nur unser theatralisches München
bedürfte, die keiner von allen, die gegen ihn hetzen oder
wühlen, geben kann, und zu der er nach seinen Antezedenzien
verpflichtet ist? Oder wird auch ihm die neue Würde nur
einen Ruheposten bedeuten, von dem aus man ironisch auf
das eigene frühere Drängertum blickt und barocke Mots
kritzelt, die man dann beim Abschied den Münchnern an den
Kopf wirft, so wie eben jetzt den Wienern das Wort „Asien“
um die Ohren flog? Oder wird er am Ende den neuen
Posten gar nicht antreten? Vielleicht schon jetzt, auf seiner
Suche nach Talenten, merken, wie schwer sie zu finden,
d. h. zu kriegen sind, wenn man sie nicht zahlen kann?
Vielleicht wäre eine Renunciatio ante regnum nicht das
Schlechteste. Das, worauf es Bahr ja immer vor allem an¬
kam, hat er ja schon erreicht — er hat die Welt verblüfft.
Stärker und nachhaltiger verblüfft, als es ihm je zuvor ge¬
lungen; er wird Mühe haben, wenn er als Oberregisseur sich
noch selber einholen oder gar übertreffen will. Wenn er's
überhaupt darauf ankommen läßt. Wenn er nicht noch bei¬
schlechteste Boden ist. Es gibt hier nie Cliquen für, aber
immer Cliquen gegen einen.
Einen netten Beitrag zum Cliquenwesen oder vielmehr
zum Freundschaftswesen gewisser Kreise hat kürzlich Max Halbe
in seinem abgelehnten Stück „Die Insel der Seligen“ gegeben.
Der offenbar sehr verbittert und nicht minder eingebildet
gewordene Dichter der „Jugend“ schildert da sich selber als
sonnigen Mann der Tat, während sein Freund Frank Wede¬
ähnlicher Maske gespielt, vom Dichter als Erfüller jeder nur
denkbaren Gemeinheit geschildert wird. Höhepunkt dieser ebenso
einfachen wie vornehmen Rolleneinteilung ist, wenn die Gattin
des sonnigen Tatmenschen dem Pamphletisten ins Gesicht schreit:
Du hast jahrelang in unserm Hause herumschmarotzt!“ Das ist
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einfach wundervoll. Eine geradezu klassische Auffassung von
Freundschaft und Gastfreundschaft. Der Futternapf als letzter
Ausdruck gegebener und empfangener Empfindung — das
ist zwar nicht deutscher Adel, aber doch deutscher Dichteradel
um 1900. Im übrigen war die Komödie genau so lang¬
weilig wie die mißlungensten Halbes.
Noch ein Klüngel — der akademische — hat in diesen
Tagen ein Ereignis zu buchen gehabt. Die „Allgemeine Zei¬
tung“ ist in die Hände eines neuen Konsortiums übergegangen
und soll billiger werden. Ob auch amüsanter? Darüber
schweigt leider des Sängers und der Ankündigung Höflichkeit.
Gerade so wie im Vorjahr, gelegentlich eines Prozesses, jeder
wissende Mund krampfhaft schwieg, der über die Abonnenten¬
zahl Auskunft geben sollte. Diese Zeitung war jahrzehnte¬
lang der Stapelplatz aller Rückständigkeiten, ihre „Beilage“
der Tummelplatz junger Dozenten, die da gegen sehr mäßige
Honorare die Lesewelt mit aufgeblasenem gelehrten Krimskrams
langweilten. Gott bessere es!
d ddsssssss
Wider Zeuchler und Hetzer.
Furchtbares Unglück ist über Livland und Kurland herein¬
gebrochen. Heuchler und Hetzer entfachten die Raubtierinstinkte des
Pöbels, und mordbrennerisch durchzog er das Land und häufte
Schmach auf das lettische Volk, das unschuldig darunter leidet.
Grillparzers böses Wort bewährt sich aufs neue: Von der
Humanität durch die Nationalität zur Bestialität. Ein modernes
Barbarentum regt sich mächtig in der Welt; vor ihm darfst du das
Wort Humanität, Menschheit, nicht aussprechen, das beleidigt seine
Eitelkeit und Borniertheit: es verlangt einzig nach schreienden
Schmeicheleien. Brülle dem modernen Barbaren: Blonde Bestie!
zu, wenn er auch schwarz ist, und das nationale Antlitz verklärt sich
in Herrenrassenfreude.
„Nationalwahn ist ein furchtbarer Name —“ sagt Herder, „wer
nicht mitwähnt ist ein Idiot, ein Feind, ein Ketzer, ein Fremdling.“
Das baltische Herrentum, gegen das sich nicht nur der Pöbel
verging, sondern das auch die baltische, lettisch=jüdische Sozial¬
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