Re
11. —igen
Jn#
box 17/2
Münchener Theaterpokizei. Die
Vorlesung des Schnitzlerschen „Rei¬
gens“ durch Giampielto erinnert
mich daran, daß der münchener
Akademisch=dramatische Verein vor
einigen Jahren drei Szenen dieses
Werkes vor geladenen Gästen zur
Aufführung brachte. Das Publikum
hielt tapfer aus, jedoch der Uni¬
versitätssenat, unter dem Vorsitz eines
sanskritkundigen Rektors, geriet über
diesen Studentenunfug in sittliche
Empörung und beschloß die Auf¬
hebung des Vereins. Man belehrte
die alten Herren durch vielspaltige
Zeitungsartikel darüber, daß der
Akademisch=dramatische Verein eine
Reihe von Jahren hindurch München
mit moderner Dramatik versorgt
hätte, daß er es wäre, der Ibsen,
Hauptmann, Halbe, Maeterlinck in
München, der „Über unsere Kraft“
und „Salome“ in Deutschland zum
ersten Mal auf die Bühne gebracht
Was halfs! Der Verein
habe.
war und blieb aufgehoben. Viel¬
leicht wäre ein ernstlicher Verweis
am Platz gewesen, weil man den
„Reigen“ dieses gerade durch seine
unerbittliche Geschlossenheit bedeu¬
tungsvolle Werk, in Stücke gerissen
und drei dieser an sich belanglosen
Stücke einzeln vorgeführt hatte.
Aber nicht das ästhetische, sondern
das sittliche Vergehen sollte gesühnt
werden. Die Gründungsmitglieder
des Vereins taten sich zusammen, und
aus dem „Akademisch=dramatischen“
ging in verjüngtem Tatendrang der
„Neue Verein“ hervor, der als erste
Aufführung dieser Saison Ruederers
„Morgenröte“ herausbrachte. Die
Zensur hatte das Stück für die
Offentlichkeit nicht frei gegeben. Das
Warum wurde in den Zwischenakten
der hiesigen Premiere eifrig, aber
resultatlos diskutiert. Man hatte
ein literarisches Bombenattentat er¬
wartet und war ein bischen enttäuscht.
Warum hatte die Polizei so laut
Reklame gemacht, warum hatte sie
so unbegründete Erwartung geweckt?
Gleichviel, der Autor entschädigte
durch sein Stück für diese unbeab¬
ichtigte Enttäuschung; man amüsierte
ich königlich und bereitete ihm und
Fräulein Marberg, die für die Rolle
der „Lola“ instinktive und darum
echte Begabung besitzt, einen be¬
Soweit ging
geisterten Erfolg.
alles mit rechten Dingen zu. Nun
aber ereignete sich Unbegreifliches.
Der Verein kündigte eine Wieder¬
holung der Aufführung an, auch
diesmal unter gleich sorgfältiger
Beobachtung aller polizeilichen An¬
ordnungen für geschlossene Veran¬
staltungen. Und siehe da: die Polizei
verbietet diese Wiederholung, ohne
das Verbot zu begründen. Es ist
ebenso leicht wie gefährlich, die
Logik dieses Verhaltens zu glossieren.
Ich schreibe daher meine Gedanken
nicht nieder, sondern begnüge mich
dagut, sie schmunzelnd zu konsta¬
Otto Falckenberg.
tieren.
Die Ur=uraufführung des Reigen“. Wir erhalte
noch eine Zuschrift zu dem Streit um den Ruhm der wirklichen
wahren und allerersten Uraufführung von Schnitzlers „Reigen“. Also
„Die Uraufführung des „Reigen“ findet weder in Berlin, noch fande
sie in Irkutfk statt, sondern sie lief vom Stapel anno 1903 oder 04 in
München unter den Auspizien des daselbst seinerzeit rühmlichst
bekannten Akademisch=dramatischen Vereins.
Robert Haindl, jetzt, wenn ich nicht irre, Polizeirat in Dresden,
führte damals den Vors#zUnsere Vereinskasse befand sich infolge
gelegentlich einer vorherigen
des splendiden, sektper
Wedekindschen Marqu##führung in argem Dilemma.
Nur etwas Niedagewin konnte helfen. Der „Reigen“ war
soeben erschienen!
Die Kaimsäle wurden gemietet, die Eintrittskarten berechtigten
gleich zur eintägigen Mitgliedschaft, und so konnte die ganze Assäre
unter dem für Zensor und Polizist sakrosankten Begriff der „ge¬
schlossenen Gesellschaft“ segeln.
Es kamen nur einige Szenen zur Aufführung. Der Uebergang
— —
triste“ wurde durch sekundenlanges gänzliches Ver¬
zum
60—
dunkeln betont. Vom Hoftheater spielten mit Monnard und König.
Den zweiten Teil der dramatischen Darbietungen bildete ein tot¬
geborener Einakter von Paul Goldmann.
Das Publikum war exquisiteste Mischung, der Saal bis zum
letzten Platz gefüllt. Helene Böhlau paradierte mit ihrem Al Raschid
Bei, verschiedene Prinzen und Hoheiten inkognitosierten, es war
In der „Gesell¬
alles da. Laut und endlos schallte der Beifall. —
schaft“ schrieb jemand höchst wegwerfend von den „jungen Herren,
die mit ihrem moralischen Nihilismus paradierten“.
Für den „Akademisch=dramatischen“ bedeutete dieser Ruhmes¬
rausch die Herostratenfackel; er wurde von seitm der Universität
aufgelöst und führte dann, oder führt wohl auch noch, ein geruh#
sames Spießerdasein unter dem neuen Namen „Der neue Wornin“.
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box 17/2
Münchener Theaterpokizei. Die
Vorlesung des Schnitzlerschen „Rei¬
gens“ durch Giampielto erinnert
mich daran, daß der münchener
Akademisch=dramatische Verein vor
einigen Jahren drei Szenen dieses
Werkes vor geladenen Gästen zur
Aufführung brachte. Das Publikum
hielt tapfer aus, jedoch der Uni¬
versitätssenat, unter dem Vorsitz eines
sanskritkundigen Rektors, geriet über
diesen Studentenunfug in sittliche
Empörung und beschloß die Auf¬
hebung des Vereins. Man belehrte
die alten Herren durch vielspaltige
Zeitungsartikel darüber, daß der
Akademisch=dramatische Verein eine
Reihe von Jahren hindurch München
mit moderner Dramatik versorgt
hätte, daß er es wäre, der Ibsen,
Hauptmann, Halbe, Maeterlinck in
München, der „Über unsere Kraft“
und „Salome“ in Deutschland zum
ersten Mal auf die Bühne gebracht
Was halfs! Der Verein
habe.
war und blieb aufgehoben. Viel¬
leicht wäre ein ernstlicher Verweis
am Platz gewesen, weil man den
„Reigen“ dieses gerade durch seine
unerbittliche Geschlossenheit bedeu¬
tungsvolle Werk, in Stücke gerissen
und drei dieser an sich belanglosen
Stücke einzeln vorgeführt hatte.
Aber nicht das ästhetische, sondern
das sittliche Vergehen sollte gesühnt
werden. Die Gründungsmitglieder
des Vereins taten sich zusammen, und
aus dem „Akademisch=dramatischen“
ging in verjüngtem Tatendrang der
„Neue Verein“ hervor, der als erste
Aufführung dieser Saison Ruederers
„Morgenröte“ herausbrachte. Die
Zensur hatte das Stück für die
Offentlichkeit nicht frei gegeben. Das
Warum wurde in den Zwischenakten
der hiesigen Premiere eifrig, aber
resultatlos diskutiert. Man hatte
ein literarisches Bombenattentat er¬
wartet und war ein bischen enttäuscht.
Warum hatte die Polizei so laut
Reklame gemacht, warum hatte sie
so unbegründete Erwartung geweckt?
Gleichviel, der Autor entschädigte
durch sein Stück für diese unbeab¬
ichtigte Enttäuschung; man amüsierte
ich königlich und bereitete ihm und
Fräulein Marberg, die für die Rolle
der „Lola“ instinktive und darum
echte Begabung besitzt, einen be¬
Soweit ging
geisterten Erfolg.
alles mit rechten Dingen zu. Nun
aber ereignete sich Unbegreifliches.
Der Verein kündigte eine Wieder¬
holung der Aufführung an, auch
diesmal unter gleich sorgfältiger
Beobachtung aller polizeilichen An¬
ordnungen für geschlossene Veran¬
staltungen. Und siehe da: die Polizei
verbietet diese Wiederholung, ohne
das Verbot zu begründen. Es ist
ebenso leicht wie gefährlich, die
Logik dieses Verhaltens zu glossieren.
Ich schreibe daher meine Gedanken
nicht nieder, sondern begnüge mich
dagut, sie schmunzelnd zu konsta¬
Otto Falckenberg.
tieren.
Die Ur=uraufführung des Reigen“. Wir erhalte
noch eine Zuschrift zu dem Streit um den Ruhm der wirklichen
wahren und allerersten Uraufführung von Schnitzlers „Reigen“. Also
„Die Uraufführung des „Reigen“ findet weder in Berlin, noch fande
sie in Irkutfk statt, sondern sie lief vom Stapel anno 1903 oder 04 in
München unter den Auspizien des daselbst seinerzeit rühmlichst
bekannten Akademisch=dramatischen Vereins.
Robert Haindl, jetzt, wenn ich nicht irre, Polizeirat in Dresden,
führte damals den Vors#zUnsere Vereinskasse befand sich infolge
gelegentlich einer vorherigen
des splendiden, sektper
Wedekindschen Marqu##führung in argem Dilemma.
Nur etwas Niedagewin konnte helfen. Der „Reigen“ war
soeben erschienen!
Die Kaimsäle wurden gemietet, die Eintrittskarten berechtigten
gleich zur eintägigen Mitgliedschaft, und so konnte die ganze Assäre
unter dem für Zensor und Polizist sakrosankten Begriff der „ge¬
schlossenen Gesellschaft“ segeln.
Es kamen nur einige Szenen zur Aufführung. Der Uebergang
— —
triste“ wurde durch sekundenlanges gänzliches Ver¬
zum
60—
dunkeln betont. Vom Hoftheater spielten mit Monnard und König.
Den zweiten Teil der dramatischen Darbietungen bildete ein tot¬
geborener Einakter von Paul Goldmann.
Das Publikum war exquisiteste Mischung, der Saal bis zum
letzten Platz gefüllt. Helene Böhlau paradierte mit ihrem Al Raschid
Bei, verschiedene Prinzen und Hoheiten inkognitosierten, es war
In der „Gesell¬
alles da. Laut und endlos schallte der Beifall. —
schaft“ schrieb jemand höchst wegwerfend von den „jungen Herren,
die mit ihrem moralischen Nihilismus paradierten“.
Für den „Akademisch=dramatischen“ bedeutete dieser Ruhmes¬
rausch die Herostratenfackel; er wurde von seitm der Universität
aufgelöst und führte dann, oder führt wohl auch noch, ein geruh#
sames Spießerdasein unter dem neuen Namen „Der neue Wornin“.