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Reigen
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Aber zugegeben, daß wir Schnitzlern denunziert haben — nennen Sie mir doch
einen plausiblen Grund für diese unsere Denunziation! Sie schreiben:
„Was soll der Herr Staatsanwalt? Mit irgend einer gesetzgeberisch geprägten Formel
von „Unfug“ oder „Unzucht“ oder „Unsittlichkeit“ gegen Sch. losschlagen?
Schafft er
damit „Reigen“ aus der Welt?
* * *
Ganz gewiß nicht. Sein Verdikt kann höchstens den
Prüden (!) eine vorübergehende Genugtnung gewähren, den Neid= und Hämlingen (!!) eine
kurze, karge Freude bereiten . .. Aber damit ist die Wirkung des staatsanwaltlichen Straf¬
apparates erschöpft. Irgend etwas positiv Gutes zu schaffen oder etwas positiv Schlimmes zu
verhindern in Litteratur und Kultur, ist auf diesem Wege unmöglich ... Menschen=Sittlichkeit
und Seelen=Adel sind so unbegreiflich hohe Güter, daß nur die gewohnheitsmäßige Trivialität
flacher Gehirne (!!! glauben kann, dergleichen Wunder ließen sich im Gerichtssaal mit
juristischen Schablonen fabrizieren ...“
Hand aufs Herz, lieber Herr Kollege, halten Sie dafür, daß wir so dumm
sind, dies alles nicht zu wissen!? Glauben Sie allen Ernstes, daß wir so exzessiv
verblödet sind, den Staatsanwalt als Hort der Menschensittlichkeit und des Seelen¬
adels anzusehen?! Sind Sie davon überzeugt, daß wir von einer Konfiskation der
jüngsten Schnitzleriade alles Heil erwarten und ebendeßwegen „denunziert“ haben?!
Wenn ja, dann ist jedes weitere Wort überflüssig; indeß glaube ich, daß Sie in der
Hitze des Gefechtes über die Stränge gehauen haben und bei ruhiger Betrachtung
der Dinge (vielleicht nach Durchlesung der im 1. Jahrgange veröffentlichten Artikel
über die Sinnlosigkeit jedweder Zensur)*) Ihre Ansichten wesentlich anders formeln
werden. Ich glaube nicht nur an solch eine Revision, sondern ich fordere Sie auch
von Ihnen. Das sind Sie mir ebensosehr als sich selbst schuldig!! Für so pyramidal
stupid dürfen Sie einen „treuen Waffengefährten“
vgl. Ihre handschriftliche
Widmung im Roman „In purpurner Finsternis“ — unter keinen Umständen halten.
Das fiele ja auf Sie zurück. (Ich bemerke hier ausdrücklich und ohne Vorbehalt,
daß Törnsees Artikel „Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!“ von mir gebilligt und
durch mich zum Druck befördert wurde; ich trage also die moralische Verantwort¬
lichkeit hiefür!)
Was Sie über „Reigen“ selbst schreiben, geht mich im Grunde genommen nichts
an. Wenn Sie über dieses „starke Buch (sehr stark sogär!), das auch ohne feste
Zensur leben kann“ diese „verblüffende Leistung (o ja!) mit ihrer wundervoll kühlen
Behandlungsart“ in hellstes Entzücken geraten, so ist das Ihre Sache; mein Ge¬
chmack sträubt sich ganz entschieden gegen diese Art von „Litteratur“ auf die ich
Liselottens Worte anwenden möchte: „Das stinkt, wie — met Verlöff, met
Verlöff: wie fuler Käse.“ Und ich stehe nicht allein da mit meiner Meinung.
Sie dürfen auch nicht glauben, daß es „geistig Zurückgebliebene“ und „Schwach¬
köpfe“ sind, die meine Ansicht, wie ich sie in der „Ostdeutschen Rundschau“ formuliert
habe, Wort für Wort teilen, o nein! es sind Personen, wie Sie solche zumal ad
majorem Sehnilzieri glorimmn reklamieren: „Leute von gebildetem Geschmack, aus¬
gebreiteter ästhetischer Erfahrung und sicherem Charakter.“ („Sie schreiben, mit Leuten
von sicherem Charakter läßt sich über „Reigen“ gut streiten“ — was wollen Sie
damit sagen, Herr Dr. Conrad?! haben wir, mit denen sich Ihrer Ansicht nach nicht
gut streiten läßt, keinen „sicheren Charakter“! U. A. w. g.!)
Wie gesagt: ich kann dem Schnitzlerschen „Reigen“ keinen Geschmack abgewinnen
und halte ihn für einen ganz ordinären Cancan, wie er zu sehr vorgerückter Stunde
in einer wüsten Kneipe exekutiert werden mag, wenn Freudenmädchen und Freuden¬
knaben „innerhalb der ästhetischen Kultur“ stehen, die „unendlich mehr ist als vage
modische Schöngeister sich träumen lassen“. Ich gehöre eben nicht zu den „vornehmen
Köpfen“, vielmehr zu den „armen Schächern“, die die „höhere Menschlichkeit“ nicht
verstehen und die „man gleich zu den alten Sündenböcken in die Wüste jagt, weil
man in den blühenden Gefilden der Kunst ringsum für solche Jammergestalten nichts
mehr übrig hat.“ Und ich freue mich dessen recht aus der Seele (so „polizeifromm“
*) Seite 295, 338 und 367.
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Aber zugegeben, daß wir Schnitzlern denunziert haben — nennen Sie mir doch
einen plausiblen Grund für diese unsere Denunziation! Sie schreiben:
„Was soll der Herr Staatsanwalt? Mit irgend einer gesetzgeberisch geprägten Formel
von „Unfug“ oder „Unzucht“ oder „Unsittlichkeit“ gegen Sch. losschlagen?
Schafft er
damit „Reigen“ aus der Welt?
* * *
Ganz gewiß nicht. Sein Verdikt kann höchstens den
Prüden (!) eine vorübergehende Genugtnung gewähren, den Neid= und Hämlingen (!!) eine
kurze, karge Freude bereiten . .. Aber damit ist die Wirkung des staatsanwaltlichen Straf¬
apparates erschöpft. Irgend etwas positiv Gutes zu schaffen oder etwas positiv Schlimmes zu
verhindern in Litteratur und Kultur, ist auf diesem Wege unmöglich ... Menschen=Sittlichkeit
und Seelen=Adel sind so unbegreiflich hohe Güter, daß nur die gewohnheitsmäßige Trivialität
flacher Gehirne (!!! glauben kann, dergleichen Wunder ließen sich im Gerichtssaal mit
juristischen Schablonen fabrizieren ...“
Hand aufs Herz, lieber Herr Kollege, halten Sie dafür, daß wir so dumm
sind, dies alles nicht zu wissen!? Glauben Sie allen Ernstes, daß wir so exzessiv
verblödet sind, den Staatsanwalt als Hort der Menschensittlichkeit und des Seelen¬
adels anzusehen?! Sind Sie davon überzeugt, daß wir von einer Konfiskation der
jüngsten Schnitzleriade alles Heil erwarten und ebendeßwegen „denunziert“ haben?!
Wenn ja, dann ist jedes weitere Wort überflüssig; indeß glaube ich, daß Sie in der
Hitze des Gefechtes über die Stränge gehauen haben und bei ruhiger Betrachtung
der Dinge (vielleicht nach Durchlesung der im 1. Jahrgange veröffentlichten Artikel
über die Sinnlosigkeit jedweder Zensur)*) Ihre Ansichten wesentlich anders formeln
werden. Ich glaube nicht nur an solch eine Revision, sondern ich fordere Sie auch
von Ihnen. Das sind Sie mir ebensosehr als sich selbst schuldig!! Für so pyramidal
stupid dürfen Sie einen „treuen Waffengefährten“
vgl. Ihre handschriftliche
Widmung im Roman „In purpurner Finsternis“ — unter keinen Umständen halten.
Das fiele ja auf Sie zurück. (Ich bemerke hier ausdrücklich und ohne Vorbehalt,
daß Törnsees Artikel „Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!“ von mir gebilligt und
durch mich zum Druck befördert wurde; ich trage also die moralische Verantwort¬
lichkeit hiefür!)
Was Sie über „Reigen“ selbst schreiben, geht mich im Grunde genommen nichts
an. Wenn Sie über dieses „starke Buch (sehr stark sogär!), das auch ohne feste
Zensur leben kann“ diese „verblüffende Leistung (o ja!) mit ihrer wundervoll kühlen
Behandlungsart“ in hellstes Entzücken geraten, so ist das Ihre Sache; mein Ge¬
chmack sträubt sich ganz entschieden gegen diese Art von „Litteratur“ auf die ich
Liselottens Worte anwenden möchte: „Das stinkt, wie — met Verlöff, met
Verlöff: wie fuler Käse.“ Und ich stehe nicht allein da mit meiner Meinung.
Sie dürfen auch nicht glauben, daß es „geistig Zurückgebliebene“ und „Schwach¬
köpfe“ sind, die meine Ansicht, wie ich sie in der „Ostdeutschen Rundschau“ formuliert
habe, Wort für Wort teilen, o nein! es sind Personen, wie Sie solche zumal ad
majorem Sehnilzieri glorimmn reklamieren: „Leute von gebildetem Geschmack, aus¬
gebreiteter ästhetischer Erfahrung und sicherem Charakter.“ („Sie schreiben, mit Leuten
von sicherem Charakter läßt sich über „Reigen“ gut streiten“ — was wollen Sie
damit sagen, Herr Dr. Conrad?! haben wir, mit denen sich Ihrer Ansicht nach nicht
gut streiten läßt, keinen „sicheren Charakter“! U. A. w. g.!)
Wie gesagt: ich kann dem Schnitzlerschen „Reigen“ keinen Geschmack abgewinnen
und halte ihn für einen ganz ordinären Cancan, wie er zu sehr vorgerückter Stunde
in einer wüsten Kneipe exekutiert werden mag, wenn Freudenmädchen und Freuden¬
knaben „innerhalb der ästhetischen Kultur“ stehen, die „unendlich mehr ist als vage
modische Schöngeister sich träumen lassen“. Ich gehöre eben nicht zu den „vornehmen
Köpfen“, vielmehr zu den „armen Schächern“, die die „höhere Menschlichkeit“ nicht
verstehen und die „man gleich zu den alten Sündenböcken in die Wüste jagt, weil
man in den blühenden Gefilden der Kunst ringsum für solche Jammergestalten nichts
mehr übrig hat.“ Und ich freue mich dessen recht aus der Seele (so „polizeifromm“
*) Seite 295, 338 und 367.