11. Reigen
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bin ich, Gott sei gepriesen!), da ich nur so im Stande bin, die schönen Worte aus
dem Buche „Deutsche Weckrufe“ von M. G. Conrad*) voll zu würdigen:
„Wir wollen soweit unsere Kräfte reichen, deutsches Wesen und deutsche Art zu
Ehren und Ansehen bringen, sie schützen und schirmen helfen, sie als ein Herrliches und Selbst¬
ständiges und Notwendiges im Kulturhaushalte der Gegenwart nachweisen. Es handelt sich
hier also um die reinsten und höchsten Geistesbetätigungen, um die Kunst im weitesten
Sinne eines freien und freizumachenden Volkes von nationalem Selbstgefühl, das in seiner
vollen Stärke und Unverfälschtheit der heilige Urquell ist, aus dem die sieghaften,
bleibenden Werke der Menschheit fließen. Denn nicht die Menschheit ist das zengende,
sondern das artbestimmte, eigensamige Volk. (S. 6).
„Man darf nur einen Blick auf die Spielverzeichnisse der deutschen Schaubühnen und
einen Blick auf die Auslagefenster der deutschen Buch= und Kunsthändler, auf die periodischen
Kunstausstellungen, auf die Theater= Kunst= und Litteraturberichte in den größten deutschen
Tageszeitungen werfen, und man wird sich überzeugen, daß die geistige und künstlerische Ent¬
deutschung Deutschlands mit Hochdruck, die Verparisierung unseres
Volkes zum geschäftlichen Prinzip erhoben wird . . .“ (S. 16).
„Es ist ein ganz furchtbares Gefühl, das diese Zustände in uns wachrufen. Wir stehen
da, begeistert für unser altes Volkstum, glühend für die Reinheit, Schönheit und
Ursprünglichkeit unserer Volksseele, uns früh und spät mühend am Werktisch
und wir sind machtlos, der grauenhaften Verwüstung zu wehren, machtlos den
Schändern und Verderbern unserer vaterländischen Kultur das erbärmliche
Handwerk zu legen. Wann wird unserem Volke ein Heiland erstehen, der sich an die Spitze
des Heerzuges vaterländischer Geister schwingt und der schmachvollen Fremdherrschaft Krieg auf
Tod und Leben bringt, die welschen Schaubuden im Lande niederreißt und Deutschlands
Geist zum Herrscher ausruft auf Gassen und Plätzen, in Hütten und Palästen?“ (S. 20).
Sintemalen ich also schon solch ein „vorsündflutlicher Pädagog“ (wie Freund
Törnsee) bin, geht es mir co ipso durchaus nicht in den Kopf, Herrn Schnitzler als
einen Teil „deutscher Kultur“ und seinen „Reigen“ vielleicht gar als deren Messias
zu betrachten. Falls aber Herr Schnitzler tatsächlich ein Heros der deutschen Kultur
ist
dann danke ich höflichst für diese Kultur und wasche mir schleunigst und sorg¬
samst die Hände, so ich mit ihr je in Berührung kommen sollte.
So bin ich nun einmal — zum Glück oder: leider! Vielleicht hätte ich
ein Organ für Schnitzlern, wenn mir Ihr Buch „Deutsche Weckrufe“ nicht zu
früh in die Hände geraten wäre. Sie haben mich geweckt und müssen sich wohl oder
übel damit abfinden, daß ich nun wach bin und den „Dienst deutscher Kultur“ so
verstehe, wie Sie ihn vorgeschrieben.
In Wertschätzung
Wien, 23. Juni 1903.
Ottokar Stauf von der March.
*) Leipzig, Wilhelm Friedrich 1890.
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bin ich, Gott sei gepriesen!), da ich nur so im Stande bin, die schönen Worte aus
dem Buche „Deutsche Weckrufe“ von M. G. Conrad*) voll zu würdigen:
„Wir wollen soweit unsere Kräfte reichen, deutsches Wesen und deutsche Art zu
Ehren und Ansehen bringen, sie schützen und schirmen helfen, sie als ein Herrliches und Selbst¬
ständiges und Notwendiges im Kulturhaushalte der Gegenwart nachweisen. Es handelt sich
hier also um die reinsten und höchsten Geistesbetätigungen, um die Kunst im weitesten
Sinne eines freien und freizumachenden Volkes von nationalem Selbstgefühl, das in seiner
vollen Stärke und Unverfälschtheit der heilige Urquell ist, aus dem die sieghaften,
bleibenden Werke der Menschheit fließen. Denn nicht die Menschheit ist das zengende,
sondern das artbestimmte, eigensamige Volk. (S. 6).
„Man darf nur einen Blick auf die Spielverzeichnisse der deutschen Schaubühnen und
einen Blick auf die Auslagefenster der deutschen Buch= und Kunsthändler, auf die periodischen
Kunstausstellungen, auf die Theater= Kunst= und Litteraturberichte in den größten deutschen
Tageszeitungen werfen, und man wird sich überzeugen, daß die geistige und künstlerische Ent¬
deutschung Deutschlands mit Hochdruck, die Verparisierung unseres
Volkes zum geschäftlichen Prinzip erhoben wird . . .“ (S. 16).
„Es ist ein ganz furchtbares Gefühl, das diese Zustände in uns wachrufen. Wir stehen
da, begeistert für unser altes Volkstum, glühend für die Reinheit, Schönheit und
Ursprünglichkeit unserer Volksseele, uns früh und spät mühend am Werktisch
und wir sind machtlos, der grauenhaften Verwüstung zu wehren, machtlos den
Schändern und Verderbern unserer vaterländischen Kultur das erbärmliche
Handwerk zu legen. Wann wird unserem Volke ein Heiland erstehen, der sich an die Spitze
des Heerzuges vaterländischer Geister schwingt und der schmachvollen Fremdherrschaft Krieg auf
Tod und Leben bringt, die welschen Schaubuden im Lande niederreißt und Deutschlands
Geist zum Herrscher ausruft auf Gassen und Plätzen, in Hütten und Palästen?“ (S. 20).
Sintemalen ich also schon solch ein „vorsündflutlicher Pädagog“ (wie Freund
Törnsee) bin, geht es mir co ipso durchaus nicht in den Kopf, Herrn Schnitzler als
einen Teil „deutscher Kultur“ und seinen „Reigen“ vielleicht gar als deren Messias
zu betrachten. Falls aber Herr Schnitzler tatsächlich ein Heros der deutschen Kultur
ist
dann danke ich höflichst für diese Kultur und wasche mir schleunigst und sorg¬
samst die Hände, so ich mit ihr je in Berührung kommen sollte.
So bin ich nun einmal — zum Glück oder: leider! Vielleicht hätte ich
ein Organ für Schnitzlern, wenn mir Ihr Buch „Deutsche Weckrufe“ nicht zu
früh in die Hände geraten wäre. Sie haben mich geweckt und müssen sich wohl oder
übel damit abfinden, daß ich nun wach bin und den „Dienst deutscher Kultur“ so
verstehe, wie Sie ihn vorgeschrieben.
In Wertschätzung
Wien, 23. Juni 1903.
Ottokar Stauf von der March.
*) Leipzig, Wilhelm Friedrich 1890.