II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 153

11.
Reigen
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zu unterfertigen hätten, wonach sie sich nicht nu
vielleicht zur Erfüllung ihrer Dienstesobliegen¬
heiten verpflichten (das wäre vernünftig, aber auch
überflüssig gewesen, denn wer seinen Dienst nicht
erfüllt, muß ihn ja ohnedies verlassen) — o nein,
Herr Dr. Karl Lueger, dieser Kronenwächter der
Loyalität in Oesterreich,erlangt von jedem
Straßenbahner nicht mehr als einen Loyalitätseid,
daß er zeitlebens stets als waschechter Christlich¬
sozialer leben und hauptsächlich auch — stimmen
werde. Herr Dr. Karl Lueger will gleich seinem
Vorbild, Wilhelm II., alle anders Gesinnten aus
„seinem Reiche“ der Stadt Wien, ausweisen. Wehe
venn einer der Meinung ist, daß es doch noch eine etwas
höhere Kulturstufe als die der Christlichsozialen gäbe,
daß muß zumindest ein — Republikaner oder gar
in Deutschvolkler = Preußenseuchler sein. Hinaus
mit ihm aus der Heerde frommer Schafe, die
gegenwärtig durch das Wiener Spießertum so
glänzend repräsentiert wird. Garniert ist diese
Ehrenwort=Verpflichtung der Straßenbahner noch
überdies mit billigem Grünzeug für Thron und
Dynastie, aber nicht nur für jetzt, sondern auch
gleich für alle ewige Zukunft; so weit als der
Wahnwitz unseres Stadtkommandanten reicht.
Man braucht die Sache ganz gewiß nicht tragisch
aufzufassen, dazu ist sie zu sinnlos. Tausende von
Männern mit der Hungerpeitsche zu einer Ehren¬
wort=Erklärung“ zu pressen das ist ja doch ga¬
nicht schwer. Abgegeben wird die Erklärung sicher¬
warum auch nicht?! Hat Herr
ich von allen —
Dr. Karl Lueger es vermocht, trotz Mannesehre
und Ueberzeugungstreue sich vom radikalen Demo¬
kraten bis zum schwarzgelben Hanswurst hinauf¬
zuschlängeln, warum soll sich dann ein einfacher
Straßenbahner nicht durch dieses hehre Beispie
integrer Charakterlosigkeit eines Besseren belehren
lassen? Ob es politisch ist, tausende von Männern
mit Absicht zu Ehrlosen zu machen, wenn sie sich
anders gehaben wollten, als es den Loyalitäts¬
umpfern im Rathaus paßt, das bleibe dahin¬
gestellt. Wir Oesterreicher sind gewohnt von Kind¬
heit an, vor der Heiligkeit des Diensteseides zu
erschauern; wenn etwas von dieser Angst uns
befreien kann, dann ist es eben dieses Pressen
zum Ehrenwort. „D'rum san ma lusti“ wenn
auch nicht mit Absicht, aber, was die Hauptsache
ist, mit Erfolg arbeiten Lueger und Kompagnie
daran, das Volk zum Vergleichen und zum Denken
zu bringen und das ist gut, sehr gut. Zwar lang¬
sam aber stetig wird auch die Erkenntnis allgemein,
daß jede Verpflichtung auf Ehre und Gewissen
erst dann bindend ist, wenn sie von beiden
Teilen aus freiem Entschluß hervorgeht, das
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ist Manneswort und Mannesehre — das andere
Murner d. J.
Diensteid.

Schnitzlers „Reigen“ wird aufgeführt!!
Der „Zeit“ schreibt „man“ aus München:
„Die Uraufführung von Schnitzlers „Reigen“
durch den Akademisch=dramatischen Verein ist end¬
giltig auf den 25. d. festgesetzt worden. Der
Verein hat für die Premiere hervorragende Schau¬
pielkräfte von hier und auswärts gewonnen.
Als ich diese Notiz las, wußte ich im Augenblick
nicht, ob ich wache oder träume. Schließlich nahm
ich an, die „Zeit“ sei — leichtgläubig, wie sie
chon nachweisbar ist — dupiert worden, denn
ür so geschmacklos und zugleich schamlos kann
ich den „Akademisch=dramatischen Verein“ in Isar¬
then denn doch nicht halten und glaube auch
nicht, daß „hervorragende Schauspielkräfte“ sich
o mißbrauchen lassen! Jedenfalls wird man sehr
wohl daran tun, sich gegenüber dieser Nachricht,
die einem Wink mit dem Zannpfahl verdammt
ihnlich sieht, mißtraulsch zu verhalten. Die Auf¬
führung des „Reigens“ ist wohl nur eine Mi߬
geburt der „Zeit“ und gehört mit Fug und Recht
Volker.
ius Narrenhaus.
Denckwürdtige Thaten und item Reden Kaiser¬
lich Teüttscher Majestät Wilhelmi des Zwoten.
Breslauer Zeitung:
„Kaiser Wilhelm hat dem Hohenzollern=Museum
ein Stück Baumrinde überwiesen. Ein bei
diesem Rindenstück liegender Zettel trägt die In¬
chrift: „Baumrinde, mit der S. M. der
Kaiser am 17. März 1903 I M. der
Kaiserin im Grunewald den ersten
Notverband um den gebrochenen
Arm legte, bis ärztliche Hilfe kam.
Berliner Lokalanzeiger:
Kaiser Wilhelm hat an Adolf Menzel für die
Zeichnung zum Konzertprogramm des
Döberitzer Banketts folgendes Telegramm gesendet:
„Euer Exzellenz sendet die Garde¬
Brigade herzlichen Dank für das
Konzertprogramm, auf dem der
große König uns zum Siege führt
pro gloriaet patria.“
So verständlich die Widmung der zur Na¬
ionalreliquie erhobenen Baumrinde ist, so un¬
verständlich ist die Dank=Drahtung an Menzel.
Kaiser Wilhelm dankt für die Zeichnung zum
Konzertprogramm, auf dem (!) der große König
„uns zum Siege führt pro gloria und patria“. Wie,
wvann hat denn der große König die Garde=Brigade
auf einem Konzertprogramm zum Siege
geführt?! oder ist am Ende unter dem Ausdrucke
„der große König“ Wilhelm II. zu verstehen.
Der Karsthaus.
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