11.
Reigen
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Mericee
„Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!“
Die Münchener Wochenschrift „Freistatt“ hat das dringende Bedürfnis
gefühlt, uns in ihrer Nummer 23 wegen des neulich veröffentlichten Artikels „Sehr
geehrter Herr Staatsanwalt!"*) anzurempeln.
In den Augen des Schreibers A. D. bedeutet die Aufnahme dieses Aufsatzes
„eine arge Entgleisung der Redaktion der „Neuen Bahnen“ denn mag das Werk
Schnitzlers auch den und jenen lex-Heinze=Enthusiasten ärgern, eine litterarische Zeitung
hat auf alle Fälle keine Veranlassung, den Staatsanwalt auf Litteraturerzeugnisse
zu hetzen“
Hierauf haben wir nur Folgendes zu antworten:
Daß die Veröffentlichung des Artikels von Törnsee keine Entgleisung gewesen
ist, wird jeder wissen, der unser Blatt kennt. Wir waren von jeher gegen „Litteratur"¬
Erzeugnisse von der Art des Schnitzler'schen „Reigen“ und werden es auch — ob
Herr A. D es erlaubt oder nicht: egal — stets sein. Wir haben Schnitzler mehr
als einmal anerkannt, sein letztes Buch gehört jedoch nicht mehr zur Litteratur
und wir halten es für eine Pflicht jedes anständigen Blattes, das es mit der
Litteratur Ernst meint, gegen solch eine, mit Verlaub: Verschweinung des Schrift¬
tums energisch Stellung zu nehmen, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Stellung¬
nahme von dieser und jener Seite als „Denunziation“ aufgefaßt wird. Zumal dann,
wenn es sich herausstellt, daß ein Werk, das den erotischen Stoff ernst behandelt,
wegen „Unsittlichkeit“ konfisziert wird, indeß ein Buch, dem die Erotik sichtlich Selbst¬
zweck ist, und das ebendeshalb bedeutenden Schaden stiften kann, ganz ungeschoren
bleibt. Auf diese Inkonsequenz hinzuweisen, war in erster Linie Törnsee's Absicht
und darum verdient sie volle Billigung und Inerkennung.
So und nun wären wir eigentlich fertig.
Erwähnt sei nur noch das wichtige Moment, daß die „Freistatt“ ihrem Namen
alle Ehre macht. Sie ist wirklich eine Freistatt suns pitase. Im Text bricht
Herr A. D. die bekannte „warme Lanze“ für Herrn Arthur Schnitzlers „Reigen“
und im Inseratenteile offeriert Herr J. Gerö und Herr Heinrich Lehmann
„Spezialitäten für den Herrentisch,“ wie z. B.: Der Lastermarkt von Budapest,
Enthüllungen aus dem Nonnenleben, Slavina (mit pikanten Abbildungen), die
berühmten Memoiren des Herrn v. H. und ähnliche (Litteratur=) Erzeugnisse
(nicht wahr Herr A. D.2). Nun wird man die Aurempelung zu würdigen wissen.
Es war eine oratio pro domo!
Die Schriftleitung.
Wien, 10. Juni 1903.
S
N
*) Vgl. Heft 11—12, S. 288.
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Mericee
„Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!“
Die Münchener Wochenschrift „Freistatt“ hat das dringende Bedürfnis
gefühlt, uns in ihrer Nummer 23 wegen des neulich veröffentlichten Artikels „Sehr
geehrter Herr Staatsanwalt!"*) anzurempeln.
In den Augen des Schreibers A. D. bedeutet die Aufnahme dieses Aufsatzes
„eine arge Entgleisung der Redaktion der „Neuen Bahnen“ denn mag das Werk
Schnitzlers auch den und jenen lex-Heinze=Enthusiasten ärgern, eine litterarische Zeitung
hat auf alle Fälle keine Veranlassung, den Staatsanwalt auf Litteraturerzeugnisse
zu hetzen“
Hierauf haben wir nur Folgendes zu antworten:
Daß die Veröffentlichung des Artikels von Törnsee keine Entgleisung gewesen
ist, wird jeder wissen, der unser Blatt kennt. Wir waren von jeher gegen „Litteratur"¬
Erzeugnisse von der Art des Schnitzler'schen „Reigen“ und werden es auch — ob
Herr A. D es erlaubt oder nicht: egal — stets sein. Wir haben Schnitzler mehr
als einmal anerkannt, sein letztes Buch gehört jedoch nicht mehr zur Litteratur
und wir halten es für eine Pflicht jedes anständigen Blattes, das es mit der
Litteratur Ernst meint, gegen solch eine, mit Verlaub: Verschweinung des Schrift¬
tums energisch Stellung zu nehmen, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Stellung¬
nahme von dieser und jener Seite als „Denunziation“ aufgefaßt wird. Zumal dann,
wenn es sich herausstellt, daß ein Werk, das den erotischen Stoff ernst behandelt,
wegen „Unsittlichkeit“ konfisziert wird, indeß ein Buch, dem die Erotik sichtlich Selbst¬
zweck ist, und das ebendeshalb bedeutenden Schaden stiften kann, ganz ungeschoren
bleibt. Auf diese Inkonsequenz hinzuweisen, war in erster Linie Törnsee's Absicht
und darum verdient sie volle Billigung und Inerkennung.
So und nun wären wir eigentlich fertig.
Erwähnt sei nur noch das wichtige Moment, daß die „Freistatt“ ihrem Namen
alle Ehre macht. Sie ist wirklich eine Freistatt suns pitase. Im Text bricht
Herr A. D. die bekannte „warme Lanze“ für Herrn Arthur Schnitzlers „Reigen“
und im Inseratenteile offeriert Herr J. Gerö und Herr Heinrich Lehmann
„Spezialitäten für den Herrentisch,“ wie z. B.: Der Lastermarkt von Budapest,
Enthüllungen aus dem Nonnenleben, Slavina (mit pikanten Abbildungen), die
berühmten Memoiren des Herrn v. H. und ähnliche (Litteratur=) Erzeugnisse
(nicht wahr Herr A. D.2). Nun wird man die Aurempelung zu würdigen wissen.
Es war eine oratio pro domo!
Die Schriftleitung.
Wien, 10. Juni 1903.
S
N
*) Vgl. Heft 11—12, S. 288.