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Reigen
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und gemütlichere „lieber“ nicht!) Da gibt es nun mancherlei Arten, in denen
sich so heikle erotische Fragen behandeln lassen. Der Pornograph macht die
Sache so, dass er die gewissen Dinge zur Sprache bringt und schildert, ohne
selbst Stellung für oder wider zu nehmen; dabei geht er liebevoll in die
geringsten Details ein. bis ihm — — — — (siehe „Reigen“) denn doch Halt
gebieten. Entweder bringt er das alles nüchtern und trocken vor, um durch
eine falsche „Sachlichkeit“ zu wirken, oder frivol, umn zynisches Lächeln hervor¬
zurufen, oder aber mit sogenannter Phanlasie und ersichtlicher Wollust und
Freude am Schmutze, um brutal lierisch zu slachein. Sie werden zugeben, dass
das alles keine künstlerische Anregung, sondern nur körperliche Aufregung
bezweckt und somit geeignet ist, gröbliche Schamverlelzung und öffentliches
Aergernis zu vindizieren. — Eine andere Art ist die gelehrte Behandlung
erotischer Fragen vom Slandpunkte der Hygiene und der Psychiatrie aus. Diese
Art dürfte Ihnen bekannt und klar sein, da Sie ja meines Wissens weder Krafft¬
Ebing noch Manlegazza eic. bicher beansländeten; das didaktische Element
verkennen doch selbst Sie nicht. Nun kommen wir zur Kunst“, zur Belletristik!
Kennen Sie Boccaccio? Wahrscheinlich. Sehen Sie, da haben Sie sicherlich
eine sehr freie, ja laszive Behandlung erotischer Fragen. Aber den funkelnden
Geist, mit dem sie erdacht und geschrieben sind, den huiturellen und satirischen
Kunstwert etc. etc. werden sie nicht leugnen. Für unreife Untergymnnsiasten
hat Boccaccio allerdings nicht geschrieben: ihnen würde ich aber auch Zola
und Gocthe und Schiller vorenthalten. Von modernen Schriftstellern hat Felix
Salten seine gewiss laszive „Gedenktaftl der Prinzessin Anna“ in dieser Art
geschrieben, ein Buch, das geistreich genug ist, um schlüpfrig sein zu dürfen.
Auch der Saliriker darf und soll vor einem heiklen erotischen Thema nicht
zurückschrecken; im Gegenteile, gerade da kann er mit souveräner Lanne und
schneidender Schärfe die Geissel schwingen und alle brandigen Stellen im
Fleische des gesellschaftlichen Leberrs blosslegen, alle Hässlichkeiten und Schwären
zur Schau stellen und brandmarken. Wenn man aber nicht wie der Saliriker
über der Sache sieht oder sich nicht über sie stellt und in seinem Berufe als
psychologischer Schriftsteller ganz und gar in dem Thema „aufgelt“, nachdem
man seine künstlerisch wertvolle und menschlich interessierende und ergreifende
Seile herausgefunden und erfasst hal. dann — dann schreibt man ebenso wie
August Weissl sein Buch „Gräfin Julie“ schrieb. Dass die Form dieses -
sonst ju nicht so bedeutenden — Buches seinem Inhalte entspricht, dass rasende
Leidenschaft mit glühender Leidenschaftlichkeit geschildert wird, dass sozusagen
die Melodie dem Text sich anschmiest und heisse Flamme das Ganze durch¬
lodert, das ist ja doch ein Vorzug dieses Buches, ein künsllerischer Vorzug.
lieber Herr Staatsanwalt. Das dem Autor zum Vorwurf zu machen, ist einfach —
mnüberlegt. Eine Trockene Wiedergabe der Phasen und Akte dieser Leidenschaff,
solch eine nächterne Wiedergabe, wie ich sie schon gelegentlich der Porno¬
graphie erwähnle — ja, die wäre verletzend und verdammenswert gewesen,
hätte ekelerregend gewirkt.
Sehen Sie, lieber Herr Staalsanwalt, abgesehen von dem künsllerischen
Wert oder Inleresse des einen und des anderen Buches liegt der grosse Unter¬
schied zwischen „Reigen“ und „Gräfin Julie“ in der Form. Weissl’s Buch verrät
einen von seinem Theina durchdrungenen und von seiner Bedeutung über¬
zeuglen und durchglühten Autor, der mit künstlerischen Mittein schaffen wollte
und schuf,während aus „Reigen“ nichts als die frivole Lust am Seimnntze
sprichl, u zw. in gedanklich ärmsler und formal werklosesler Weise.
Vielleicht denken Sie, verehrter Herr, ein wenig über meine Worte nach
und verschieben den bureankratischen Gesichtskreis zu Gunsten des litterarischen
Beurteilungsvermögens. Es wäre für uns alle — Sie nicht ausgenommen — von
giebige Rangserhöhung wünsche,
Vorteil. — Indem ich Ihnen eine baldige und
zu der Sie alle Aussicht haben, wenn Sie fortfahren, zeichne ich submissest
Fr. Törnsee.
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und gemütlichere „lieber“ nicht!) Da gibt es nun mancherlei Arten, in denen
sich so heikle erotische Fragen behandeln lassen. Der Pornograph macht die
Sache so, dass er die gewissen Dinge zur Sprache bringt und schildert, ohne
selbst Stellung für oder wider zu nehmen; dabei geht er liebevoll in die
geringsten Details ein. bis ihm — — — — (siehe „Reigen“) denn doch Halt
gebieten. Entweder bringt er das alles nüchtern und trocken vor, um durch
eine falsche „Sachlichkeit“ zu wirken, oder frivol, umn zynisches Lächeln hervor¬
zurufen, oder aber mit sogenannter Phanlasie und ersichtlicher Wollust und
Freude am Schmutze, um brutal lierisch zu slachein. Sie werden zugeben, dass
das alles keine künstlerische Anregung, sondern nur körperliche Aufregung
bezweckt und somit geeignet ist, gröbliche Schamverlelzung und öffentliches
Aergernis zu vindizieren. — Eine andere Art ist die gelehrte Behandlung
erotischer Fragen vom Slandpunkte der Hygiene und der Psychiatrie aus. Diese
Art dürfte Ihnen bekannt und klar sein, da Sie ja meines Wissens weder Krafft¬
Ebing noch Manlegazza eic. bicher beansländeten; das didaktische Element
verkennen doch selbst Sie nicht. Nun kommen wir zur Kunst“, zur Belletristik!
Kennen Sie Boccaccio? Wahrscheinlich. Sehen Sie, da haben Sie sicherlich
eine sehr freie, ja laszive Behandlung erotischer Fragen. Aber den funkelnden
Geist, mit dem sie erdacht und geschrieben sind, den huiturellen und satirischen
Kunstwert etc. etc. werden sie nicht leugnen. Für unreife Untergymnnsiasten
hat Boccaccio allerdings nicht geschrieben: ihnen würde ich aber auch Zola
und Gocthe und Schiller vorenthalten. Von modernen Schriftstellern hat Felix
Salten seine gewiss laszive „Gedenktaftl der Prinzessin Anna“ in dieser Art
geschrieben, ein Buch, das geistreich genug ist, um schlüpfrig sein zu dürfen.
Auch der Saliriker darf und soll vor einem heiklen erotischen Thema nicht
zurückschrecken; im Gegenteile, gerade da kann er mit souveräner Lanne und
schneidender Schärfe die Geissel schwingen und alle brandigen Stellen im
Fleische des gesellschaftlichen Leberrs blosslegen, alle Hässlichkeiten und Schwären
zur Schau stellen und brandmarken. Wenn man aber nicht wie der Saliriker
über der Sache sieht oder sich nicht über sie stellt und in seinem Berufe als
psychologischer Schriftsteller ganz und gar in dem Thema „aufgelt“, nachdem
man seine künstlerisch wertvolle und menschlich interessierende und ergreifende
Seile herausgefunden und erfasst hal. dann — dann schreibt man ebenso wie
August Weissl sein Buch „Gräfin Julie“ schrieb. Dass die Form dieses -
sonst ju nicht so bedeutenden — Buches seinem Inhalte entspricht, dass rasende
Leidenschaft mit glühender Leidenschaftlichkeit geschildert wird, dass sozusagen
die Melodie dem Text sich anschmiest und heisse Flamme das Ganze durch¬
lodert, das ist ja doch ein Vorzug dieses Buches, ein künsllerischer Vorzug.
lieber Herr Staatsanwalt. Das dem Autor zum Vorwurf zu machen, ist einfach —
mnüberlegt. Eine Trockene Wiedergabe der Phasen und Akte dieser Leidenschaff,
solch eine nächterne Wiedergabe, wie ich sie schon gelegentlich der Porno¬
graphie erwähnle — ja, die wäre verletzend und verdammenswert gewesen,
hätte ekelerregend gewirkt.
Sehen Sie, lieber Herr Staalsanwalt, abgesehen von dem künsllerischen
Wert oder Inleresse des einen und des anderen Buches liegt der grosse Unter¬
schied zwischen „Reigen“ und „Gräfin Julie“ in der Form. Weissl’s Buch verrät
einen von seinem Theina durchdrungenen und von seiner Bedeutung über¬
zeuglen und durchglühten Autor, der mit künstlerischen Mittein schaffen wollte
und schuf,während aus „Reigen“ nichts als die frivole Lust am Seimnntze
sprichl, u zw. in gedanklich ärmsler und formal werklosesler Weise.
Vielleicht denken Sie, verehrter Herr, ein wenig über meine Worte nach
und verschieben den bureankratischen Gesichtskreis zu Gunsten des litterarischen
Beurteilungsvermögens. Es wäre für uns alle — Sie nicht ausgenommen — von
giebige Rangserhöhung wünsche,
Vorteil. — Indem ich Ihnen eine baldige und
zu der Sie alle Aussicht haben, wenn Sie fortfahren, zeichne ich submissest
Fr. Törnsee.