II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 158

egen
gesehen, seinem Gedächinisse genau eingeprägt habe.
Aus den einzelnen Landtagen liegen uns fol¬
gende Berichte vor:
Niederösterreich.
(30. Sitzung. — Fortsetzung aus dem Abendblatte.).
Beitragsleistung zu den Wasserstraßen.
Statthalter Graf Kielmansegg bemerkt, daß der Bericht dis
Bauausschusses über die Regierungsvorlage, betreffend die
Beitragsleistung zu den im Sinne des Gesetzes vom 11. Juni
1901 vom Staate auszuführenden Wasserstraßen, auf der
Tagesordnung stehe und daß er die Herren Ministerialsekretär
Dr. Heinrich Kautzky und Baurat Richard Kuhn vom Handels¬
ministerium zu seiner Unterstützung hieher gebeten habe, damit diese
Fachmänner eventuell gewünschte Auskünfte erteilen können.
Landesausschuß v. Pirro referiert über diesen Gesetzentwurf.
Abg. Reckendorfer urgiert die Regulierung des Marchflusses.
Abg. Höher ersucht die Regierung, beim Wasserstraßenbau den
Granit aus dem Bezirke Weitra zu beziehen.
Abg. Jedek sagt, den Gemeinden an der Donau sei durch die
Eisenbahnen der Verkehr weggenommen worden. Er wünscht beson¬
dere Rücksichtnahme auf das Kanalprojekt Budweis=Linz. Dadurch
würde der Verkehr auf der Donau auf der Strecke Linz=Wien neu
belebt.
Landesausschuß v. Pirko erklärt, daß die Berücksichtigung des
vom Vorredner geäußerten Wunsches direkt gegen das Interesse des
Landes Niederösterreich wäre
Der Gesetzentwurf wird unverändert angenommen.
Christlichsoziale Armenpflege.
Abg. Freiherr v. Doblhoff referiert über die Voranschläge
des Landesarmenfonds.
Abg. Höher beschwert sich über die Höhe der Armenumlagen.
In den Landgemeinden draußen stehen nur zwei schöne Gebäude:
die Schule und das Armenhaus. Das schaut oft aus wie ein Palast.
Damit der Blitz ja kan Armen derschlagt, steht noch
a Blitzableiter d'rauf. Wenn das so fortgeht, wird es noch zu einem
Bauernkrieg kommen. Dann wird der Bader sagen: „Du
Adler, du Seitz, du Ellenbogen, führe uns au.
(Heiterkeit.) Dann wird es gegen die Herren gehen, die
mich jetzt auslachen, gegen die Großgrundbesitzer. Das
wird einmal so kommen, und ich sag's, damit das stenographische
Protokoll beweist, daß hier einmal ein Bauer gesessen hat, der die
kommenden Ereignisse vorausgesagt hat. (Heiterkeit.)
Abg. Bauchinger kritisiert gleichfalls die geltenden Bestim¬
mungen über die Armenpflege. Das Gesetz gilt alles und die Liebe
nichts. Damit dieses Gesetz seinem Zwecke entspreche, dazu wäre das
Vorhandensein idealer Armen die Voraussetzung. Die Kaufleute
erzählen, daß keiner im Orte so viel Vanille und so viel Thee kauft,
wie manche der in Armenpflege befindlichen Personen. Die Armen
leben oft besser als die Bauern. Redner wünscht, daß der Staat zu
ven Armenlasten in entsprechender Weise herangezogen werde; denn
gerade der Staat trage durch seine Unterlassungssünden einen großen
Teil der Schuld an der zunehmenden Verarmung der Bevölkerung
Die Regierung habe den Leichtsinn großgezogen durch Gestattung
gewisser Auswüchse in der Literatur. Es sei eine
Schande, was man alles in den Schaufenstern der Ansichts¬
kartenhandlungen und in den Katalogen, in welchen gewisse
Pikanterien angepriesen sind, finde. Die Auslagen mancher
Buch= und Kunsthandlungen in Wien gleichen
geradezu Fleischhauerläden. Da sehe man Menschen¬
fleisch, mager und fett, vorderes und hinteres,
aber meistens junges. Die Regierung tue alles halb; man
habe die Vorlesung von Schnitzlers „Reigen durch Her¬
mann Bahr verboten; das—Buch setbst aber darf überall
verkauft werden, und das Verbot der Vorlesung wirkt
gehen die jüngsten Bürscherln
als Reklame. So
nur
und Maderln an den Schaufenstern vorüber, begaffen die Bilder
und werden durch die ewigen Reizungen ihrer noch unentwickelten
Phantasie auf den Weg des Leichtsinns und des Lasters geführt.
Sie werden durch die Duldung der Regierung an Leib und Seele
verdorben, und das Ende ist, daß sie oder ihre eventuelle Nach¬
kommenschaft der Armenpflege anheimfallen. Redner ersucht schließ
lich den Landesausschuß, auf eine Aenderung des Armengesetzes
hinzuerbeiten, insbesondere in der Linie, daß die Bezirksarmen¬
umlage von 15 auf 10 Prozent herabgesetzt werde.
Abg. Seitz ist der Ansicht, daß in erster Linie der Staat die
Armen zu versorgen habe. Er polemisiert gegen die Ausführungen
des Abg. Bauchinger und findet es sehr sonderbar, daß gerade
ein katholischer Priester so heftig gegen die Armenversorgung
auftrete.
Abg. Bauchinger: Mit fremdem Gelde darf man nicht ver¬
schwenderisch wirtschaften
Abg. Seitz: Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, daß die
Armen von eigenem Gelde leben sollen, kann man nicht gut ver¬
langen. Redner erklärt zum Schluß, daß es tief bedauerlich wäre,
wenn es viele katholische Priester geben würde, die so denken wie
der Abg. Bauchinger.
Abg. Oberndorfer sagt: Wir wollen nur dort sparen, wo
eine Unterstützung nicht am Platze ist, bei jenen Armen, die uns von
den Sozialdemokraten auf den Buckel gehetzt werden, und das sind
meist unsere Dienstboten. Wenn die Sozialdemokraten ein paar
Knechte beisammen finden, werden sie gleich verhetzt, und es wird
ihnen gesagt: „Was braucht ihr arbeiten, ihr habt ja eine Armen¬
versorgung.“ Es ist auch tatsächlich so, man braucht nur zu schauen,
daß man ein ärztliches Zeugnis bekommt. Der Bauer aber steht vor
dem Armenhaus und sagt: „Wenn i da eini käm', wär' i glücklich
Landesausschuß Mayer erklärt, es tuc ihm leid, daß er heute
gegen einige liebe Freunde auftreten müsse. Er verteidigt die Wirt
schaftsführung in den Armenhäusern gegen die erhobenen Vorwürfe
und erklärt, heutzutage könne man die geschlossene Armenpflege nicht
mehr entbehren.
Der Voranschlag des Landesarmenfonds wird angenommen.