11. Reigen
box 17/3
Werke haben kamne wie immer gearteie
politische oder sittliche Zollschranke zu passiren, wenn
sie in die Oeffentlichkeit treten, und wenn schon in
der Vergangenheit ab und zu eine behördliche Inter¬
vention erfolgte, geschah dies immer nachträglich,
wenn bereits an der Hand verflossener Aufführungen
die Nothwendigkeit behördlicher Verfügungen sich
zeigte. Unsere Behörde ist sowohl im Hinblick auf
die politische Tendenz der aufgeführten Stücke als
auf deren sittlichen oder besser gesagt, unsittlichen
Gehalt von weitestgehendem Liberalismus. Unseres
Erinnerns sind Theaterstücke wegen ihrer politischen
Tendenz in den allerseltensten Fällen beanstandet wor¬
den, und auch in sittlicher Beziehung mußten schwer¬
wiegende Bedenken aufgetaucht sein, wenn schon die
Behörpe zu einem Einschreiten sich veranlaßt sah. Dieser
Fall lag nun vor, als die Polizei heute die Auf¬
führung eines Stückes in einem sich literarisch nen¬
nenden, in Wahrheit jedoch ziemlich obskuren Theater
der Vorstadt verbot. In der Dembiußkygasse existirk
seit dem vorigen Jahre eine kleine Bühne, die sich den
Namen „Uj Szinpad“ beigelegt hatte. Sie war früher
die Hausbühne der Arbeiterschaft und befindet sich in
dem sogenannten „Sozialistenhaus“ an der Ecke der
Dembiußkygasse und der Arenastraße. Die erste Direk¬
tion ging schon kurz nach der Eröffnung mangels an
Zuspruch zugrunde und in dieser Saison wurde das
Theater von dem ehemaligen Provinzdirektor Albert
Kövessy übernommen, unter dem früheren Titel, der
schon nach einigen Tagen in „Kövessy-Szinhäz“
umgeändert wurde. Ende der vorigen Woche gelangte
dort Arthur Schnitzler's „Reigen“ zur Auffüh¬
rung, und Jeder, der diese Novellenflucht des her¬
vorragenden. Dichters kannte, war befremdet über die
Unverfrorenheit, mit der man sich an die Aufführung
dieses Werkes machte, das das sexuelle Grundmotiv durch
eine Kette von Vertretern verschiedener Gesellschafts¬
klassen führt und zu einer Kreislinie schließt. Schnitz¬
ler's „Reigen“ ist ein Buch, das dem literarischen
Gourmet manche Feinheit des Sinnenlebens ver¬
schiedener Gesellschaftstypen vermittelt, aber für die
Neugierigen und Sensationslüsternen doch nur eine
Schrift, von der man sich die angenehmen Schauer
verspricht, die die feinere Pornographie zu erzeugen
als ihren Zweck bekennt. Nur durch den eleganten
und vornehmen Vortrag Schnitzler's konnte dieses
Werk ein literarisches Air bewahren, und die Distre¬
ion des Dichters ging so weit, als das bei dem ver¬
änglichen Thema blos möglich war. An eine Ver¬
innlichung dieser feinen Erotik auf dem Theater konnte
der Dichter gar nicht denken und vürfte sich auch über die
Maßen wundern, wenn er erfährt daß seine Geschichten,
die er in das Dunkel der Nac in das diskrete Licht
der Alkoven, der Schlafzimmer und der chambres
particulieres hinein gedichtet, nun durch ein, Lite
ratur heuchelndes, in Wahrheit aber von geschäftlichen
Absichten geleitetes Unternehmen in das rücksichts¬
lose Licht der Theaterrampe gezerrt wurde. Die
Bühne, die zur rohen That schreiten mußte, wo der
Dichter in seinem Buche es blos bei leisen Andeu¬
tungen bewenden ließ, entkleidete denn auch das
Werk seines literarischen Charakters und machte aus
dem „Reigen“ eine Flucht von gemeinen Tableaux,
die das Unstatthafte bis an die äußerste Grenze
übertrieb. Das Stück wurde unter dem Titel „Körbe¬
Körbe“ seit ungefähr einer Woche als die einzige
Piece im Ensuite=Repertoires des Kövessy=Theater
gespielt, mußte jedoch heute in Folge Einschreitens
er Polizei abgesetzt werden. Es ist nicht nach un¬
erem Sinne, wenn die Polizei sich allzu intensiv
für Literatur und Publizistik interessirt, aber in die¬
em Falle, da ein bischen skurrile Literatur zu roher
Schaustellung entwürdigt wurde, kann man nicht
anders, als das Vorgehen der Behörde billigen, die
dem kleinen Winkeltheater einen drastischen Finger¬
zeig gab, wo es seine angeblichen literarischen Ziel
nicht zu suchen hat.
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Werke haben kamne wie immer gearteie
politische oder sittliche Zollschranke zu passiren, wenn
sie in die Oeffentlichkeit treten, und wenn schon in
der Vergangenheit ab und zu eine behördliche Inter¬
vention erfolgte, geschah dies immer nachträglich,
wenn bereits an der Hand verflossener Aufführungen
die Nothwendigkeit behördlicher Verfügungen sich
zeigte. Unsere Behörde ist sowohl im Hinblick auf
die politische Tendenz der aufgeführten Stücke als
auf deren sittlichen oder besser gesagt, unsittlichen
Gehalt von weitestgehendem Liberalismus. Unseres
Erinnerns sind Theaterstücke wegen ihrer politischen
Tendenz in den allerseltensten Fällen beanstandet wor¬
den, und auch in sittlicher Beziehung mußten schwer¬
wiegende Bedenken aufgetaucht sein, wenn schon die
Behörpe zu einem Einschreiten sich veranlaßt sah. Dieser
Fall lag nun vor, als die Polizei heute die Auf¬
führung eines Stückes in einem sich literarisch nen¬
nenden, in Wahrheit jedoch ziemlich obskuren Theater
der Vorstadt verbot. In der Dembiußkygasse existirk
seit dem vorigen Jahre eine kleine Bühne, die sich den
Namen „Uj Szinpad“ beigelegt hatte. Sie war früher
die Hausbühne der Arbeiterschaft und befindet sich in
dem sogenannten „Sozialistenhaus“ an der Ecke der
Dembiußkygasse und der Arenastraße. Die erste Direk¬
tion ging schon kurz nach der Eröffnung mangels an
Zuspruch zugrunde und in dieser Saison wurde das
Theater von dem ehemaligen Provinzdirektor Albert
Kövessy übernommen, unter dem früheren Titel, der
schon nach einigen Tagen in „Kövessy-Szinhäz“
umgeändert wurde. Ende der vorigen Woche gelangte
dort Arthur Schnitzler's „Reigen“ zur Auffüh¬
rung, und Jeder, der diese Novellenflucht des her¬
vorragenden. Dichters kannte, war befremdet über die
Unverfrorenheit, mit der man sich an die Aufführung
dieses Werkes machte, das das sexuelle Grundmotiv durch
eine Kette von Vertretern verschiedener Gesellschafts¬
klassen führt und zu einer Kreislinie schließt. Schnitz¬
ler's „Reigen“ ist ein Buch, das dem literarischen
Gourmet manche Feinheit des Sinnenlebens ver¬
schiedener Gesellschaftstypen vermittelt, aber für die
Neugierigen und Sensationslüsternen doch nur eine
Schrift, von der man sich die angenehmen Schauer
verspricht, die die feinere Pornographie zu erzeugen
als ihren Zweck bekennt. Nur durch den eleganten
und vornehmen Vortrag Schnitzler's konnte dieses
Werk ein literarisches Air bewahren, und die Distre¬
ion des Dichters ging so weit, als das bei dem ver¬
änglichen Thema blos möglich war. An eine Ver¬
innlichung dieser feinen Erotik auf dem Theater konnte
der Dichter gar nicht denken und vürfte sich auch über die
Maßen wundern, wenn er erfährt daß seine Geschichten,
die er in das Dunkel der Nac in das diskrete Licht
der Alkoven, der Schlafzimmer und der chambres
particulieres hinein gedichtet, nun durch ein, Lite
ratur heuchelndes, in Wahrheit aber von geschäftlichen
Absichten geleitetes Unternehmen in das rücksichts¬
lose Licht der Theaterrampe gezerrt wurde. Die
Bühne, die zur rohen That schreiten mußte, wo der
Dichter in seinem Buche es blos bei leisen Andeu¬
tungen bewenden ließ, entkleidete denn auch das
Werk seines literarischen Charakters und machte aus
dem „Reigen“ eine Flucht von gemeinen Tableaux,
die das Unstatthafte bis an die äußerste Grenze
übertrieb. Das Stück wurde unter dem Titel „Körbe¬
Körbe“ seit ungefähr einer Woche als die einzige
Piece im Ensuite=Repertoires des Kövessy=Theater
gespielt, mußte jedoch heute in Folge Einschreitens
er Polizei abgesetzt werden. Es ist nicht nach un¬
erem Sinne, wenn die Polizei sich allzu intensiv
für Literatur und Publizistik interessirt, aber in die¬
em Falle, da ein bischen skurrile Literatur zu roher
Schaustellung entwürdigt wurde, kann man nicht
anders, als das Vorgehen der Behörde billigen, die
dem kleinen Winkeltheater einen drastischen Finger¬
zeig gab, wo es seine angeblichen literarischen Ziel
nicht zu suchen hat.