II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 247

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Reigen
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Theater und Kunst.
„neigen in den Kammerspielen.
Die gestrige Generalprobe.
So ist denn „Reigen“ diese viel¬
Artur
die
Szenenreihe,
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berlästerte
Schnitzl##jungen Jahren in einem
Büche niedergelegt, das sozusagen zu den ver¬
botensten seiner Zeit zählt, auch in Wien im
Rampenlicht einer Bühne erschienen. Und
obgleich dieser Aufführung keine Protestrufe
und sonstige Reklamestöße wider Willen
vorangegangen, hat schon die Generalprobe in
im Zeichen der
den Kammerspielen
„Sensation“ sich vollzogen. Ein volles Haus
wo sonst immer ein paar Kritiker und un¬
beschäftigte Bühnenleute ein Häuflein Zu¬
schauer bilden, Vertreter der Schauspielkunst
aus allen Wiener Gauen, Dichter und Gäste
aus dem Reich der bildenden Künste waren
zur vormittägigen Probeauführung gekommen.
Sie sahen und hörten und — zeigten sich nicht
emport. Nicht einmal von den vielen Damen,
die in den Reihen sich drängten, hörte man ein
Zeichen der Entrüstung. Hoffentlich vollzog sich
in ihnen die Revolution wenigstens still:
durch Erröten. Man konnte derlei allerdings
im Saale nicht wahrnehmen, denn — Gott
sei Dank — man hatte die Beleuchtung auf ein
Mindestmaß zurückgeführt.
Die Szenen des „Reigen“ dem Publikum
inhaltlich darzustellen, ist nicht gut möglich. Es
genüge sie anzudeuten. Man erlebt die Zu¬
sammenkunft der Dirne und des Soldaten, die
zu nächtlicher Stunde im Freien sich treffen;
man beobachtet die Annäherung des jungen
Herrn aus guter Familie zum Stubenkätzchen,
dann eines Elegants zur „anständigen
Frau, weiter eines gesetzteren Herrn und eines
Wiener Vorstadtmädels, dann wieder eines
Dichters und später eines gräflichen Offiziers
und einer berühmten Schauspielerin. All diese
Zusammenkünfte spielen sich meist nächtlich ab.
Entweder in einem Donaugebüsch des Praters,
oder im Junggesellenheim, in einem Chambre
separée oder im Boudoir einer Diva.
Der Höhepunkt der Szene ist immer der¬
selbe. Er kundigt sich dadurch an, daß die Bühne
vollkommen verdunkelt wird und eine Zeitlang
wie ein schwarzer Riesenfleck dem Publikum
entgegen arrt. Und man fühlt es immer als eine
Erleichterung, daß der Beleuchtungsinspektor
dem Dichter in die Arme fällt... Namentlich
die ersten im nächtlichen Prater sich ab¬
spielenden Szenen flößen arges Unbehagen
ein. Später, wenn der „Reigen“ in die Sphare
gebildeter Menschen gerät, spielen sich die
Dinge nicht mehr so brutal ab. Auch lenkt der
Dialog, aus dem der Geist eines dichterischen
Menschen= und Weltenbeschauers zu sprechen
beginnt, die Aufmerksamkeit von Scheußlichem
ab. Wenn es auch — im Boudoir geradeso wie
auf der Praterwiese — auf der Bühne kohl¬
Man hal
rabenschwarz werden muß.
Schnitzlers „Reigen“ vielfach als ein seiner
unwürdiges, schamloses Machwerk verschrien.
In der gezähmten Gestaltung der Bühne
treten die Brutalitäten mehr zurück. Die
Menschen selbst treten vor und werden mit
einer Erbarmungslosigkeit durchleuchtet, die
nur ein großer Kenner trifft. Nur diese Kunst,
die genial=schmissige Zeichnung der Figuren
jeder Mann und jede Frau ein vollendeter
Typus eines ganzen Geschlechtes — kann den
„Reigen“, vor dem Verdammungsurteil
schützen, ein pornographisches Werk zu sein.
Womit aber nicht gesagt werden soll,
daß es ein Bühnenwerk ist. Im Gegenteil! Es
fehlt ihm jede dramatische Seele. Es ist eine
Szenenreihe gegen die Bühne, was schon
daraus sich ergibt, daß die Höhepunkte regel¬
mäßig nur völlig wort= und lichtlos möglich
sind. Jawohl, der „Reigen“, hätte im Buch
bleiben sollen. Aber er wird trotzdem viele
Aufführungen erleben, denn die Leute werden
hn weger der Pikanterie“ zuströmen, so wie