II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 264

11. Reigen
box 17/5
„Reigen“.
Die Achtung vor dem Reinlichkeitsgefühl unserer
Leser zwingt uns, sie bloß kurz und andeutungsweise mit
dem Tatsachengehalt dieser zhn Dialoge von Artur
Schnitzler bekannt zu machenz Zehn Personen schlin¬
gen den „Neen die= Dirne st, dem Soldaten, dann
der Soldat mit dem Stubenmädchen, dann das Stuben¬
mädchen mit dem jungen Herrn; dann der junge Herr
mit der jungen Frau eines andern, hierauf dieser Andere
mit einem süßen Mädel, dann das süße Mädet mit dem
Dichter, hierauf der Dichter mit der Schauspielerin, dann
die Schauspielerin mit dem Grafen und endlich der Graf
mit der Dirne, so daß der Kreis geschlossen ist. Jede dieser
zehn kurzen Szenen wird zum Akt; in jeder arten
Liebesgespräche schon nach wenigen Minuten zu einer
Handlung aus, die im Buche mit Gedankenstrichen an¬
gedeutet wird und die durch Verdunkelung der Bühne zu
markieren die Spielleitung vorläufig noch genug Rück¬
sicht besitzen muß. Wir sagen vorläufig „noch“ denn
bei
nach einer neuerlichen Revolution und
wird
ausgedehnter „Freiheit“
noch weiter
Schranke
letzte
vermutlich auch noch diese
fallen, die uns derzeit noch von der Ungeniertheit trennt,
mit der sich das Weidevieh auf der Alm oder die Hunde
auf der Gasse ihrem Liebesdrange hingeben. In der
bösen Monarchie, die bekanntlich der Entfaltung der
wir haben schon den Mut. so ruastant; zu Loilt. 11
tun es mit Stolz und im vollen Bewußtsein unserer Ver¬
antwortung. Wir verlangen von den Beyörden, die uns
ja auch vor dem Umsichgreifen einer Pest zu 5chüten die
Pflicht haben, daß sie dieser volksvergiftenden S#mach
sofort ein Ende bereiten. Wir verlangen es mit aller
Strenge und werden gewiß nicht müde werden, auf
Mittel zu innen, die diesem wahrhaftig gerechten Ver¬
langen Nachdruck zu geben vermögen. Ach ja, wir kleri¬
kalen Mucker, wir Finsterlinge, wir haben ja mit ähn¬
lichen Schmerzen das Ohr der Oeffentlichkeit oft genug
belästigt, wir haben gegen Wedekind und Schönherr und
Sternheim gewettert, wir haben uns schon zu wieder¬
holten Malen als scheuklappentragende Kunstfeinde pro¬
duziert. Diesmal aber sind uns sogar aus Kreisen, die
uns sonst verächtlich zu belächeln pflegten, Bundesgenossen
erstanden. In Berlin hat sich ein Maximilian Harden
in heller Empörung gegen die dortigen „Reigen“= Auf¬
führungen aufgelehnt und ein Moissi hat sich gar zu dem
Ausspruche verstanden, jede Schauspielerin, die im
„Reigen“ mitspiele, verdiene angespuckt zu werden (was
wir ihm wahrhaftig nachfühlen können). Das sind denn
doch unverdäcktige Zeugen dafür, daß man kein „Zelot“
zu sein braucht, um über diese arge Schmach, die da
dem Theater und dem Publikum angetan wird, in
flammende Wut zu geraten. Auch Leute, die sonst in
Fragen der Sittlichkeit ein sehr weites Herz bekundet
daben, müssen, soforne sie sich nur einiges Gefütl für
Reinlichkeit und #nstand bewahrt haben, diesmal an
unsere Seite treten.
Mit dem Dichter Schnitzler alnnrechnen ist eigentlich
ein wenig verspätet, denn er hot diese penetrante Dialog¬
reihe vor Jahrzeinten geschrieben. Natürlich hätte er,
der uns inzwischen doch wesentlich masollere Proben
seines Könnens geliefert hat (darunter den in gewissem
Sinne sogar anständigen „Jungen Medardus“) sich
nicht — offenbar dem Geschäft zuliebe — verleiten lassen
sollen, diese übelduftende Jugendsünde aus ihrer Buch¬
vergessenheit hervonzuholen und damit das Theater zu
verunreinigen. Es gibt einen „Frau-von=Pollak“-Wit
(wie deren die Juden genug und mit Behagen zu er¬
zählen wissen), da leistet sich diese Dame, deren Bildung
mit ihrem Reichtume nicht Schritt zu halten vermag, das
unfreiwillige Wortspiel, zu einem gräflichen Besucher zu
sagen: „Ich danke Ihnen. Herr Graf! Sie haben mein
Haus zu einem Freudenhause gemacht!“ — Mit dem
„Reigen“ hat Schnitzler das Theater, das uns ein Haus
edler Freuden sein sollte, zu einem Freudenhause, zum
Schauplatze von Vorgängen und Gesprächen gemacht, wie
sie sich schamloser in keiner Dirnenhöhle abwickeln können.
Man erwarte von uns keine „literarische Wertung“ dieser
Dichtung! Was bekümmert es uns, daß sich darin manch¬
mal Witz und sprachliche Behendigkeit äußern, daß hinter
mancher dieser Zoten nastdenkliche Melancholie steht.
Was auch bekümmert uns die „gute“ Darstellung, die
bloß geeignet ist, den abscheulichen Eindruck zu verstärken?
Wir entschlagen uns auf das Bestimmteste der Pflicht,
über diese ganze Geschichte wie über eine ernsthafte künst¬
lerische Angelegenheit zu sprechen. Mit höchstem Be¬
fremden müssen wir es auch aufnehmen, daß eine Kinder¬
hilfsaktion sich den Reinertrag der Generalprobe dieses
Schandstückes zuführen lassen wollte und sich so in die
vervestete Dunstsphäre ziehen ließ. So bedürftig jeglicher
Unterstützung die Kinderhilfe auch sein mag, so darf ihre
Bedenkenlosigkeit noch nicht so weit achen, daß sie sick bei¬
spielsweise am Reinertrag von Vordellunternehmungen
beteiligt.
Bei höchsten Preisen, wie sie bloß den Verhältnissen
übalster Verdiener angenaßt sind, soll jetzt eine lange
Serie von „Reigen“=Aufführungen beginnen. Schnau¬
fende Dickwänste mit ihrem weiblichen Anhange, der den
Namen der deutschen Frau schändet, sollen sich jetzt dort
allabendlich ihre im wüsten Sinnentaumel erschlafften
Nernen aufkitzeln lassen. Allein wir gedenken den Herr¬
schaften das Veranügen bald zu verleiden. Das glauben
wir unserem Wiener Theater, unserem Volke und nicht
zuletzt auch den Künstlern schuldig zu sein, die dazu ver¬
urteilt sind, sich Abend für Abend vor solchem Publikum
aller Scham zu begeben. Schluß mit den „Reigen“=Auf¬
führungen!