II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 275

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Reigen
staltung, welche Feinheit der Sprache und Chetraktenstik.
er den Reigen nicht
welche Fülle von Geist in diesen nur scheinbar sorglos im¬
n, die auch vor Kaiser
provisierten Szenen. Wieviel weiß Schnitzler von dem
tiefsinnig und schön
Menschen, die er für ein paar Minuten auf die Bühne bringt.
leihung, in der jede
und in wieviel Anmut weiß er diese seine Wissenschaft zu
den Armen in den
verbergen. Schnitzlers Dialog ist in diesem früheren Werk
einen Hand von der
schon ganz, was er in seinen späteren in zunehmendem Maße
leich die andere nach
geworden ist: angewandte Menschenkenntnis, de aber nie an
Balzac stammt die
dem dargestellten Vorgang haften bleibt, sonder allenthalben
eiden Männern, auf
ins allgemeine übergreift, Perspektiven aufsteckt und Hinter¬
sich, platonisch oder
gründe entschleiert. Wie reizend enthüllt sich uns das
en. Aber ist es bei
polarität des Liebes¬
Charakterbild der lüstern=verlogenen jungen Frau, wie tief
m menschliche Eigen
blicken wir durch die Tür des Absteigquartiers in ihre Ehe
te Franzose in erster
hinein und durch die Ehe, wie sie sich in der darauffolgenden
Szene unter unseren Augen entwickelt, in das, was sie jen¬
r Gruppierung des
se allgemeinere und
seits dieser, im Tiefsten verlogenen Gemeinschaft an Liebes¬
glück sucht und findet. Wie genau kennen wir das rührend
n künstlerischen Aus¬
in ihr deutlich: die
komische Familienleben des „süßen Mädels“ und wie heiter
die Erbsünde, von
enthüllt sich uns die vom „Dienst“ entbundene beschäftigungs¬
de jeden von uns zu¬
lose Kasinoschwärmerei des philosophierenden Rittmeisters, von
macht. Wir alle sind
der „Schauspielerin“, diesem Meisterstück einer Charakter¬
iderlichen Schandfleck
studie, die fast schon eine Porträtstudie ist, gar nicht zu
bedenken, daß jeder,
reden. In diesen letzten Szenen zumal ist Schnitzlers „Reigen“
it, und jeder, der sich
vom heitersten Lustspielgeist erfüllt, und von einem, der sich
aft herumdrücken, die
zur Erheiterung des Zuschauers der feinsten und künstlerisch
n möchte, den Stand
zulässigsten Mittel bedient. Schnitzlers Dialogkunst ist in
adurch mittelbar doch
diesen lustspielhaften Auftritten eine absolute, das heißt, eine,
nen Geschlecht frevelt.
die vom Stoff und dem sterotyp verlaufenden Vorgang ganz
was mau ihm am
unabhängig bleibt.
koralisches Werk, und
Nach so viel Lob wirs man freilich auch einige Ein¬
urf zu machen ist, so
schränkungen machen müssen, die zwar nicht das Werk an
ie latent in ihm vor¬
sich, wohl aber seine uneingeschränkte Veröffentlichung und
reten läßt. Hiedurch
noch mehr seine öffentliche Aufführung betreffen. Zunächst
dangereuses, in denen
ist klar, daß der „Reigen“ seinen Erfolg, den er gestern hatte
aus dem Standpunkt,
und wahrscheinlich längere Zeit hindurch haben wird, weit
ittenverdecbnis gegen¬
des
mehr einem Mißverständnis als dem Verständnis
Publikums zu danken haben wird. Ferner ist sicher, daß er
auch insofern nicht auf die Bühne gehört, als sich der Liebes¬
Wuch, schon durch die
vorgang, in den jede einzelne Szene mündet, weder dramatisch
eringerem Maße durch
noch szenisch darstellen läßt. Daran kann auch die geschickteste
den Eingangsstenen
und ingeniöseste Inszenierung nichts ändern, wie anderseits¬
der Linie des wiene¬
Meisterschaft der Ge¬ auch die geschmackvollste, deren Prinziv die Aufführung in
den „Kannnerspielen“ zu dem ihrigen machte, die Peinlich¬
keit der Situation für den Zuschauer nicht ganz aufzuheben
vermag. Das sich umarmende Paar mag immerhin im tiefsten
Dunkel verschwinden und zwei Sekunden später harmlos
plandernd wieder zum Lichte zurückkehren, es bleibt doch
ein beklemmender Angenblick, um so beklemmender, als er
sich mit peinlicher und undramatischer Regelmäßigkeit von
Szene zu Szene wiederholt. Es ist aber ein nicht nur be¬
klemmender, sondern auch dramatisch öder Moment, den
dieser Dunkelheitsrefrain auslöst, weil man sich der Ohnmacht
der Bühne dabei jedesmal deutlich bewußt wird. Die Ver¬
dunkelung wirkt wie eine Verlogenheit, und diese Verlogen¬
heit stört und beeinträchtigt naturgemäß die künstlerische
Wirkung eines Werkes, dessen beste Eigenschaft seine kühne
Wahrhaftigkeit ist.
Uieber die Darstellung ist ausführlich bereits berichtet
worden. Sie gipfelt in zwei Frauenrollen, die insoferne
hervorgehoben zu werden verdienen, als sich in ihnen der Ein¬
#uß von Berlin und Wien auf unser Kunstleben in eigen¬
tümlicher Weise verschränkt. Die eine dieser sympathischen
Leistungen ist diejenige des Fräuleins Keller als süßes
Mädel. Fränein Keller, deren herbe, man möchte sagen:
hantige Lieblichkeit eben von einem Berliner Gastspiel nach
Hause findet, ist in Berlin fester, bestimmter, auch bewußter
geworden, und wir genießen in ihrer Leistung die ersten
Atemzüge eines zum vollen Selbstbewußtsein eben erst er¬
wachten jungen Talents. Traute Carlsen im Gegenteil,
hhat uns in ihrer etwas frostigen Berliner Anmut mie recht
warm gemacht, so reizvoll wir auch ihre Kühle fanden; dies¬
mal ist sie an der so wienerischen Rolle der jungen Frau
gleichsam aufgetaut und hat, zum erstenmal, den Ton ge¬
funden, der sie zu dem Wiener Publikum in ein nicht bloß
artiges Respektverhältnis setzt. Aber auch die übrige, wohl
vorbereitete und glänzend gelaunte Vorstellung ist, als Vor¬
stellung zumindest, auf die Habenseite des Wiener Theaters
zu buchen. Freilich das Moralische? Es versteht sich in
diesem Falle keineswegs von selbst, und wenn sich auch zu¬
sammenfassend sagen läßt, daß die Welt durch die Aufführung
des „Reigen“ nicht schlechter werden wird, so werden doch
viele Verehrer des Dichters sein geistreiches Werk dorthin
nurückwünschen, woher es stammt und wohmn es gehört:
ns Buch.