II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 276

11.
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Reigen
Tagesneuigkeiten.
* Wer wird „verleiden“? Die „Reichspost“ fällt über
die Aufführung des „Reigen“ von Schnitzler mit jener Roheit
her, über die das christlichsoziale Org### in allen Lebenslagen
verfügt. Der „Reigen“ ist eine Szenenreihe, die den Kreislau
der sinnlichen Liebe behandelt, in der Art dieses Schriftstellers,
der den Urtrieb der Menschen, der alle beherrscht und peinigt,
mit ironischer Heiterkeit betrachtet — eine Betrachtung, die
ebenso berechtigt ist wie die tragische. Man darf an die
Aufführung vielleicht den Vorbehalt laüpfen, daß junge Menschen
zu ihr nicht zugelassen werden sollen; was sonst das berühmte
„öffentliche Aergernis“ betrifft, so kann sich's jeder ersparen,
es „zu nehmen“, wenn er die Vorstellung meidet. Vor der
„Verderbnis“ kann sich also jeder selbst hüten und die Zensur
findet dabei nichts zu tun. Aber mit den „literarischen“ An¬
sichten just der „Reichspost“ zu streiten, fehlt uns das Bedürfnis
vollständig. Indessen schließt das christlichsoziale Blatt mit
folgender Drohung: „Allein wir gedenken den Herrschaften das
Vergnügen bald zu verleiden.“ Insolange sich dieses „Verleiden“
darauf beschränkt, daß die „Reichspost“ den Dichter, das
Theater, die Zuschauer beschimpft, hat es kein Interesse; wenn
die Antündigung besagen soll, daß die „Reichspost“
Störungen der. Vorstellung zu inszenieren
beabsichtigt, so wird ihr nachdrücklich bedeutet, daß man sich
ein christlich oziales Kommando in Wien auch auf diesem
Punkte nicht gefallen lassen würde. Denn wenn die
Chriftlichsoziglen berechtigt wären, Vorführungen, die
ihnen nicht gefallen, den Besuchern zu „verleiden“ dann
wären alle diejenigen, denen klerikale Veranstaltungen welcher
Art immer mißfallen, zu derselben Störung berechtigt. Wenn
die Tatsache, daß die Aufführung von der einzig zuständigen
Behörde bewilligt worden ist, nicht zu gelten hätte, entscheidend
aber wäre, ob die Sache der „Reichspost“ mißfällt, wenn also
das Faustrecht entscheiden sollte, so könnte es natürlich auch
gegen klerikale Unternehmungen wirksam gemacht werden. Es ist
jemand in Wien wegen öffentlicher Gewalttätigkeit verurteilt
worden, weil er in das Gebäude der „Reichspost“ „drohend
eingedrungen ist; daß sich die Klerikalen ein viel ärgeres Ein¬
dringen ungestraft gestatten könnten, ist selbstverständlich aus¬
geschlossen. Und wenn die, die sonst über „Terrorismus“ so
beweglich klagen wissen, den Terrorismus nun proklamieren
wollen, so wird eine derartige einseitige Uebung nicht in
Schwang kommen. Man wird ja sehen, was die Kleritaten
Gedenken“; aber wenn sie denken, daß sie da tommandieren
werden, so würden sie schon die Erfahrung machen, daß
der Versuch nur zu ihrem Leidwesen ausschlagen würde.

Kunst und Wissen.
Schnitzlers „Reigen“,
Als diese Szenenkeihe vor einundzwanzig Jahren
Buchsorm erschien, hat „man“ sich entrüstet.
in
Es wurde als srivol und frech bezeichnet, daß da in zehn
allerintimsten Szenen: Dirne Leokadia und Soldat, Soldat
und Stubenmädchen, Studenmädchen und junger Herr, junger
Herr und junge Frau, junge Frau und ihr Gatte, der Gatte
und das süße Mädel, das füße Mädel und der Dichter, der
Dichter und die Schauspielerin, die Schauspielerin und der
Graf, der Graf und wieder die Tirne Leokadia, an sotirisch
durchleuchteien und nachdenklich ironiich gezeichneten Typen
gezeigt wurde, wie auch im Triebleben der Sexualität tein
Unterschied ist im Mensch nwert der verlchiedenen Gesell chafts¬
schichten. Mag avy der äußere Anstrich seiner oder gröber,
gefälliger oder rauher sein oder ganz fehlen: sie sind
allzumal brutale Geschlechtstierchen und mangeln des
Ruhms, den sie sich in verlogenem Moralgeschwätz zulegen. Da###
diese Dialoge nun unter der dezenten Regie Schulbaurs¬
in den Kammerspielen ausgeführt werden, entrüstet sich jene
Presse, die eingestandenermaßen nicht scheut, zelotisch genannt
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zu werden, von neuem bis zu einer Besinnungslosigkeit, die
sich mit dem Anspucken der im „Reigen“ beschäftigten Dar¬
stellericnen einverstunden ertlirt. Man kann sich mitentrüsten !
Denn abgesehen davon, daß vielleicht jede Aufführung dem
sittlichen Ernst des Wertes wirklich Abbruch tun muß, es ist
empörend, daß das Werk erst jetzt aufgeführt werden darf, da
Schieber für 400 bis 1200 Kronen für die Sitzfläche mit fettigem
Grinsen in allen Alten nur eben „den Alt“ genießen und des
Dichters seine psychische Einfühlung, seine graziöse Charakteristik
und tragische Iconie kaum empfinden oder als lästiges Beiwerk
übergähnen. Vor diesem Publikum kann eine Serie von
„Reigen“=Aufführungen ebenso Kunstmißbrauch werden, wie es die
„Wetterstein“=Aufführungen schließlich wurden. — Besonders
glücklich waren die weiblichen Rollen besetzt, Traute Carlsen
als junge „anständige Frau“, die naiv=lüstern soeben auf den
Chebruchsgeschmack gekommen ist, Hedwig Keller als süßes
Mädel, zugleich spitzhübisch=wissend und rührend=blöd, Marielta
Olly als erotische Heroine von routinierter Genußfreudigkeit,
Elisabeth Markus, durch zwanglose Natürlichkeit und scham¬
ferne Dirnen=Sachlichkeit besonders im Spiel mit dem gräf¬
lichen Offizier von frappierender Wirkung, verdienen für die
wohlgefeilte Veristik ihrer Leistungen volle Anerkennung.
Unter den männlichen Darstellern gefiel der als junger, liebens¬
würdiger Schwerenöter allzeit erfceuliche Hans Wengra
am besten. Auch Dumme Jungen=Komik gelang ihm. Die
sympathische Rolle des Dichters Biebitz versah Hans Ziegler
mit manchem echten Ton und wirksamen Druckern, doch schien
die Interpretation nicht vollkommen genug durch eelt. Leopold
Iwald, als komisch moralbewehrter und spaßig langweiliger
Gatte ganz vortrefflich, hätte nur nicht auch dem süßen Mädel
mit denselben Tönen kommen sollen. Es wäre in Wirklichkeit
bestimmt nicht mit ihm gegangen. Hans Lackner spielte
den Grafen aus Steinamanger mit viel gutem provinz¬
offizier ichem Ausdruck, doch mit herzlich wenig österreichischem
Kavall rieschmiß. Ein Schuß „Sima“ hätte da hineingehört.
Franz Kammaufs etwas kompakter Deutschmeister, gab
echtesten Nuturlaut. Etwas weniger Drastik am Edelknaben
hätte vielleicht mehr gewirkt Das zum großen Teil weibliche
Publikum, während des Spiels unangenehm störend durch
allerlei Aeußerungen deplac ertester Verständnisinnigkeit, rief
zuletzt gesättigt grunzend nach dem Dichter. Der tat ihm aber
selbstverständlich keine Geschmacklosigkeit zu Gefallen. O. K.