II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 285

11.
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Reigen
das Nachher ein Miserere und die Menschen
sie nennen es Liebe..... Wenigstens die
Feuikteton.
Menschen, die im „Reigen“ zu tun haben.
Von einer höheren Warte gesehen, mus man
sagen, im ganzen „Reigen“ steht übe shaupt
Der „Reigen“ in den Kammer
kein Wort von Liebe. Die Funktion ist alles.
Aber zur Liebe gehört mehr als die bloße
spielen.
Funktion und die medizinische Konstatierung,
daß Liebe die Berührung zweier Epidermen
Für Menschen, denen ein Buch kein Er¬
ist. Liebe ist Lust und Leid zugleich; sie sind
lebnis bedeuten kann, mag die Aufführung des
beide unzertrennlich wie das Licht und der
„Reigens“ von Artux Schw##lex in
Schatten; diese Dialoge handeln nur von
den Kammerspielen immerhin ein Erlebnis
Lust, von erwachender Lust und von ver¬
bedeuten. Für Menschen aber, denen die Auf¬
löschender Lust; es geht durch diese Dialoge
führung des „Reigens“ in einem Theater
auch nicht ein Mensch von Qualität, der
erst ein Erlebnis bedeuten kann, ist der
andere Triebe kennt und andere Wertungen
„Reigen“ im Grunde wieder nicht geschrieben.
als rein physisch materielle. In diesen Dia¬
Denn er ist eben für jene Menschen geschrieben,
logen gibt es nur Männchen und Weibchen
denen ein Buch ein Erlebnis bedeuten kann.
schlechthin.
Über diesen Zirkel kommt man beim besten
Der Dichter hat seinerzeit eine pessimisti¬
Willen nicht hinaus. Ein spöttisches Buch,
sche und gehässige, eine boshafte und amüsante
ein Buch von melancholisch bitierer Grazie,
Auswahl aus dem Tiergarten der Welt ge¬
ein bewußt paradoxes, gewollt einseitiges
troffen, hat damals gesagt, so sind die Men¬
Buch, als Buch komponiert und nicht als
schen. Daß sie nicht so, nur so sind, hat er in
Stück fürs Theater. Variation über ein
seinen eigenen Werken später gezeigt. Damals
Thema! Du mußt es zehnmal sagen und im¬
war er nur zynisch und satirisch, hatte seine
mer wieder anders. Aber seit wann liebt man
mitleidslose Zeit und sah in seinen Mitmen¬
es, sich auf der Bühne zehnmal dasselbe
schen nur Tierköpfe, die er gestalten mußte,
sagen zu lassen? Bühne ist Entwicklung und
und er gestaltete prächtig, voll fröhlicher Bos¬
nicht Wiederholung; und was das Sagen
heit und bissigen Humörs, gewissermaßen
anbelangt, ist es auch nicht gerade das richtige
Illustrationsfakten zu Schopenhauers klassi¬
Wort, was den „Reigen“ anbelangt. Vielleicht
scher Bemerkung, daß der Geschlechtstrieb nur
sollte man statt Sagen das Wort Zeigen ver¬
der Köder der Natur ist, um die Gattung nicht
wenden, aber Zeigen geht schon gar nicht
aussterben zu lassen.
also bleibt es schließlich dabei, daß zehnmal
Aber all das, was diese Dialoge dem
dasselbe verschwiegen und nicht gezeigt wird.
nachdenklichen Leser wertvoll machen, verliert
Zehnmal versagt die Bühne, zehnmal wird es
sich auf der Bühne; nichts bleibt, als die
dunkel, zehnmal muß die Phantasie arbeiten,
pikante Sit##tion, die naturgemäß nur ange¬
zehnmal gibt es ein Vorher und ein Nachher
deutet werden kann und ebenso an die Phan¬
und zehnmal ist das Vorher ein Jubilate und
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Herausgeber: J. Steinhardt. — Veranlwortlicher Bedalteur: Alfred
Wae
WIENER NITTAGSP08T,
WIEN
tasie appellieren muß wie das Buch selbst,
Frau des
nur das die Phantasie, die aus dem Buch
zückend
erwächst, tausendmal reicher und intensiver
Von de
ausgestalten kann, als die Phantasiewelt, die
von der Bühne ihren Ausgang nimmt.
Lackne
Nicht die heimliche Melancholie: so sieht
präsentie
menschliches Gefühl im scharfen Licht einer
ters fan
objektiven, kühlen Betrachtung aus, so klein
chende
ist alles, was wir mit großen Worten bezeich¬
Darstelle
nen, nein, die pilante Situation allein bedeutet
oder wer
von der Bühne herab den Erfolg des Abends;
Seh
der Erfolg auf einem Nebengeleise; er man
Rahmen
groß sein, nachhaltig und ergiebig, aber ein
Paul F
bißchen beschämend bleibt er doch. „Selten.
nete; m
habt Ihr mich verstanden — selten nur ver¬
war im
stand ich euch — nur wenn wir — uns fanden,
angedeu
da verstanden wir uns gleich ...“ Lorbeer¬
Sie stör
kränze und Erfolge stellen sich nur sellen dort
zu irgen
ein, wo sie der Künstler ersehnt und verdient,
und er muß schließlich froh sein, sie wenig¬
überbrüc
drei Bil
stens überhaupt zu erlangen, wenn es ihm
auch wie blutige Ironie erscheinen muß, daß
Brutalit
sie grad dort sich einstellen, wo er sie am we¬
später a
nigsten erwartet und verdient. Aber das ge¬
der char
hört einmal zum Metier.
„Besserst
Den Ehrgeiz, eine Vorstellung so gut
verkleide
herauszubringen, als die vorhandenen Kräfte
zugehen
nur überhaupt gestatten, kennt man an den
sich bei
Bernau=Bühnen nicht; es wird gewöhnlich
spottete
halbe Arbeit geleistet und der Grundsatz gilt,
spürte

wenn die Vorstellung nur überhaupt zustande
hatte. D
kommt und ein paar Rollen gut besetzt sind,
aber daz
das übrige geht dann schon mit; so war es
Dichter
auch diesmal. Hedwig Keller als Süßes
heiteren
Mädel, allen anderen weit voran, bot eine
leisen
Leistung von unbeschreiblicher Echtheit in Ge¬
das sich
fühl und Ton; von gleicher Echtheit, was
ist, die
Verlogenheit anbelangt, Marietta Olly als
können.
Schauspielerin; Traute Carlsen als junge
Heller, i Druck: J. N. Vernoy
Papier der Bos