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Reigen
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war in Budapest ihr größter Lustspielerfolg. Sie spielte da eine
Kokotte, die im zweiten ein unschuldiges achtzehnjähriges
Mädchen ist. Leute, die die Fedak in dieser Rolle gesehen, be¬
haupten, kein Mensch vermutete, daß sie achtzehn sei. Sie hätte
wie höchstens sechzehn ausgesehen. Die am meisten beliebte Nuance
in diesem Stück war eine Bewegung nach den Strumpfbändern, die ihr
immer zu rutschen drohten. Sie soll das fabelhaft gemacht haben
Hoffentlich kommen die Wiener dazu, über die Fedak auch einmal
in einem Prosaschwank herzlich zu lachen.
Nicht in allen Theatern Wiens wird so gespielt, wie in
einem Wiener Theater gespielt werden sollte. Diese Tatsache gab
dem witzigsten Direktor Wiens Anlaß zu folgender Bemerkung:
„Das X-Theater ist die akustischeste Bühne Wiens. Man
hört dort, wie in St. Pölten gespielt wird.
Richard Strauß' „Josefslegende“.
Die Premiere in Berlin.
(Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.)
Berlin, 4. Februar.
Werke, heißt es, haben ihr Schicksal. Aber sie erzähler
auch ausnahmsweise einmal vom Schicksal der Welt.
Im Mai 1914 wurde zu Paris die „Josefslegende“ urauf
Dat
geführt. Das Barometer zeigte auf Völkerverbrüderung.
russische Ballett, die erfreulichste Blüte imperialistischer Kunst
hatte mit seiner Farbenpracht die internationale Kunstwelt betäub
und scheinbar den Bund im Osten und Westen Europas, noc
fester geknüpft. Der Russe Igor Stravinsky hatte östliche
Rhythmus und westlichen Impressionismus durch sein Temperamer
durchgehen lassen. Warum sollte nicht auch von Mitteleurope
von Deutschland her, in diesem Zeichen geschossen werden
Warum sollte nicht der unbestrittene Meister Richard Strauß de
europäischen Ring schließen, den Geist des Balletts in seiner A.
anssprechen?
Der Verlag Fürstner hatte eine Zweigstelle in Paris. D
„Josefslegende“ also führte wohl zum erstenmal die deutsche ur
die übrige Kunstwelt in Paris zusammen. Zum ersten und vo
läufig zum letztenmal. Dieses Werk ist Symbol einer Zeit u
des Umschwungs geworden. Es hat seinen Flug durch die W
von Paris aus nicht antreten können. Und nun, wo das Bas
meter noch immer auf Spannung und Bewegung zeigt, rafft
sich, scheinbar vergessen, auf und versucht sein neues Schickse
2
Auch den nicht Bibelfesten ist der Vorfall bekannt:
lüsterne Frau Potiphar und der keusche Josef sind sprichwörtl
geworden. Aber über diese Handlung soll der Moderne nicht me¬
lächeln. Hugo v. Hoffmannsthal und Harry Graf Keßler sil
feinschmeckerisch genug, den Kern mit allerlei Beiwerk zu ur
hüllen. Die Handlung soll sich verlängern und spannend werdet
Eine Grundbeziehung zwischen Mann und Weib, so sagt Strau
erklärend selbst, soll dargestellt werden. Das hochstehende We
will den genialen Mann besitzen und geht an dieser Unmöglichke
zugrunde. Dieses Werk in Ehren. Aber sehen wir den
nicht, wie älteres Straußisches in neuer Formulierun
auftaucht? Potiphars Weib steht zu Josef wie etwa Salom
zu Jochanaan. Das Erglühen eines Heiligen in seine
fanatisch göttlichen Liebe reizt die wollüstige Frau. All
Schattierungen der Sinnlichkeit, die sich in den vorangehende
Tänzen enthüllt, lassen sie kalt. Erst als ein dem Heiligen
dem Ideal hingegebener, der Weltlust völler Abgewandter sich in
d
dem finnlichem Charakter des Tanzes zu Gott hin auskast,
kocht auch in ihr die Wollust auf. Nur das Ergebnis ist ein
anderes. Wenn aber Josef schließlich von Engeln geleitet in
reinere Sphären entschwebt, dann ist miplötzlich das Uebersinnlich
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war in Budapest ihr größter Lustspielerfolg. Sie spielte da eine
Kokotte, die im zweiten ein unschuldiges achtzehnjähriges
Mädchen ist. Leute, die die Fedak in dieser Rolle gesehen, be¬
haupten, kein Mensch vermutete, daß sie achtzehn sei. Sie hätte
wie höchstens sechzehn ausgesehen. Die am meisten beliebte Nuance
in diesem Stück war eine Bewegung nach den Strumpfbändern, die ihr
immer zu rutschen drohten. Sie soll das fabelhaft gemacht haben
Hoffentlich kommen die Wiener dazu, über die Fedak auch einmal
in einem Prosaschwank herzlich zu lachen.
Nicht in allen Theatern Wiens wird so gespielt, wie in
einem Wiener Theater gespielt werden sollte. Diese Tatsache gab
dem witzigsten Direktor Wiens Anlaß zu folgender Bemerkung:
„Das X-Theater ist die akustischeste Bühne Wiens. Man
hört dort, wie in St. Pölten gespielt wird.
Richard Strauß' „Josefslegende“.
Die Premiere in Berlin.
(Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.)
Berlin, 4. Februar.
Werke, heißt es, haben ihr Schicksal. Aber sie erzähler
auch ausnahmsweise einmal vom Schicksal der Welt.
Im Mai 1914 wurde zu Paris die „Josefslegende“ urauf
Dat
geführt. Das Barometer zeigte auf Völkerverbrüderung.
russische Ballett, die erfreulichste Blüte imperialistischer Kunst
hatte mit seiner Farbenpracht die internationale Kunstwelt betäub
und scheinbar den Bund im Osten und Westen Europas, noc
fester geknüpft. Der Russe Igor Stravinsky hatte östliche
Rhythmus und westlichen Impressionismus durch sein Temperamer
durchgehen lassen. Warum sollte nicht auch von Mitteleurope
von Deutschland her, in diesem Zeichen geschossen werden
Warum sollte nicht der unbestrittene Meister Richard Strauß de
europäischen Ring schließen, den Geist des Balletts in seiner A.
anssprechen?
Der Verlag Fürstner hatte eine Zweigstelle in Paris. D
„Josefslegende“ also führte wohl zum erstenmal die deutsche ur
die übrige Kunstwelt in Paris zusammen. Zum ersten und vo
läufig zum letztenmal. Dieses Werk ist Symbol einer Zeit u
des Umschwungs geworden. Es hat seinen Flug durch die W
von Paris aus nicht antreten können. Und nun, wo das Bas
meter noch immer auf Spannung und Bewegung zeigt, rafft
sich, scheinbar vergessen, auf und versucht sein neues Schickse
2
Auch den nicht Bibelfesten ist der Vorfall bekannt:
lüsterne Frau Potiphar und der keusche Josef sind sprichwörtl
geworden. Aber über diese Handlung soll der Moderne nicht me¬
lächeln. Hugo v. Hoffmannsthal und Harry Graf Keßler sil
feinschmeckerisch genug, den Kern mit allerlei Beiwerk zu ur
hüllen. Die Handlung soll sich verlängern und spannend werdet
Eine Grundbeziehung zwischen Mann und Weib, so sagt Strau
erklärend selbst, soll dargestellt werden. Das hochstehende We
will den genialen Mann besitzen und geht an dieser Unmöglichke
zugrunde. Dieses Werk in Ehren. Aber sehen wir den
nicht, wie älteres Straußisches in neuer Formulierun
auftaucht? Potiphars Weib steht zu Josef wie etwa Salom
zu Jochanaan. Das Erglühen eines Heiligen in seine
fanatisch göttlichen Liebe reizt die wollüstige Frau. All
Schattierungen der Sinnlichkeit, die sich in den vorangehende
Tänzen enthüllt, lassen sie kalt. Erst als ein dem Heiligen
dem Ideal hingegebener, der Weltlust völler Abgewandter sich in
d
dem finnlichem Charakter des Tanzes zu Gott hin auskast,
kocht auch in ihr die Wollust auf. Nur das Ergebnis ist ein
anderes. Wenn aber Josef schließlich von Engeln geleitet in
reinere Sphären entschwebt, dann ist miplötzlich das Uebersinnlich