II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 314

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Reigen
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wie diese vor
zeigt die Gosse, die ein Parkett vortäuschen will. Die fade Just,
losigkeit und
solche gelungen sei oder nicht. Heimlich und an abgelegener
die widerliche Leere, das Gefühl des Uebersättigtfeins, der
begeht, nicht
Stätte studieren die jungen Leute den „Reigen“ mit glühenden
Genuß, der nichts ist als die verblödende Betäubung, der
Mann abgetat
Wangen und klopfendem Herzen: Also das ist es! Manches
nicht einmal dem triebhaften Bedürfnis, sondern der trägen
„Reigen“ auf
mit einem
wenn Erwartung und Ent¬
und zugleich leichifertigen Gewohnheit entstammt -
Köpfchen wird da geschüttelt,
Angst vor Un
hüllung nicht übereinstimmen, wenn eine grausame Ent¬
Wort: die geistlose Stumpfheit des Lasters ist der Inhalt des
„Reigen“ aus
täuschung der andern foigt, wenn Stück um Stück vom
Buches. Eine leichenfahle Fratze schaut hervor mit müden,
veröffentlicht
geträumten Ideal fällt. Auf junge Leute muß, meiner
glanzlosen Augen. Ein Bild, das einer schuf, der dieses
Kunst, noch
Ansicht nach, der Reigen" als etwas abstoßend Häßliches
Leben kennen unb verachten gelernt und es nun dem Abscheu
nicht einma
wirken, auf „Erfahrene' dagegen als Rekapitulation von
seiner Mitmenschen preisgibt. Das ist meines Grachtens der
Erctik“ zur
aber nur
ethische Wert des Buches, und darum
Erlebtem.
als
eher,
darum! — gebe ich dem „Reigen' eine Existenzberechtigung.
In der Kritik hat der „Reigen', die verschiedenartigste
hinnehmen,
Die Kunst hat ja ihre eigene Ethik, die sie sich selber schafft.
Beurteilung erfahren. Man hat von ihm z. B. behauptet: er
Cochonnerie
Erhebt sich aber diese Ethik über die des „Reigens“, dann
entlarve den Zauber unserer glücklichsten Stunden". Das
führung hat
tut sie es sicher nicht zu ihrem Schaden. Wir wandeln ja auch in
konnte nur einer sagen, der seine „glücklichsten Stunden" in
Kunst weg
der Halbwelt, oder gar in der Gosse suchte. Es gibt eben ver¬
der Kunst doch lieber die reinen Bahnen.“
auch seine A
schiedene Ansichten über den Begriff Glück“. Andererseits haben
Welt kundg
Diese Kritik wurde aus einem gewissen krampfhaft¬
sich ehrbare Frauen über das Buch intrüstet: Das Weib sei
der sich
verteidigen
objektiven Gerechtigkeitssinn heraus geschrieben,
beleidigt. Auch das ist, meiner Ansicht nach, unrichtig. Ich
persönliches
ängstlich bemühte, dem Künstler um keinen Preis unrecht
kann auch den „Zynismus“ und die „liebenswürdige Grausam¬
weiß und g
zu tun. Ich hole sie heute hervor, weil es mir interessant
keit', die man in ihm sehen wollte, nicht finden. Denn
hat. Ersten
genug erscheint, die Urteile eines und desselben Menschen
Schnitzler hat doch nicht das Weib, sondern die Dirne
Ausgabe sei
über denselben Gegenstand, die achtzehn Jahre auseinander
gezeichnet, er hat nicht das Problem des Geschlechtsverkehrs.
ihn absichtli
liegen, zu vergleichen. Ich sehe heute, daß meine Ansicht über
sondern das Problem der Prostitution behandelt. Nicht der
gen Schrift
das Buch (ohne Berücksichtigung des Zweckes den der Ver¬
Zauber unserer glücklichsten Stunden, sondern das Vieh im
Kontrast w
fasser mit ihm hatte) sich gleich geblieben ist und daß die Ver¬
Menschen und unter den Menschen ist entlarvt. Vom Frauen¬
hat bei der
schiedenheit nur vom Zweck bedingt wird. Damals machte ich
tum ist der „Reigen“ himmelweit entfernt, zwischen der
anwesend
noch die Voraussetzung: das Buch hat einen ethischen (ab¬
Straßendirne Leokadia und den übrigen acht Damen des
ehrer nich
schreckenden) Zweck. Aber schon kurz nach der Niederschrift
„Reigens“ ist kein bemerkenswerter Unterschied. Der Verfasser
beim Publ
der Kritik war ich im Zweifel, ob ich dem Verfasser wirklich
hat auch keine Illusionen über die Liebe zerstört — wie einer
danken lass
diese Voraussetzung zubilligen dürfe. Dieser Zweifel war so
—, denn das Thema „Liebe“ ist
seiner Kritiker behauptete
nissel Und
stark, daß ich das Manuskript von der Redaktion zurückver¬
überhaupt gar nicht berührt. Auch von einer „Verherrlichung
der ihn an
langte. Die Angst, dem Verfasser ungerechterweise unlautere
der Halbwelt, die ein anderer finden wollte, kann keine Rede
redetz hat,
Beweggründe unterzuschieben, war nur mehr so groß, daß sie
sein. Ueber den zehn Dialogen liegt ein leises, höhnisches
genug ist,
mich zum Schweigen veranlaßte. Sie gründete sich schließlich
Lächeln der Ueberlegenheit und Verachtung. Mir erscheint der
sprechen un
nur auf die eine Tatsache, daß Schnitzler den „Reigen“ schon
„Reigen“ vielmehr als eine zur Bezahlung für genossene
ausgabe
im Winter 1896/97 geschrieben hatte, sich aber erst 1903 (an¬
Schalheit hingeworfene Münze, als die Quittung, die
also weiß
geblich auf Drängen seiner Freunde) zur Drucklegung ent¬
Schnitzler der durch und durch verlogenen, all ihren Unwert
beabsichtig
schloß. Ich deutete das als Besorgnis des Autors, es könnte
protzig als Hochwert hinstellenden Halbwelt öffentlich ins Gesicht
das stünstlerisch=psychologisch gemeinte Werk als porno¬
Wenn
schleudert. Die Zeichnung dieser Menschen ist meisterhaft.
graphisches aufgefaßt werden und so seine ethische Tendenz
und das ##
Lauter Alltagskreaturen, denen wir auf Schritt und Tritt
verloren gehen. Heute fällt auch der Rest meiner Angst vor
daß das r
begegnen, haltlos, gebrechlich, hohle Gipsfiguren, armselige
ungerechter Beschuldigung weg. Denn Schnitzler hat die zehn
urteilt,
Tierchen, die ihr Leben nach Stunden rechnen, die ihre lächer¬
Dialoge der Bühne überlassen. Um das Buch war noch ein
Kritikers.
lichsten Nichtigkeiten als Daseinszweck eines erhabenen Lebens¬
Streit, ob es sich um künstlerische Psychologie oder um geld¬
Das Niedrige, das Ekelhafte,
stätigt, de
inhaltes auffassen
und reklamesüchtige Pornographie handle, möglich; dieser
prechung
das Menschenunwürdige hat, meiner Ansicht nach, Schnitzler
Streit hört aber in dem Augenblick auf, in dem das Buch zur
„Reigen“
zeichnen wollen.
Darstellung wird. Das mußte Schnitzler
absicht
In der Aufhellung jener dämmerigen, versumpften und
wissen! Wir wollen gar nicht von der Unmoral der Auf¬
entarteten Scheinwelt liegt, glaube ich, der ethische Wert des
führung reden: die Darstellung auf der Bühne — gleichviel, wirklich bi
Reigens". Er leuchtet durch Masken und Schminken, er
Herausgeber: Verein „Herold“, Für den redalt, Teil im Sinne d. P.=G. verantwortl.: R. Brozek. Druck: Buch= und Kuusd