II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 315

vor
und
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auf
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111
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11. Reigen
Heimlich und an abgelegener
den „Reigen“ mit glühenden
Also das ist es! Manches
wenn Erwartung und Ent¬
enn eine grausame Ent¬
venn Stück um Stück vom
junge Leute muß, meiner
etwas abstoßend Häßliches
en als Rekapitulation von
gen' die verschiedenartigste
von ihm z. B. behauptet: er
glücklichsten Stunden". Das
ne „glücklichsten Stunden“ in
osse suchte. Es gibt eben ver¬
ff Wlück“. Andererseits haben
ich initrüstet: Das Weib sei
Ansicht nach, unrichtig. Ich
die „liebenswürdige Grausam¬
vollte, nicht finden. Denn
Peib, sondern die Dirne
oblem des Geschlechtsverkehrs,
stitution behandelt. Nicht der
finden, sondern das Vieh im
en ist entlarvt. Vom Frauen¬
eit entfernt, zwischen der
n übrigen acht Damen des
er Unterschied. Der Verfasser
sie Liebe zerstört — wie einer
denn das Thema „Liebe“ ist
chvon einer „Verherrlichung"
wollte, kann keine Rede
liegt ein leises, höhnisches
1
Verachtung. Mir erscheint der
r Bezahlung für genossene
, als die Quittung, die
verlogenen, all ihren Unwert
Halbwelt öffentlich ins Gesicht
ser Menschen ist meisterhaft.
wir auf Schritt und Tritt
hohle Gipsfiguren, armselige
unden rechnen, die ihre lächer¬
zweck eines erhabenen Lebens¬
Das Niedrige, das Ekelhafte,
iner Ansicht nach. Schnitzler
ämmerigen, versumpften und
be ich, der ethische Wert des
Masken und Schminken, er
erein „Herold“, Für den redakt.
box 17/5
zeigt die Gosse, die ein Parkett vortäuschen will. Die fade Lust,
wie diese vor sich geht — ist schon eine so krasse Geschmack¬
die widerliche Leere, das Gefühl des Uebersättigtseins, der
losigkeit und eine so ekelhafte Brutalität, daß der, der sie
Genuß, der nichts ist als die verblödende Betäubung, der
begeht, nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch und
nicht einmal dem triebhaften Bedürfnis, sondern der trägen
Mann abgetan ist. Dem Schnitzler, der fähig war den
und zugleich leichtfertigen Gewohnheit entstammt —, mit einem
„Reigen“ auf die Bühne zu bringen, kann man bei aller
Angst vor Ungerechtigkeit nicht mehr zutrauen, daß er den
Wort: die geisilose Stumpfheit des Lasters ist der Inhalt des
„Reigen“ aus ethisch=künstlerischen Motiven geschrieben und
Buches. Eine leichenfahle Fratze schaut hervor mit müden,
veröffentlicht habe. Heute kann sich Schnitzler weder auf die
glanzlosen Augen. Ein Bild, das einer schuf, der dieses
Leben kennen und verachten gelernt und es nun dem Abscheu
Kunst, noch auf die Psychologie berufen, es steht ihm
nicht einmal die Ausrede mit der „Grazie der
seiner Mitmenschen preisgibt. Das ist meines Grachtens der
aber nur
Erotik“ zur Verfügung — denn das Buch ist alles andere
athische Wert des Buches, und darum
heute muß er den Vorwurf
darum! — gebe ich dem „Reigen' eine Existenzberechtigung.
eher, als graziös
Die Kunst hat ja ihre eigene Ethik, die sie sich selber schafft.
hinnehmen, daß es ihm um eine lukrative — sagen wir:
Cochonnerie plumpster Sorte zu tun war. Mit der Auf¬
Erhebt sich aber diese Ethik über die des „Reigens“, dann
tut sie es sicher nicht zu ihrem Schaden. Wir wandeln ja auch in
führung hat sich Schnitzler freiwillig und schamlos von der
Kunst weg zur Zotenreißerei bekannt. Und damit hat er
der Kunst doch lieber die reinen Bahnen.“
auch seine Absicht bei der Abfassung des „Reigens“ aller
Diese Kritik wurde aus einem gewissen krampfhaft¬
Welt kundgetan. Schnitzler mag sich gegen diese Anwürfe
objektiven Gerechtigkeitssinn heraus geschrieben, der sich
verteidigen wie er will — er selber hat durch sein
ängstlich bemühte, dem Künstler um keinen Preis unrecht
persönliches Verhalten eingestanden, daß er ganz genau
zu tun. Ich hole sie heute hervor, weil es mir interessant
weiß und ganz deutlich empfindet, wie recht der Vorwurf
genug erscheint, die Urteile eines und desselben Menschen
hat. Erstens hat er den „Reigen“ nicht in siebenbändige
über denselben Gegenstand, die achtzehn Jahre auseinander
Ausgabe seiner gesammelten Werke ausgenommen. Er hat
liegen, zu vergleichen. Ich sehe heute, daß meine Ansicht über
ihn absichtlich ausgeschieden — warum denn? Seine übri¬
das Buch (ohne Berücksichtigung des Zweckes, den der Ver¬
gen Schriften sind ja durchaus nicht prüde! Ein zu starker
fasser mit ihm hatte) sich gleich geblieben ist und daß die Ver¬
Kontrast war also nicht zu fürchten. Zweitens: Schnitzler
schiedenheit nur vom Zweck bedingt wird. Damals machte ich
hat bei der Aufführung in Wien, obwohl er im Theater
noch die Voraussetzung: das Buch hat einen ethischen (ab¬
anwesend war, den stürmischen Hervorrufen seiner Ver¬
chreckenden) Zweck. Aber schon kurz nach der Niederschrift
ehrer nicht Folge geleistet, er hat sich durch den Direktor
der Kritik war ich im Zweifel, ob ich dem Verfasser wirklich
beim Publikum für die ihm bereiteten Ovationen be¬
diese Voraussetzung zubilligen dürfe. Dieser Zweifel war so
danken lassen. Warum denn? Das sind doch Selbstbekennt¬
stark, daß ich das Manuskript von der Redaktion zurückver¬
nisse! Und wenn er sich auf Reinhardt ausreden will,
langte. Die Angst, dem Verfasser ungerechterweise unlautere
der ihn angeblich zur Aufführung des „Reigens“ über¬
Beweggründe unterzuschieben, war nur mehr so groß, daß sie
redet hat, so muß man ihm entgegenhalten, daß er alt
mich zum Schweigen veranlaßte. Sie gründete sich schließlich
genug ist, um sein eigenes Takt= und Anstandsgefühl
nur auf die eine Tatsache, daß Schnitzler den „Reigen“ schon
sprechen und entscheiden zu lassen. Er hat in der Gesamt¬
im Winter 1896/97 geschrieben hatte, sich aber erst 1903 (an¬
ausgabe wie auf den Brettern den „Reigen“ verleugnet,
geblich auf Drängen seiner Freunde) zur Drucklegung ent¬
also weiß er, was der „Reigen“ ist und was er mit ihm
chloß. Ich deutete das als Besorgnis des Autors, es könnte
beabsichtigt hatte.
das stunstlerisch=psychologisch gemeinte Werk als porno¬
Wenn ich meine beiden Urteile, das vom Jahre 1903
graphisches aufgefaßt werden und so seine ethische Tendenz
und das von heute, nebeneinander stellte, wollte ich zeigen,
perloren gehen. Heute fällt auch der Rest meiner Angst vor
daß das rein menschliche Empfinden dochrichtiger
ungerechter Beschuldigung weg. Denn Schnitzler hat die zehn
urteilt, als der klügelnd konstruierende Verstand des
Dialoge der Bühne überlassen. Um das Buch war noch ein
Kritikers. Schnitzler selbst hat nach achtzehn Jahren be¬
Streit, ob es sich um künstlerische Psychologie oder um geld¬
stätigt, daß ich damals mit der Zurücknahme meiner Be¬
und reklamesüchtige Pornographie handle, miöglich; dieser
sprechung recht getan habe. Ich habe damals im
Streit hört aber in dem Augenblick auf, in dem das Buch zur
„Reigen“ trotz aller Angst vor ungerechtem Urteil die be¬
Darstellung wird. Das mußte Schnitzler
absichtigte Pornographie gewittert — und sie ist
wissen! Wir wollen gar nicht von der Unmoral der Auf¬
wirklich beabsichtigt.
führung reden: die Darstellung auf der Bühne — gleichviel,
D
1
Teil im Sinne d. P.=G. verantwortl.: R. Brozek. Druck: Buch= und Kunstdruckerei „Herold“, Wien, VIII.