II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 318

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Reigen
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Ananerhaltung
en das Verdiente Ende bereitet sein. Denn daß
die Vorführung der „Reigen"=Gespräche, die übrigens
heute an anderer Stelle des Blattes von berufener Feder
einer kritischen Würdigung unterzogen werden, einem
literarischen Bedürfnisse nachkäme oder irgend¬
welchen künstlerischen Zwecken diente, wird kein
für
Geschmonz und Geschmuse der Schwärmer
ahe „temme“ der Oossnschten
weismachen können. Ueberall, wo man sich noch nicht
jedes Empfindens für den gewöhnlichsten ge¬
sellschaftlichen Anstand — von den durch
die Moralgesetze gegebenen Schranken gar nicht erst zu
reden — entledigt hat, wurden die „Reigen“=Darbietungen
als ein Skandal betrachtet, der durch die widerliche
Aufmachung, die sich erkühnte, gewaltsam zwischen dieser
Sauerei und der Wohltätigkeit, zwischen Lüstlingsunter¬
haltung und Kinderfürsorge eine Ideenassoziation herzu¬
stellen, alles eher denn ein freundlicheres Gesicht bekam.
Zynische Beschönigungen, wie, daß das Theater
ja
nicht für
Jugendliche,
sondern für
reife Leute da sei, oder daß ja niemand
zu Bernaus „Kammerspielen“ zu gehen brauche, der am
Reigen“ Anstoß nehme, beweisen nur, daß der, der mit
olchen Ausflüchten daherkomlat, nicht die blasseste Ahnung
von dem Wesen und dem Beruf eines
Theaters hat, das unser Schiller, dessen
Autorität sich neben jener der Herren Schnitzler, Bernau
und Genossen gerade noch behaupten kann, als
moralische Anstalt“ betrachtet wissen wollte
Nicht einmal den gewissen Nachtlokalen und Stunden¬
hotels könnte eine
derartige
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Begründung
ihres Daseins, nähmlich daß ja „niemand hinzugehen
brauche", gestattet werden, geschweige denn einer
öffentlichen Bühne, zu deren Wesen es ge¬
hört, daß sie allen Freunden der dramatischen Kunst
den Zutritt offen hält und nicht gerade ausgerechnet
jene, die noch auf Anstand und Sitte einigen Wert
legen, von der Schwelle weist. Auch wenn es eine Vor¬
schrift gäbe, welche der Jugend das Theater verschlösse
aber es gibt keine solche, und gäbe es eine, die Be¬
triebe, die unsaubere Ware verschleißen, wären erfahrungs¬
gemäß die letzten, die sich darum kümmerten —
dürfte
einem Theater nicht gestattet werden, unter diesem
Titel Zusammenkünfte zu veranstalten, die ihrer Natur
nach Menschen mit Anstandsgefühl von der Teilnahme
ausschließen. Solche „Kammerspiele“ sind gewiß nicht
minder polizeiwidrig als etwa Poker=Hasard¬
spiele.
Das Theater beansprucht die Achtung und Pflege
einer Volkserziehungsanstalt.
Experi¬
mente, wie die der „Reigen“=Aufführung, erniedrigen es
zu einem öffentlichen Aergernis, geeignet,
die um sich greifende, von allen wahren Freunden unseres
Volkes tief beklagte Entsittlichung des Volkes noch zu
mehren. Eine Regierung, die sich ihrer Mission, eine
Regierung des Wiederaufbaues zu sein, bewußt ist,
kann und darf nicht dulden, daß andere skrupellos zu
demolieren fortfahren. Und darum mußte dem
„Reigen“=Skandal ein Ende bereitet werden, wie ihm
schon vorher in München von der Entrüstung deutscher
Frauen und durch die Einsicht einer Polizeibehörde, die
weiß, was heute dem deutschen Volke nottut, Garaus
gemacht worden ist.
Mit Ausnahme einer Gruppe von Interessenten und
allenfalls jenes Marxistenklüngels, der sich in der letzten
Zeit zur Verblüffung der Arbeiterschaft mehr und mehr
zu einer Freiwilligenassistenz für Schmutz und Schund
entwickelt und sich aufdringlich im Parteiorgan als solche
der Lebewelt offeriert, wird die Oeffentlichkeit ohne
Unterschied der politischen Richtung erleichtert aufatmen.