II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 319

11.
Reigen
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Tagesneuigkeiten.
* Die Wut der Dunkelmänner. Unsere Klerikalen, die
ja sonst nur darum besorgt sind, das die Autorität der Kirche

äußerlich respektiert werde, es mit der Befolgung ihrer Lehren
und der Einhaltung ihrer Gebote faber nicht gar so genau
nehmen, scheinen es sich doch einwal in den skopf gesetzt zu
haben, daß mit dem Anbruch ber Fastenzeit der „Reigen“ sein
Ende nehmen müsse. Und nicht nur in den Ballsälen, sondern sogar
auch im Theater. In ihrem Uebereiser haben sie schon Montag abend.
wo es doch noch jedem braven Katholiken erlaubt war, sich an
Faschingsfreuden zu ergötzen, mit dem Versuch begonnen, Schnitzlers
„Reigen“ in den Kammerspielen das Bühnenlebenslicht aus¬

zublasen. Freilich ist es den fünfzehn bis zwanzig katholischen
„Jungmannen“, die, als eben das vorletzte Bild gespielt wurde,
mit großem Geschrei in den Zuschauerraum eindrangen, recht
schlecht ergangen. Sie wurden rascher hinausbefördert, als sie
gekommen waren, und sechs der bußfertigen Jünglinge
wurden zur Polizei gebracht, wo ihre Namen fest¬
gestellt wurden, damit sie darüber belehrt werden lönnen,
daß es bessere Methoden gibt, Buße zu predigen, als durch
Störung einer Theatervorstellung. Allerdings wäre diese
Belehrung bei denjenigen angebrachter, die diese Bürschchen zu
ihrer Büberei angestiftet haben. Denn daß es diesen Dunkel¬
männern nicht um die Rettung der Moral zu tun ist, wenn
sie tagtäglich durch die „Reichspost“ gegen Schnitzlers „Reigen“
hetzen, das ist doch sonnenklar. Was aus diesen Herrschaften
spricht, das ist ja doch nur die Wut darüber, daß einmal
Dinge offen statt versteckt gesagt werden und man sie sich nicht
anhören darf, wenn man nicht riskieren will, in den
Verdacht zu lommen, sich statt an der Form an dem Gegen¬
stand selbst zu ergötzen. Wann haben sie sich je über Opereiten¬
kitsch entrüstet, wo die Absicht, lediglich auf die Sinne zu
wirken, auf der Hand liegt? Und warum nicht? Weil die
moralische über die Schweinerei gegossene Soße ihnen
erlaubte, sich unbekümmert an den saftigen Zoten zu
erlustigen. Es hat sie noch niemand daran gehindert,
und so sollen auch sie niemanden daran hindern, Kunst auch in
Gegenständen zu erblicken, in denen Leute, die über das Gegen¬
ständliche nicht hinaus können nur eine Schweinerei erblicken.
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Die gestörte „Reigen==Vorstellung.
Die vorgestrige Vorstellung### Reigen“ wurde durch ein¬
# dringende Demonstranien#### Es waren ungefähr 20 junge
Leute, die durchan## Drel=Partei angehörten. Sechs
von ihnenwurden e##te. Es sind dies der # valt eamte
N#lächelbesbet der Prevarbeamte Alfird Stachelberge.,
der Postoffiziant Bund, der Optiker Franz Hermann, der
FEE 192 Schlossergchelfe Anton Kramer und ein Prwatbramer. Der
verhaftete Hermann erklätte, weder die Aufführung zu kennen.
noch auch das Buch gelesen zu haben.
Die gestrige Vorstellung ist ohne Zwischenfall verlaufen.
Personenzug in einen Lastzug hinelnfuhr. Zwei Personen wur¬
den getötet, acht schwer verletzt. Ueber die Urlache ist nichts
bekannt.
Neuerliche Demonstralior gegen Schnitzlers „Reigen“.
Aus Wi wird uns telegrapyiert: Das Münchener Bei¬
spiel hat gestern hier Nachahruung gefunden, Etwa zwanzig
bis dreißig junge Burschen drang
alnd knapp vor
Schluß het Aufführung des „Reigen“## das Foyer der Kam¬
merspielt ein und provozierten dorteknen Skandol. Drei De¬
monstranten gelang es, in eine Loge zu gelangen, wo sie einen
großen Lärit veranstalteten Lund das Publikum, sowie die
Schauspieler mit den Aufen „Kulturschande! Juden! Auf¬
hören!“ regglierten übrigen Demonstranten wurden von
den Billettesren ##nd Polizisten zurückgehalten und auf die
Straße gesetzt. Die Polizei nahm sechs Verhaftungen vor. Das
Spiel mußte während der Szene unterbrochen und der Zu¬
chauerraum erleuchtet werden. Nach einer Pause von fün
Minuten konnte die Vorstellung ungestört zu Ende geführt
werden. Die sechs Verhafteten bekannten sich als Anhänger
der antisemitischen Orellpartei. Dem Vernehmen nach plant
die Polizei, für den Fall der Wiedecholung dieser Störungen,
ein Verbot der Aufführung des „Reigen“ zu erlassen.
Schuljubiläum. Der Freundeverband der gewesenen
Zöalinge nan der Oherrealichule in der Garcubfnenten (Fricher
C
Stölungsversuch in den Kammerspielen.
Montag abends wurde der Versuch unternommen,
# Aufführung von Sch#i#lers „Reigen“ in den
Kammerspielen zu stören. Während des vorletzten Bildes
dlungen 15 bis 20 junge Leute durch das Foyer in den
Einschauerraum, gelangten in besetzte Logen und riefen
b#n dort aus: „Pfui!“ in den Saal. Die Vorstellung
#ede unterbrochen und von den verschiedenen Plätzen aus
„Pfui!“ der den Störenfrieden
der Gegenruf:
etünte
##t; sie wurden aus dem Saale entferni. Sechs Per¬
onen wurden arretiert und zum Stadt¬
snmmissariat gebracht Es sind Privatbeamte, ein
##lossergehilfe, ein Optiker und ein Postbeamter. Nach
#tstellung ihrer Persönlichkeit wurden sie entlassen. Die
Schnitzlers „Reigen“,
Strasamtshandlung ist eingeleitet. —
cn Theaterstück, das in einer Reihe von Bildern die
teie Liebe“ vorführt, hat übrigens auch an anderen
Lhnen Anlaß zu Gegendemonstrationen gegeben. In
##ünchen wurde erst jüngst ein solcher Theaterskandal ver¬
###taltet, daß das Stück überhaupt verboten wurde. In
Wien und Berlin wurde die Aufführung erst nach lang¬
wierigen Verhandlungen mit der Zensurbehörde gestattet.
MA
Mh
Ungestörter Verlauf der gestrigen
„Reigen“=Aufführung.
Bisher keine Stellungnahme der Polizei.
Die gestrige Aufführung von Schuitl###
„Reigen“ in den Kammerspielen verlief ohne
jede Störung. Vor dem Eingange des Hauses
standen zwei Wachleute auf Posten, die jedoch keinerlei
Anlaß zum Einschreiten hatten. Gerüchte, wonach die
Polizeidirektion bereits infolge der vorgestrigen Zwischen¬
fälle in den Kammerspielen ein Verbot der weiteren
„Reigen“=Aufführungen ins Auge gefaßt habe, sind
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nach unseren Informationen unzutreffend. Allerdings
Verbotes befugt, falls es in Hinkunft zu Skandalen

kommen sollte. Damit ist aber nicht gesagt, daß die
Behörde von vorneherein auf die Anwendung der
stehenden Machtmittel verzichten wird,
ihr zu Gebote
uim Störungen zu verhüten. Eine Beschlußfassung in
dieser Hinsicht
ist eben noch nicht erfolgt. Sie wird
sich nach dem weiteren Verlaufe der Vorgänge in den
Kammerspielen richten.