II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 340

11. Reigen
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„Pfui. Judenpack!“, „Nieder mit den Sozia
gesindel!“,
demokraten!“, „Weg mit dem Schweinestück!“, „Schluß
d
Vorstellung!“ nicht nur die wenigen, die noch in das Theat
zu gelangen suchten, sondern auch vorübergehende Passante
und vorbeifahrende Automobile und Wagen. Als die Situatir
bedrohlich zu werden schien, kam der Theaterwache eine Ve
stärkung aus der Wachstube in der Postgasse zu Hilfe. Nu
mehr wurden die Demonstranten gegen den Kai und de
Stephansplatz abgedrängt, wo sie noch eine kurze Zeit lärmt
und sich dann zerstreuten.
Bei der Räumung der Rotenturmstraße leisteten die Demon
stranten der Wache Widerstand, weshalb Arretierungen vo
genommen wurden. Die vier Arretierten waren: Ein Pos
unterbeamter, ein Beamter der Gemeinde Wien, ein Schneide
gehilfe und ein Fabriksarbeiter. Sie wurden in die Wachstube i
der Postgasse gebracht, wo sie sich als Mitglieder des katholische
Volksbundes legitimierten und nach Abgabe ihres National
wieder entlassen wurden.
Sowohl die Abendvorstellung als auch die Nachtvorstellun
des „Reigen“ selbst, die vollständig ausverkauft waren, ginge
ohne Zwischenfall vor sich. Direktor Bernau erklärt, daß ihn
da er bisher kein behördliches Verbot erhalten habe, weder di
Demonstrationen vor dem Theater noch auch Drohungen m
weiteren Störungen veranlassen würden, die Aufführungen de
„Reigen“ einzustellen. Den Demonstrationen vor dem Theat
werde die Polizei begegnen, für die Abweisung von Störunge
während der Vorstellung werde das Publikum sorgen. Auf sei
Anbot, szenische Aenderungen der Aufführung durchzuführer
habe er bisher vom Bundesministerium noch keine Antwort ei
halten. Bürgermeister Reumann habe ihm gegenüber die strikt
Erklärung abgegeben, daß er seine Entscheidung auf alle Fäll
aufrechterhalte.
Heute vormittag wurde der Vorverkauf für die weitere
„Reigen“= Aufführungen der Woche eröffnet. Er gestaltete sich
so lebhaft, daß Polizeiorgane den Verkehr in der Passage zun
Theater regeln mußten.
Abgeordneter Professor Dr. Seipel über die
„Reigen“=Affäre.
Wien, 14. Februar.
Im Anschlusse an die 14. Hauptversammlung des Volks¬
bundes der Katholiken Oesterreichs fand gestern nachmittag in der
Volkshalle des neuen Rathauses eine massenhaft besuchte Festver¬
sammlung statt, in der Abgeordneter Professor Dr. Seipel
unter anderem ausführte. „Das sittliche Empfinden unseres boden¬
ständigen christlichen Volkes wird fortgesetzt aufs schwerste ver¬
letzt durch die Aufführung eines Schmutzstückes aus der Feder
eines jüdischen Autors. Vor wenigen Tagen hat dieser Umstand
sogar eine widerliche Sturmszene in unserem obersten Ver¬
tretungskörper, im Nationalrat, ausgelöst. Es ist als Anwalt
dieses Stückes der Präsident Seitz aufgetreten — der Fasching ist
vorüber und die Sozialdemokratie demaskiert sich. Es ist ganz
offen jetzt zutage getreten, was wir früher ohnehin wußten, daß
die Sozialdemokratie auftreten und stürmische Szenen machen
muß, wenn es sich um die Verteidigung irgendeiner jüdischen
Machenschaft handelt. Ich rede hier von dem üblen Judentum,
das als notwendige Gegenwehr immer wieder den Antisemitismus
hervorrufen muß, von denjenigen, die sich anmaßen, an der
Spitze des deutschen Volkes zu stehen und von deutscher Kunst
zu reden, ohne zu wissen, welche hohe Würde der deutschen Kunst
zukommt und daß sie sich offenbaren muß nicht so sehr in der
Technik als in der Wahl der Stoffe für die Kunstwerke. Unsere
Regierung nud insbesondere unser Bundesminister für Inneres
habe sich ganz korrekt verhalten. Er hat das Möglichste getan,
die Verfassung zu wahren, aber auch die Autorität zu stützen,
selbst in dem Fall, wenn sie in den Händen eines Reumann
liegt. Er hat lange zugewartet, Vorstellungen erhoben und in
einem höflichen Briefe den Bürgermeister aufgefordert, selber
Ordnung zu machen, um ja nicht dessen Autorität oder Emp¬
findlichkeit zu verletzen. Als aber all diese höflichen Mittel und
sanften Aufforderungen nichts nützten, da blieb ihm natürlich
nichts anderes übrig, als zur Wahrung von Ordnung, Sitt¬
lichkeit und Ehre unseres Volkes selber mit dem Verbote vor¬
zugehen“.
„Kardinal=Erzbischof Drf Piffl sagte zum Schlusse:
In der Gegenwart bricht sich mehr und mehr in weiten Kreisen
die Erkenntnis Bahn, daß mit einer Weltanschauung, die auf¬
gebaut ist auf dem schwankenden Boden wechselnder mensch¬
licher Hypothesen, die letzten Endes nichts anderes ihren Be¬
kennern zu bieten vermögen als bange Zweifel, Oede und
kalte Verneinung, auf die Dauer der Menschheit nicht gedient
sei. Bei dieser Erkenntnis dürfen wir Wenschen von heute nicht
stehen bleiben. Es muß ihr die Forderung auf dem Peiße
folgen, daß das Volk, wenn es aus seiner wintschestlichen Not.
aus seinem sittlichen Verfall genesen will, festsehen muß auf
einem göitlichen Boden der Wahrheit und daß es in allen öffent¬
lichen Fragen von einer handfesten Führung geleitet sein muß“.