II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 341

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Reigen
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des Fehlers, zahlenmäßige Forderungen aufzustellen, ehe ma
Gegen den „Reigen“!
Neue Protestkundgebungin Wien.
Aus Wien wird uns berichtet:
Gestern fand hier eine Versammlung des Katholischen Volks¬
bundes statt. Nach der Versammlung zogen stwa 3000 Teilnehmer,
zumeist junge Leute, vor die Kammerspiele, wo sie mit den Wor¬
ten „Nieder mit dem Reigen, nieder mit den So¬
zialdemokraten“ die Unterbrechung der Vorstellung zu er¬
zwingen suchten. Den Demonstranten stellte sich die Sicherheits¬
wache entgegen, welche schließlich die Menge abdrängte, wobei
vier Verhaftungen wegen Widersetzlichkeit vorgenommen wurden.
Die Vorstellung selbst, welcher gestern auch der Dichter Arthur
Schnitzler beiwohnte, verlief in aller Ruhe. Der Direktion des
Theaters wurden von christlich=sozialer Seite für den Fall wei¬
terer Aufführungen neue Demonstrationen angedroht.
Kundgebung der deutschen Frauen.
Aus dem Kreise der weiblichen Abgeordneten des Reichstages
geht uns folgende Mitteilung zu:
Die tägliche Aufführung des Stückes „Der Reigen“ von
Schnitzler in den Räumen der Staatlichen Hochschule für Musik
in Charlottenburg erregt in weiten Kreisen großes Aergernis.
Sie stellt eine Prostituierung der Frau dar in unerhörter Dreistig¬
keit gegen die einfachsten G bote von Anstand und guter Sitte.
Es ist an der Zeit, daß die deutschen Frauen, die noch auf Ehr¬
barkeit halten und das heranwachsende Geschlecht in
Reinheit erzogen wissen wollen, mit allem Nachdruck
Einspruch erheben gegen diese Schmach und Schande unserer Tage.
Da alle Vorstellungen der ernst gerichteten Presse bisher
fruchtlos geblieben sind und das Berliner Beispiel wegen seines
großen geschäftlichen Erfolges bereits anregend auf andere
deutsche Städte wirkt (in Leipzig und München wird der „Rei¬
gen“ schon reihenweise aufgeführt; in Wien sogar zugunsten des
Kinderhilfswerks!), bleibt kein anderer Weg zur Abhilfe als
der Anruf des Staatsanwaltes, den das bestehende
Strafgesetz (§ 183) zum Einschreiten verpflichtet.
Dieser Entrüstungsruf eines großen Teiles der führenden
Frauen Deutschlands ist aus der Sorge um die heranwachsende
Jugent geboren. Aber nicht allein ein Verbot des „Reigens“ für
Minderjährige (das bekanntlich leicht umgangen werden kann)
vermag den üblen Einfluß einzudämmen. Es ist vielmehr an
der Zeit, daß einmal grundsätzlich von einer geschöftlich und
künstlerisch unbefangenen Seite eine scharfe Grenze zwischen
vaat Berlin
wahrer Kunst und künstlerisch verschleierter Schmutz gezogen
wird. Freilich heißt das in einen Pestherd greifen, aber wenn
wir noch lange zögern, werden uns die klaren Begriffe über¬
haupt gänzlich verschwimmen.
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Tagesbericht.
„Der Reigen.
Demonstration vor den Kammerspielen.“
Gestern abend ist es kurz vor Beginn der Vorstellung in
den Kammerspielen des Deutschen Vollstheaters zu Demon¬
strationen gegen die Aufführung, des „Reigen“
gekommen. Etwa dreihundert meist jugendliche An¬
gehörige des Katholischen Volksbundes, die
nachmittags an der Festversammlung im Rathause teil¬
genommen hatten, zogen vor das Gebäude der „Kammer¬
spiele“ in der Rotenturmstraße und demonstrierten dort durch
Rufe: Pfui, „Reigen“! Pfui, Kammerspiele! Nieder mit den
Sozialdemokraten! usw. Die Demonstration erregte natürlich
großes Aufsehen.
Die Bereitschaft der Sicherheitswache, die die Theater¬
eingänge bewachte, erwies sich der Uebermacht gegenüber zu¬
nächst als zu schwach und konnte erst, als Verstärkungen aus
der Wachstube Postgasse eintrafen, energisch gegen die Demon¬
stranten vorgehen. Die Menge, die naturgemäß fortwährend
Zuzug von Neugierigen erhielt, wurde schließlich gegen den
Kai und den Stephansplatz zu abgedrängt. Dies ging aber
nicht ohne teilweise euergischen Widerstand seitens einiger
Hauptschreier ab. Es wurden infolgedessen ver Personen
ein Postbeamter, ein städtischer Beamier, ein Fabriksarbeiter
uind ein Schneidergehilfe, durchweg Mitglieder des Katholischen
Volksbundes — arretiert und auf die Wa“ de gebracht.
nach Feststellung ihrer Nationalien jedoch wieder entlassen
Gegen ½8 Uhr war die Demonstration beendet und die Ruhe
wieder hergestellt.
Der Andrang zum Vorverkauf.
Für heute, 9 Uhr früh, war der Beginn des Vorverkaufes
für die Vorstellungen des „Reigen“ für morgen Dienstag und
die folgenden Tage angekündigt. Schon vor fünf Uhr hatten
sich in der Dämmerung, trotz der Kälte, bis in die Rotenturm¬
straße hinaus viele Personen angestellt, die geduldig auf die
Oeffnung des Kassenschalters im Theater warteten. Den ganzen
Vormittag dauerte der Andrang fort. Zeitweise reichte die Reihe
der „Angestellten“ in der Rotenturmstraße bis zum Fleischmarkt
und bis zur Adlergasse, und es mußte Wachafsistenz herbei¬
geholt werden, um den Einlaß zu regeln. Partienweise konnten
die Wartenden dann zum Kassenschalter gelangen. wo Karten
is zum nächsten Montag, und zwar täglich für die Abend= und
für die Nachtvorstellung, ausgegeben wurden.
I4. Februar 1921.
Nr. 44
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Der Bühnenverein und die „Reigen“-Affäre.
Der Oesterreichische Bühnenverein hat zur „Reigen“¬
Affaire als solcher bisher nicht Stellung genommen. Doch hat
derselbe als Organisation der Darstellenden das Mini¬
sterium des Innern und die Gemeinde auf die Ge¬
fährdung der Existenz der Schauspieler durch
eine allfällige Einstellung der „Reigen“=Wiederholungen auf¬
merksam gemacht.
Abg. Dr. Seipel über den „Reigen“.
In der gestern in der Volkshalle des Rathauses statt
gefundenen Festversammlung des Volksbundes der Katholiker
Oesterreichs hielt Abgeordneter Dr. Seipel eine Rede, in de¬
er unter anderm ausführte: Das sittliche Empfinden unsre¬
bodenständigen christlichen Volkes wird fortgesetzt aufs schwerst
verletzt durch die Aufführung eines Schmutzstückes aus de
Jeder eines jüdischen Autors. Vor wenigen Tagen hat diese
Umstand sogar eine widerliche Sturmszene in unserm oberste#
Vertretungskörper, im Nationalrate, ausgelöst Es is
als Anwalt dieses Stückes der Präsident Seitz aufgetreten -
der Fasching ist vorüber und die Sozialdemokrie demaskier
sich. „(Heiterkeit.) Es ist ganz offen jetzt zutage getreten, wa
wic früher ohnehin wußten, daß die Sozialdemokratie aus
treten und stürmische Szenen machen muß, wenn es sich um d
Verteidigung irgendeiner jüdischen Machenschaft handelt.
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ede hier von dem üblen Judentum, das als notwendig
Gegenwehr immer wieder den Antisemitismus hervorrufen mus
von denjenigen, die sich anmaßen, an der Spitze des deutschen
Volkes zu stehen und von deutscher Kunst zu reden, ohne :
wissen, welch hohe Würde der deutschen Kunst zukommt und da
sie sich offenbaren muß nicht so sehr in der Technik als in
der Wahl der Stoffe für die Kunstwerke. Präsident Seitz he
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