II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 342

11. Reigen
box 17/5
rassel
Gegen ½8 Uhr war die Demonstration beendet und die Ruhe
wieder hergestellt.
Der Andrang zum Vorverkauf.
Für heute, 9 Uhr früh, war der Beginn des Vorverkaufes
für die Vorstellungen des „Reigen“ für morgen Dienstag und
die folgenden Tage angekündigt. Schon vor fünf Uhr hatten
sich in der Dämmerung, trotz der Kälte, bis in die Rotenturm¬
straße hinaus viele Personen angestellt, die geduldig auf die
Oeffnung des Kassenschalters im Theater warteten. Den ganzen
Vormittag dauerte der Andrang fort. Zeitweise reichte die Reihe
der „Angestellten“ in der Rotenturmstraße bis zum Fleischmarkt
und bis zur Adlergasse, und es mußte Wachafsistenz herbei¬
geholt werden, um den Einlaß zu regeln. Partienweise konnten
ie Wartenden dann zum Kassenschalter gelangen, wo Karten
bis zum nächsten Montag, und zwar täglich für die Abend= und
für die Nachtvorstellung, ausgegeben wurden.
I4. Febrnar 1921.
Nr. 44
Der Bühnenverein und die „Reigen“-Affäre.
31
Der Oesterreichische Bühnenverein hat zur „Reigen"=
Affaire als solcher bisher nicht Stellung genommen. Doch hat
derselbe als Organisation der Darstellenden das Mini¬
sterium des Innern und die Gemeinde auf die Ge¬
fährdung der Existenz der Schauspieler durch
eine allfällige Einstellung der „Reigen“=Wiederholungen auf
merksam gemacht.
Abg. Dr. Sespel über den „Reigen“.
In der gestern in der Volkshalle des Rathauses statt
gefundenen Festversammlung des Volksbundes der Katholike
Oesterreichs hielt Abgeordneter Dr. Seipel eine Rede, in de¬
er unter anderm ausführte: Das sittliche Empfinden unsre¬
bodenständigen christlichen Volkes wird fortgesetzt aufs schwerst
verletzt durch die Aufführung eines Schmutzstückes aus de
Feder eines jüdischen Autors. Vor wenigen Tagen hat diese
Umstand sogar eine widerliche Sturmszene in unserm oberstei
Vertretungskörper, im Nationalrate, ausgelöst Es is
als Anwalt dieses Stückes der Präsident Seitz aufgetreten-
der Fasching ist vorüber und die Sozialdemokrie demaskier
sich. „(Heiterkeit.) Es ist ganz offen jetzt zutage getreten, wa¬
wic früher ohnehln wußten, daß die Sozialdemokratie auf
kreten und stürmische Szenen machen muß, wenn es sich um di
Verteidigung irgendeiner jüdischen Machenschaft handelt. I
rede hier von dem üblen. Judentum, das als notwendig
Gegenwehr immer wieder den Antisemitismus hervorrufen mu
von denjenigen, die sich anmaßen, an der Spitze des deutsche
Volkes zu stehen und von deutscher Kunst zu reden, ohne #
wissen, welch hohe Würde der deutschen Kunst zukommt und da
sie sich offenbaren muß nicht so sehr in der Technik als in
der Wahl der Stoffe für die Kunstwerke. Präsident Seitz he
im Nationalrate die recht interessante öffentliche Erklärung ab
gegeben, daß es sich bei der Verteidigung der „Reigen“=Auf
führungen nicht um ein Interesse der Arbeiterschaft handl¬
Er hat ausdrücklich gesagt, den Arbeitern mache das Verbo
nichts, die können sich bei den hohen Theaterpreisen ohnehin den
„Reigen“ nicht ansehen. Wir haben bisher immer geglaubt
die Sozialdemokratie erblicke ihr einziges Ziel im Vertreten
der Interessen der Arbeiterschaft, nun aber ist von maß
gebendster Stelle gesagt worden, daß dem nicht so ist. Für
wen tritt also die Sozialdemokratie in diesem Falle ein?
Für die Schieber und Dirnen, welche sich hindrängen
zur Aufführung des „Reigen“. Die dürfen nicht gestört
verden und mag es darob im ganzen Volk
ebendig werden. Ich stelle fest: Weit über unsern
ngeren Kreis ist in diesem Falle der Protest laut geworden,
ie anständigen Elemente auch der andern Parteien und auch
inter den Juden haben einmütig über diesen Theaterskandal
bgeurteilt. Darum kümmert sich aber die Sozialdemokratie
licht, es werden ihre ersten Spitzen vorgeschickt, nur um die
Interessen jener, ich will hoffen, nicht allzu zahlreichen Gruppe
u schützen, die in ihrem Vergnügen nicht gestört werden will.
räsident Seitz hat auch davon gesprochen, daß niemand zu
iner „Reigen“=Aufführung zu gehen brauche, der in seinem
ittlichen Empfinden sich darüber gekränkt fühlen müßte. Mit
insrer Auffassung von Sittlichkeit verträgt sich freilich ein
olches plattes Wort nicht. Wir glauben an ein objektives
Sittengesetz, wir wissen, daß dieses nach Gottes Willen ein¬
gehalten werden soll. So dürfen wir es nicht zulassen, daß
der Name der deutschen Kunst und die Ehre dieser Stadt so
gröblich geschädigt werde. (Beifall.)
— — 10