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11. Reigen
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Montag
geführte Inszenierung des „Reigen“ dadurch zu mildern,
daß anstatt der Verdunkelung der Szene während der
bekannten Dialogstellen der Vorhang fallen würde. Die
Regierung hat sich zu diesem Vorschlag Direktor Bernaus
bisher nicht geäußert.
Die Herren „Oberlehrer“
Bemerkungen zur „Reigen“=Affäre.
Man soll den Streit um die Aufführung des
Schnitzlerschen „Reigens“ nicht schelten; er hatte, von
dem nicht unbeträchtlichen politischen Hintergrund abge¬
sehen, auch darin sein Gutes, daß er wieder einmal den
an sich lächerlichen, aber in seiner Anmaßlichkeit doch
auch störenden Typus der Oberlehrer=Naturen mit ent¬
sprechender Deutlichkeit allen vor Augen geführt hat. Im
alten Staat war die Bevormundung der Bürger durch
den Staat ein Stück jenes großen Systems von Siche¬
rungen, welche zur Erhaltung der Macht erfunden und
planmäßig ausgebaut worden waren. Es lag im Wesen
dieses Systems, nicht nur das Tun, sondern auch das
Denken zu überwachen, denn da das Denken das Tun
erzeugt, schien es zweckmäßig, hinter jedes Hirn einen
unsichtbaren Polizisten zu stellen, der darauf zu achten
hatte, daß alles respektiert werde, was zur Erhaltung der
Macht gehört. Vom ersten Lesebuch an, welches das Kind
in die Hände bekam, bis zum vaterländischen Geschichts¬
werk, vom ernsten Theaterstück, welches der Dramatiker
dem Bühnendirektor übergab, bis herunter zum kleinen
Couplet des Brettelsängers wurde jede Zeile auf ihren
Geist und die Harmlosigkeit oder Bösartigkeit dieses
Geistes geprüft. Die Methode hatte einen bestimmten
Zweck: die Erhaltung der Macht. Wer diese Macht be¬
jahte, mußte logischerweise auch die Mittel zu ihrer Er¬
haltung gutheißen, wer sie verneinte, sah in dieser
Methode das größte Hindernis einer wirklichen Befreiung
der Köpfe.
Nun leben wir, sagt man, in der Freiheit. Wir
könnten zumindest frei leben, weil der Zwang, ein=kom¬
pliziertes Herrschaftssystem aufrechtzuerhalten, wegfällt.
Der Staat kann sich auf seine natürlichen Funktionen
beschränken: der Schützer des Lebens und Eigentums
Polizist und Nachtwächter zu sein. Woher kommt es nun
daß er dennoch rückfällig, daß er Mentor und Vormund,
Einbrecher in die Privatsphäre des Bürgers wird? Dies
liegt nicht an irgendeiner mysteriösen Funktion des
abstrakten Ungeheuers „Staat“, sondern an dem wider¬
wärtigsten Menschentypus, an den sogenannten Oberlehrer¬
Seelen, die von der absonderlichen Idee besessen sind,
sich um Dinge zu kümmern, die sie gar nichts angehen,
dabei aber den Vorwand gebrauchen, es handle sich bei
dieser Einmischung in die Privatsphäre der Mitmenschen
um das „allgemeine Wohl“, um das „sittliche Heil“ und
dergleichen mehr.
Das „Reigen“=Beispiel: Es ist jedermann gestattet,
Schnitzlers kleine Szenenreihe für was immer zu halten,
Gefallen daran zu finden oder in ihr, wie so viele der
öffentlichen Schwätzer getau, eine „Schweinerei“ zu sehen.
Jeder hat das Recht, seine Dummheit zu plakatieren, die
Armseligkeit und Dürftigkeit der eigenen Natur
es
kann daher niemand verwehrt werden, den Wiener Dichter
mit Unrat zu bewerfen. Nur eines sollten alle öffentlich
Wirkenden, Politiker, Staatsmänner und Journalisten,
ndlich kapieren lernen, daß sie kein wie immer geartetes
Theater.
Von Hans Liebstoeckl.
„Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“.
Recht besitzen, sich in die Privatphäre ihrer Mimnenschen
einzudrängen. Dies nämlich ist der fundamentale Unter¬
schied zwischen Barbarei und Gesittung, zwischen Knechtung
und Freiheit, ob die Privatsphäre des einzelnen unan¬
getastet bleibt von frechen Einbrüchen und Betastungen.
Und die Frage der „Reigen“=Aufführungen ist eine
Privatangelegenheit jedes einzelnen der Kammerspiel¬
Besucher. Verstehen das die Politiker nicht? Wollen die
aufgeregten Eiferer diese einfache Tatsache nicht begreifen?
Der Politiker kann, wenn er will, auf der Tribüne sagen
ihm gefalle es nicht, daß die Bühnen nur das erotische
Thema behandeln; er darf aber den Mitmenschen,
dem das erotische Thema amüsanter und wichtiger
erscheint als politisches Geschwätz, nicht vergewaltigen
wollen. Der Theaterkritiker kann, wenn es ihm Spaß
macht, alle Argumente gegen die Aufführung der
Schnitzlerschen Szenen aufmarschieren lassen. Aber eines
darf er nicht: er darf nicht nach der Polizei schreien.
Das ist anmaßende Frechheit und schmutzigste Lumperei
obendrein. In einem gesitteten Gesellschaftszustand
muß es jedermann gestattet sein, sich die Art des Ver¬
gnügens und der Unterhaltung selbst zu bestimmen. Die
Menschen, die abends das Kammerspielhaus besuchen, sind
Fall
dem Staat vielleicht Steuerreste, aber auf keinen
Rechenschaft darüber schuldig, ob der „Reigen“ ihrer
„Sittlichkeit“ zuträglich oder abträglich ist. Und die Herren
Richter in den Redaktionen geht der Geschmack und das
leibliche Wohl der Theaterbesucher schon gar nichts an.
Es wirkt aufreizend, Politiker und Journalisten als Ober¬
lehrer der Gesellschaft zu sehen, in der Rolle des Klassen¬
vorstandes, der den Theaterbesuch der Schüler unter
Zensur stellt. Wenn man sich der Mühe unterzöge, etwa
die psychologischen Untergründe dieses Oberlehrertums zu
untersuchen, käme man ja sehr bald darauf, daß die
Sorge um die bedrohte „Sittlichkeit“ in den wenigsten
Fällen einem idealen Irrtum, sondern dem Mißverständnis
eines galligen Leibes entspringt, der seine physiologischen
Mängel als sittliches Plus umdeutet. Mit anderen Worten:
Sittliche Entrüstung ist meistens der Trauergesang eines
Feuchthänders. Dennoch: Wer sich in dieser Art demaskieren
will, mag's immerhin tun. Anders wird die Sache,
wenn er die Gewalt anruft. Dann muß man ihn
daran erinnern, wie unangenehm es ihm und seinesgleichen
war, als andere Apostel der Gewalt die Verhinderung
der Presse als das beste Mittel zur Hebung der Sittlich¬
eit empfahlen. Merkwürdigerweise waren es fast ganz
ähnliche Argumente, welche diese Gewaltanbeter vorbrachten.
Mit Recht hat man sich damals gegen die Bedrohung der
Presse gewehrt und die Freiheit jedes Druckerzeugnisses
gefordert. Soll das Theater anders beurteilt werden?
Will man wirklich den Geschmack oder das Unterhaltungs¬
bedürfnis einer Großstadt unter die Kontrolle irgendeines
Polizeibeamten stellen? Es gibt ein sehr einfaches Mittel,
die sittlich entrüsteten Schreier zu beruhigen: Was ihnen
nicht gefällt, können sie meiden. Was die anderen tun,
geht sie nichts an.
Der gutmütige Wiener hat sich jahrhundertelang
bevormunden, schikanieren und zensurieren lassen. Er ver¬
traute den Oberlehrer=Naturen, war wirklich der Schüler,
dem das Maß geistiger Freiheit portionweise abge¬
messen wurde. Der Endeffekt der Oberlehrerei müßte ihm
endlich auch den letzten Rest von Autoritätsanbetung
nehmen. Er ziehe endlich die Konsequenz seiner Einsicht!
Er schüttle die Oberlehrer ab! Es ist genug der frechen
Bevormundung. Es hat niemand das Recht, um meine
ruhig, die Politiker und Parteien wittern Morgenluft,
zwei alte, intime Feinde, „Fortschritt“ und „Reaktion“
fühlen die Stunde des Turniers gekommen, reiten mit
gezückten Interpellationen gegen einander los, in der
14. Februar
Seele, um meine
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die von dieser Sorg
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(Die obigen
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geführte Inszenierung des „Reigen“ dadurch zu mildern,
daß anstatt der Verdunkelung der Szene während der
bekannten Dialogstellen der Vorhang fallen würde. Die
Regierung hat sich zu diesem Vorschlag Direktor Bernaus
bisher nicht geäußert.
Die Herren „Oberlehrer“
Bemerkungen zur „Reigen“=Affäre.
Man soll den Streit um die Aufführung des
Schnitzlerschen „Reigens“ nicht schelten; er hatte, von
dem nicht unbeträchtlichen politischen Hintergrund abge¬
sehen, auch darin sein Gutes, daß er wieder einmal den
an sich lächerlichen, aber in seiner Anmaßlichkeit doch
auch störenden Typus der Oberlehrer=Naturen mit ent¬
sprechender Deutlichkeit allen vor Augen geführt hat. Im
alten Staat war die Bevormundung der Bürger durch
den Staat ein Stück jenes großen Systems von Siche¬
rungen, welche zur Erhaltung der Macht erfunden und
planmäßig ausgebaut worden waren. Es lag im Wesen
dieses Systems, nicht nur das Tun, sondern auch das
Denken zu überwachen, denn da das Denken das Tun
erzeugt, schien es zweckmäßig, hinter jedes Hirn einen
unsichtbaren Polizisten zu stellen, der darauf zu achten
hatte, daß alles respektiert werde, was zur Erhaltung der
Macht gehört. Vom ersten Lesebuch an, welches das Kind
in die Hände bekam, bis zum vaterländischen Geschichts¬
werk, vom ernsten Theaterstück, welches der Dramatiker
dem Bühnendirektor übergab, bis herunter zum kleinen
Couplet des Brettelsängers wurde jede Zeile auf ihren
Geist und die Harmlosigkeit oder Bösartigkeit dieses
Geistes geprüft. Die Methode hatte einen bestimmten
Zweck: die Erhaltung der Macht. Wer diese Macht be¬
jahte, mußte logischerweise auch die Mittel zu ihrer Er¬
haltung gutheißen, wer sie verneinte, sah in dieser
Methode das größte Hindernis einer wirklichen Befreiung
der Köpfe.
Nun leben wir, sagt man, in der Freiheit. Wir
könnten zumindest frei leben, weil der Zwang, ein=kom¬
pliziertes Herrschaftssystem aufrechtzuerhalten, wegfällt.
Der Staat kann sich auf seine natürlichen Funktionen
beschränken: der Schützer des Lebens und Eigentums
Polizist und Nachtwächter zu sein. Woher kommt es nun
daß er dennoch rückfällig, daß er Mentor und Vormund,
Einbrecher in die Privatsphäre des Bürgers wird? Dies
liegt nicht an irgendeiner mysteriösen Funktion des
abstrakten Ungeheuers „Staat“, sondern an dem wider¬
wärtigsten Menschentypus, an den sogenannten Oberlehrer¬
Seelen, die von der absonderlichen Idee besessen sind,
sich um Dinge zu kümmern, die sie gar nichts angehen,
dabei aber den Vorwand gebrauchen, es handle sich bei
dieser Einmischung in die Privatsphäre der Mitmenschen
um das „allgemeine Wohl“, um das „sittliche Heil“ und
dergleichen mehr.
Das „Reigen“=Beispiel: Es ist jedermann gestattet,
Schnitzlers kleine Szenenreihe für was immer zu halten,
Gefallen daran zu finden oder in ihr, wie so viele der
öffentlichen Schwätzer getau, eine „Schweinerei“ zu sehen.
Jeder hat das Recht, seine Dummheit zu plakatieren, die
Armseligkeit und Dürftigkeit der eigenen Natur
es
kann daher niemand verwehrt werden, den Wiener Dichter
mit Unrat zu bewerfen. Nur eines sollten alle öffentlich
Wirkenden, Politiker, Staatsmänner und Journalisten,
ndlich kapieren lernen, daß sie kein wie immer geartetes
Theater.
Von Hans Liebstoeckl.
„Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“.
Recht besitzen, sich in die Privatphäre ihrer Mimnenschen
einzudrängen. Dies nämlich ist der fundamentale Unter¬
schied zwischen Barbarei und Gesittung, zwischen Knechtung
und Freiheit, ob die Privatsphäre des einzelnen unan¬
getastet bleibt von frechen Einbrüchen und Betastungen.
Und die Frage der „Reigen“=Aufführungen ist eine
Privatangelegenheit jedes einzelnen der Kammerspiel¬
Besucher. Verstehen das die Politiker nicht? Wollen die
aufgeregten Eiferer diese einfache Tatsache nicht begreifen?
Der Politiker kann, wenn er will, auf der Tribüne sagen
ihm gefalle es nicht, daß die Bühnen nur das erotische
Thema behandeln; er darf aber den Mitmenschen,
dem das erotische Thema amüsanter und wichtiger
erscheint als politisches Geschwätz, nicht vergewaltigen
wollen. Der Theaterkritiker kann, wenn es ihm Spaß
macht, alle Argumente gegen die Aufführung der
Schnitzlerschen Szenen aufmarschieren lassen. Aber eines
darf er nicht: er darf nicht nach der Polizei schreien.
Das ist anmaßende Frechheit und schmutzigste Lumperei
obendrein. In einem gesitteten Gesellschaftszustand
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gnügens und der Unterhaltung selbst zu bestimmen. Die
Menschen, die abends das Kammerspielhaus besuchen, sind
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„Sittlichkeit“ zuträglich oder abträglich ist. Und die Herren
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leibliche Wohl der Theaterbesucher schon gar nichts an.
Es wirkt aufreizend, Politiker und Journalisten als Ober¬
lehrer der Gesellschaft zu sehen, in der Rolle des Klassen¬
vorstandes, der den Theaterbesuch der Schüler unter
Zensur stellt. Wenn man sich der Mühe unterzöge, etwa
die psychologischen Untergründe dieses Oberlehrertums zu
untersuchen, käme man ja sehr bald darauf, daß die
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Fällen einem idealen Irrtum, sondern dem Mißverständnis
eines galligen Leibes entspringt, der seine physiologischen
Mängel als sittliches Plus umdeutet. Mit anderen Worten:
Sittliche Entrüstung ist meistens der Trauergesang eines
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wenn er die Gewalt anruft. Dann muß man ihn
daran erinnern, wie unangenehm es ihm und seinesgleichen
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der Presse als das beste Mittel zur Hebung der Sittlich¬
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ähnliche Argumente, welche diese Gewaltanbeter vorbrachten.
Mit Recht hat man sich damals gegen die Bedrohung der
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gefordert. Soll das Theater anders beurteilt werden?
Will man wirklich den Geschmack oder das Unterhaltungs¬
bedürfnis einer Großstadt unter die Kontrolle irgendeines
Polizeibeamten stellen? Es gibt ein sehr einfaches Mittel,
die sittlich entrüsteten Schreier zu beruhigen: Was ihnen
nicht gefällt, können sie meiden. Was die anderen tun,
geht sie nichts an.
Der gutmütige Wiener hat sich jahrhundertelang
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ruhig, die Politiker und Parteien wittern Morgenluft,
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wieder. D. Red.)
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