II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 352

11. Reigen
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eines Theukerstückes und seiner Wirkungen. Als nun mein Freund
Schreier ins Unglück geriel, indem die gesamte offizielle und offi¬
ziöse Muckergesellschaft sich nicht nur seiner Ansicht über die Un¬
zulässigkeit der „Reigen“=Aufführung anschloß, sondern sich auch
noch auf ihn berief, empfand ich es als meine Freundespflicht, ihn
aufzusuchen, um ihn zu krösten. Zu meiner überraschung fand ich
ihn in bester Laune und es entwickelte sich folgender; elfter
„Reigen“=Dialog:
Ich: Es freut mich, daß dn die Geschichte so von der
heiteren Seite nimmst.
Er; Welche Geschichte? Was meinst du denn?
Ich: Nun ja, du bisl doch durch deine Stellungnahme in
der „Reigen“-Frage in eine traurige Gesellschaft und in die
Gefahr geraten, daß man sich „höheren Orts“ bei einer
Dummhelt, die man gemacht hat, auch noch auf dich beruft!
Er: Lieber Freund, wer unter allen Umständen ent¬
schlossen ist, stets seine aufrichtige Melnung zu sagen und
zu vertreien, kann sich dabel nicht immer die Gesellschaft aus¬
sucher Und, was die „Dummheit“ anlangk, so weißt du ja,
daß ich der Ansicht bin, es sei dloß etwas Vernünftiges
dumm gemacht worden.
Ich: Du bist also noch immer der Überzeugung, daß die
„Reigen“-Aufführungen verboten werden sollen?
Er: Ich bin dafür, daß sie nicht slattfinden. Für ver¬
bieken bin ich nie. Bernau hätte sie nicht wollen, Schnihler
hätte nicht einwilligen sollen. Jedenfalls läßt sich so etwas
auch ahne Polizeigewalt erledigen. Eine Frage der „Geistes¬
freiheit" „hle: Vormärz', „die Demokratle“ hätte man
aus dem „Reigen“ natürlich nicht machen dürfen. Aber man
sollte sich doch auch so fragen: Wenn der „Reigen“ nicht auf
die Bühne gehört, muß er dennoch auf der Bühne bleiben,
weil die Mucker und Rückschrittler die vernünftige und
moralische Forderung, daß er nicht aufgeführt werde, zu
politischen und Partelzwecken mißbrauchen? Wird seine Auf¬
führung einwandfreier, well die Mittel, sie abzusetzen, dema¬
gogische find? Wer ist denn aber, im Grunde genommen
schuld daran, daß der „Reigen“ jetzt ein Polikikum ge
worden ist? Dech nur die d##nscht dafürgeforat haben das
er ein Privatissimum bleibe!
Ich: Schnitzler hat ihn ja wirklich nur als Privakissimum
gedacht und geschrieben. Nun liegt er aber selt vielen Jahren
im Buch vor, wirkt dort viel erotischer als auf der Bühne,
und es ist weit leichter, Jugendliche vom Theaterbesuch als
von der Lektüre auszuschließen.
Er: Du vergißt, wie viel ganz erwachsene Jugendliche es
gib!! Wenn du schreibst, du könntest dir bei vornehmer Emp¬
findenden keine Lüsternheitserregung vorstellen“, sondern nur
„bei Leuken, bei denen alle Wege ins Tierische führen“, dann
ist der „Reigen“ eben für die große Mehrzahl unstttlich. Die
geistig und sittlich Starken bedürfen freilich keines Schußes.
Aber die Schwachen haben ein Recht auf Warnungskafeln.
Ich: Auf Warnungskaseln gewiß; wo kommst du aber
hin, wenn du auch ihr Recht auf Bevormundung verkündest?
Mitten in die Reaktion, in die Theorie und Praxis von der
Unmündigkeit der Völker? Ich könnte dir sehr viele Theater
und andere Unterhaltungsstätten in Wien und in jeder Gro߬
stadt nennen, die nur von der Spekulation auf die Lüsternheit
leben, bei denen keinerlei literarisches Mäntelchen umge¬
hängt wird, geschweige denn wirkliche Künstlerschaft in Frage
kommt. Da sind die Zionswächter der Keuschheit stumm und
zwinkern einander zu. Nur bei Schönherr, Schnitzler und
allen, bei denen die Wucht einer Künstlerschaft die Hüter der
Verdummung reizi, erheben sie ihr wüstes, heuchlerisches
Moralgeschrei. Ja du hast recht, es liegt keine künstlerische
Nötigung vor, den „Reigen' aufzuführen. Aber es ist eine
sittliche Forderung, daß nicht Dichter bespieen werden, damtt
ausschließlich die nackte Zote, der gemeine Sinnenkitzel an
allen Ecken und Enden sich spreizen und dem Volk das Geld
unter behördlichem Schuß aus der Tasche locken können.
Er: Die Lokale, von denen du sprichst, sind keine Bil¬
dungsstätten. Wer dort hineingeht, welß, was er sucht ...
Ich: Und, wer zum „Reigen“ gehl, weiß, was er findet.
Das Tier oder den Menschen in sich; es kommt ganz auf
ihn an.
Er: Wir können uns nicht einigen, well ich der prak¬
sische Politiker bin, du aber der theoretische Asthet.
Ich: Möglich; aber ich glaube, wir können vor allem des¬
halb nicht einig werden, weil wir — beide recht haben.
Er: Oder beide unrecht?
Judex.
Ich: Da hast du vielleicht recht ...

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