II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 358

1
box 17/5
Reigen
Die Heiterkeit der Schnitzlerschen „Reigen“=
dialoge ist die Watteausoder Fragonar#s# ein wenig
zynisch, sehr ironisch, mit Maß melancholisch und sich
ganz in der Maske der Sexuell=Blasierten gefallend.
Von Rousseau und Voltaire sind jene so weit wie de
Wiener Zeitgenosse von Strindberg und Weininger.
Er wie jene sind Rokoko, sind Zeugen einer satten,
dem Genuß und dem Bewußtsein des Genusses raffi¬
niert hingegebenen Kultur. Diese Feinschmecker und
Künstler für Feinschmecker haben trotz ihrer Grenzen
und Engen ein unverdientes Schicksal, heute wie nach
der großen Revolution: Beute der schnuppernd
Lüsternen, mißverstehend Gierigen zu werden, in
Schweine verwantdelt zu werden von der goldenen
Göttin Circe. Darum taumeln die Reigenpe re jetzt
allerorten Abend für Abend über die Bühnen
Deutschlands, wogegen nichts zu sagen wäre, wenn
das Publikum aus anderer Befähigung als der, die
teuren Eintrittspreise zu bezahlen, ins Theater eins##
gelassen würde. In den Kammerspielen gibt
die Regie des Herrn Dr. Schulbauer den zehn
Szenen zwischen roten Vorhängen die Sordine des
guten Geschmacks und eine schauspielerisch lebendige
Aufführung. Freilich, könnte ich mir denken, daß
zwei schauspielerische Genies oder auch nur Talente
alle Rollen spielen könnten, damit die Variationen
ihrer gestaltenden Kraft und die Einzigkeit des Triebs
zeigen könnten, was den Reigenszenen auf dem
Theater schauspielerisch und dramaturgisch erst einen
Sinn gäbe. Hedwig Keller hat die verderbte
Kindlichkeit und wissende Unschuld eines
süßen
Mädels, Traute Carlsen illuminiert ihre Frau
mit ein paar sehr witzigen Glanzlichtern, Marietta
Olly hat die Charme und das Format einer großen
Welt= und Theaterdame, Hans Lackner gilt dem
Grafen Schlagkraft der Komödie, und Leopold
Iwald dem Ehemann echte gute Bürgerlichkeit.
Auch die anderen Damen und Herren machen, dies¬
mal alle auf ihrem Platz, aute Fiauren.
75
Der „Reigen“=Rummel.
Neuskliche Demonstration vor dem Theater.
Nach Peepdigung der Versammlung in der Volks¬
halle gab ein Versammjungsteilnehmer am Rathaus¬
platz die Porole aus, einen Tmonstrations¬
zug zum Geväude der Kamperspiele zu veranstalten,
um den Unmut über die Weiteraufführung des
Reigen“ kundzutun, Eine ungejähr tausendköpfige
Menge folgte dem Rufe Jnd zog über die Teinfalt¬
straße und die Freiung in die Rotemurmstraße, wo
sie in laute Pststrufe ausbrach.
Polizei Wnchte des öfteren, die Rotenturmstraße
zu räumewa ihr jedoch trotz Verstärkung nicht
gelang. Der Lärm wurde immer größer, da unter¬
dessen zahlreiche Theaterbesucher, die mit „Pfui“¬
und „Abzug“=Rufen empfangen wurden, fast durch¬
wegs in Au omobilen einlangten. Zu den Demon¬
stranten gesellten sich tausende Pa anten, die sich auf
die Sete der ersteren stellten und es der Polizei
verübelten, daß sie die zum Vergnügen eilenden
„Schieber“ beschütze.
Mit dem Beginn der Vorstellung fand die Demon¬
stration ihr Ende. Einige Arretierungen wurden vor¬
genommen, doch wurden die Beanstandeten nach Ab¬
gabe ihres Nationales entlassen.
Wachsender Andrang zu den Vorstellungen.
Heute vormittags waren be der Kassa der Kammerspiele
in der Rotenturmstraße die Leute in langen
Reihen angestellt, um Karten für die „Reigen“¬
Aufführungen in dieser Woche zu erhalten. Die heutige
Vor ellung ist bereits ausverkauft und auch für de
nächsten Tage ist ine große Nachfrage. Man sieht Ange¬
stellte, Dienstmänner, die sich dort eingefunden haben, um
Karten zu beschaffen.
Direktor Bernau lacht sich ins Fäustchen, denn die
Skandalszenen im Parlament und die fortdauernde Er¬
ört rung in der Oefsentlichkeit haben de wirksamste
Reklame genacht. Wäre über die „Reigen“=Auf¬
führungen nicht so heftig diskutiert worden, so wäre sicher
das Interesse kein so großes gewesen. Bekanntlich war die
erste Vorstellung nicht so stark besucht, was ja des¬
halb begreiflich erscheint, weil die Preise zu hoch sind,
ntun aber regt sich das Interesse aller, die über genügend
Geld verrgen und die nunmehr das Stück unter allen
Umständen sehen wollen!