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11. Reigen
Wiener Morgenzeitung
17. Februar 1921
Seite 3
Ei Mturmangiit der Chrietlichsoziälen
Otel Garde auf die Kammerspfele.
Die „Neigen“=Aufführung vereitelt. — Stinkbomben und Sessel als Waffen.
Zahlreiche Zuschauer blutig verletzt.
— Plünderung der Garderoben. — Die
Feuerwehr gegen die Nowdies.
Die christlisozialen Jungmannen, die die Gefolg¬
vor dem Terror der Christlichsozialen nicht zurückschrecken
schaft des be schtigron Orsl Pohrömisten bilden, haben
und die crutige Vorstellung des „Reigen“ werde statt¬
ihre Dishung verwirklicht und durch einen Sturm¬
finden.
angriff auf die Kammerspiele die gestrige Vorstellung
Die Polizei läßt durch ihre Korrespondenz berichten:
vereitelt. Dabei spielten sich Szenen ab, die erkennen
Ohne Störung wurden die beiden ersten Bilder
lassen, daß der ganz im Stile der Wildwestmanieren
aufgeführt. Im dritten Bilde machte sich schon einige
arrangierte Angriff von langer Hand planmäßig vor¬
Unruhe geltend. Im vierten Bilde wurde es im Hausa¬
bereitet war.
noch unruhiger und plötzlich wurde eine Stinkbombe
Ueber die Vorfälle wird uns berichtet: Die gestrige
geworfen, die einen durchdringenden Geruch verbreitete.
„Reigen“=Aufführung wurbe durch einen planmäßig
Sie war mit Schweselwasserstoffgas gesüllt. Ein Herr
arrangierten Skandal der Christlichsozialen, wie man
aus dem Publikum bezeichnete dem diensthabenden
ihn in Wien noch nicht erlebte, vereitelt. Schon während
Polizeikommissär Dr. Müller den Werfer, einen Ober¬
bes Anfanges der Vorstellung hatten sich im Parterre
offizial, und Dr. Müller ließ ihn ins Inspektions¬
junge Leute eingesunden, die Stinkbomben warfen. Den
zimmer kommen, um ihn protokollarisch einzuver¬
Theaterangestellten gelang es, durch Lüften und Des¬
nehmene Zu dieser Zeit hatten sich die Demonstronten
infektionsmittel den Gestank teilweise zu vertreiben.
auf der Straße schon vor dem Theatereingang gesam¬
Das Publikum wurde nervös und wöhrend der Auf¬
melt und plötzlich stürmten sie auf den befeuernden Ruf
führung verließen bereits einige Personen das Theater.
einer Frau in das Theater, überrannten den Kom¬
Inzwischen hatte sich vor dem Theazergehäude in
missär Dr. Müller und die fünf Sicherheitswachen und
der Rotenturmstraße eine dreihundertköpfige Menge von
drangen in den Theatersaal. Sie stürmten in Parkett
jungen Leuten angesammelt, die gesabe, als das 5. Bild
und Logen, warsen unter Pfuirufen und unter Lärm
des Reigen gespielt wurde, auf das Theutergebäude einen
die Sessel aus den Logen ins Parterre, schleuderten
Sturmangriff unternahmen. Die Türsteher und Bille¬
mit Teer gefüllte Eier gegen die Besucher und
teure wurden überwältigt und ein Teil der Exzedenten
gegen den eisernen Vorhang, der unterbessen herab¬
drang ins Parierre, wührend eine andere Gruppe in
gelassen worden war und zwangen durch ihr gewalttätiges
die Logengänge stürmte. Im Publikum entstand eine
Vorgehen die Besucher des Hauses zur Flucht. Ein
Panik und alles flüchteté.
Teil floh auf die Bühne, ein Teil in die Nebenräume,
In dielem Augenblick bombardierten die Rowdies
wobei sie ein förmliches Spießrutenlaufen zu
aus den Logen den Zuschauerrawn mit Logensesseln.
bestehen hatten. Kommissär Dr. Müller hatte rasch
Durch dieses Bombardement wurde die Panik natur¬
Verstärkung an Sicherheitswache herbeiholen lassen. Auch
gemäß noch erhöht und wie wahnsinnig flüchtete das
die Feuerwehr, die verständigt worden war, rückte an
Publikum aus dem Theater. Durch die Sesselwürfe
und unterstützte die Sicherheitswache bei der Räumung
wurden zahlreiche Personen verletzt.
des Theaters. Dabei öffnete die Feuerwehr die
Hydranten und richtete die Strahlen des
Im Parterre halte sich unterdessen ein regelrechter
Wassers gegen die Eindringlinge. Die Räu¬
Kampf entwickelt. Die Nowdies leisteten sich den Witz,
mung des Hauses vollzog sich sehr rasch. Auch aus der
auf das flüchtende Publikum mit Stöcken loszuschlagen,
Rotenturmstraße wurden die Demonstranten abgebrängt.
wobei zahlreiche Theaterbesucher blutiggeschlagen wur¬
Bei den stürmischen Szenen wurden fünf Arre¬
den. Das Publikum flüchtete aus dem Theater¬
tierungen vorgenommen, sie betreffen einen Kommis,
gebäude, um in den angrenzenden Häusern Schutz zu
einen Tapezierergehilfen, einen Schuhmachergehilfen,
suchen. Hiebei wurden von den sittlich empörten Rowdies
einen Zahntechnikerlehrling und einen Studenten der
die Garderoben geplündert und zahlreiche Pelze und
Medizin.
Winterröcke gestohlen. Erst jetzt erschien genügend Polizei
Die Nachtvorstellung verboten.
am Kampfplatze, um rasch zu handeln. Vor dem Theater
kam es zu neuerlichen Raufereien, wobei einige Ver¬
Abends hätte eine zweite „Reigen“=Aufführung
haftungen vorgenommen wurden.
stattfinden sollen. Auf Vorstellungen des Feuerwehr¬
Die Orel=Garde zog, nachdem sie ihrer sittlichen
kommandos, das bei der Bauart des Theaters auf die
Entrüstung genügend Betätigung geschafft hatte, sieg¬
unabsehbaren, allfälligen Folgen einer Panik hinwies,
reich ab.
hat die Polizeibehörde aus Gründen der persönlichen
Die Vorstellung konnte selbstverständlich nicht zu
Sicherheit der Besucher die heutige Nachtvorstel¬
gesolelt werhen Direktor Vernau erklärt, er¬
ung des „Reigen“ untersagt.
11. Reigen
Wiener Morgenzeitung
17. Februar 1921
Seite 3
Ei Mturmangiit der Chrietlichsoziälen
Otel Garde auf die Kammerspfele.
Die „Neigen“=Aufführung vereitelt. — Stinkbomben und Sessel als Waffen.
Zahlreiche Zuschauer blutig verletzt.
— Plünderung der Garderoben. — Die
Feuerwehr gegen die Nowdies.
Die christlisozialen Jungmannen, die die Gefolg¬
vor dem Terror der Christlichsozialen nicht zurückschrecken
schaft des be schtigron Orsl Pohrömisten bilden, haben
und die crutige Vorstellung des „Reigen“ werde statt¬
ihre Dishung verwirklicht und durch einen Sturm¬
finden.
angriff auf die Kammerspiele die gestrige Vorstellung
Die Polizei läßt durch ihre Korrespondenz berichten:
vereitelt. Dabei spielten sich Szenen ab, die erkennen
Ohne Störung wurden die beiden ersten Bilder
lassen, daß der ganz im Stile der Wildwestmanieren
aufgeführt. Im dritten Bilde machte sich schon einige
arrangierte Angriff von langer Hand planmäßig vor¬
Unruhe geltend. Im vierten Bilde wurde es im Hausa¬
bereitet war.
noch unruhiger und plötzlich wurde eine Stinkbombe
Ueber die Vorfälle wird uns berichtet: Die gestrige
geworfen, die einen durchdringenden Geruch verbreitete.
„Reigen“=Aufführung wurbe durch einen planmäßig
Sie war mit Schweselwasserstoffgas gesüllt. Ein Herr
arrangierten Skandal der Christlichsozialen, wie man
aus dem Publikum bezeichnete dem diensthabenden
ihn in Wien noch nicht erlebte, vereitelt. Schon während
Polizeikommissär Dr. Müller den Werfer, einen Ober¬
bes Anfanges der Vorstellung hatten sich im Parterre
offizial, und Dr. Müller ließ ihn ins Inspektions¬
junge Leute eingesunden, die Stinkbomben warfen. Den
zimmer kommen, um ihn protokollarisch einzuver¬
Theaterangestellten gelang es, durch Lüften und Des¬
nehmene Zu dieser Zeit hatten sich die Demonstronten
infektionsmittel den Gestank teilweise zu vertreiben.
auf der Straße schon vor dem Theatereingang gesam¬
Das Publikum wurde nervös und wöhrend der Auf¬
melt und plötzlich stürmten sie auf den befeuernden Ruf
führung verließen bereits einige Personen das Theater.
einer Frau in das Theater, überrannten den Kom¬
Inzwischen hatte sich vor dem Theazergehäude in
missär Dr. Müller und die fünf Sicherheitswachen und
der Rotenturmstraße eine dreihundertköpfige Menge von
drangen in den Theatersaal. Sie stürmten in Parkett
jungen Leuten angesammelt, die gesabe, als das 5. Bild
und Logen, warsen unter Pfuirufen und unter Lärm
des Reigen gespielt wurde, auf das Theutergebäude einen
die Sessel aus den Logen ins Parterre, schleuderten
Sturmangriff unternahmen. Die Türsteher und Bille¬
mit Teer gefüllte Eier gegen die Besucher und
teure wurden überwältigt und ein Teil der Exzedenten
gegen den eisernen Vorhang, der unterbessen herab¬
drang ins Parierre, wührend eine andere Gruppe in
gelassen worden war und zwangen durch ihr gewalttätiges
die Logengänge stürmte. Im Publikum entstand eine
Vorgehen die Besucher des Hauses zur Flucht. Ein
Panik und alles flüchteté.
Teil floh auf die Bühne, ein Teil in die Nebenräume,
In dielem Augenblick bombardierten die Rowdies
wobei sie ein förmliches Spießrutenlaufen zu
aus den Logen den Zuschauerrawn mit Logensesseln.
bestehen hatten. Kommissär Dr. Müller hatte rasch
Durch dieses Bombardement wurde die Panik natur¬
Verstärkung an Sicherheitswache herbeiholen lassen. Auch
gemäß noch erhöht und wie wahnsinnig flüchtete das
die Feuerwehr, die verständigt worden war, rückte an
Publikum aus dem Theater. Durch die Sesselwürfe
und unterstützte die Sicherheitswache bei der Räumung
wurden zahlreiche Personen verletzt.
des Theaters. Dabei öffnete die Feuerwehr die
Hydranten und richtete die Strahlen des
Im Parterre halte sich unterdessen ein regelrechter
Wassers gegen die Eindringlinge. Die Räu¬
Kampf entwickelt. Die Nowdies leisteten sich den Witz,
mung des Hauses vollzog sich sehr rasch. Auch aus der
auf das flüchtende Publikum mit Stöcken loszuschlagen,
Rotenturmstraße wurden die Demonstranten abgebrängt.
wobei zahlreiche Theaterbesucher blutiggeschlagen wur¬
Bei den stürmischen Szenen wurden fünf Arre¬
den. Das Publikum flüchtete aus dem Theater¬
tierungen vorgenommen, sie betreffen einen Kommis,
gebäude, um in den angrenzenden Häusern Schutz zu
einen Tapezierergehilfen, einen Schuhmachergehilfen,
suchen. Hiebei wurden von den sittlich empörten Rowdies
einen Zahntechnikerlehrling und einen Studenten der
die Garderoben geplündert und zahlreiche Pelze und
Medizin.
Winterröcke gestohlen. Erst jetzt erschien genügend Polizei
Die Nachtvorstellung verboten.
am Kampfplatze, um rasch zu handeln. Vor dem Theater
kam es zu neuerlichen Raufereien, wobei einige Ver¬
Abends hätte eine zweite „Reigen“=Aufführung
haftungen vorgenommen wurden.
stattfinden sollen. Auf Vorstellungen des Feuerwehr¬
Die Orel=Garde zog, nachdem sie ihrer sittlichen
kommandos, das bei der Bauart des Theaters auf die
Entrüstung genügend Betätigung geschafft hatte, sieg¬
unabsehbaren, allfälligen Folgen einer Panik hinwies,
reich ab.
hat die Polizeibehörde aus Gründen der persönlichen
Die Vorstellung konnte selbstverständlich nicht zu
Sicherheit der Besucher die heutige Nachtvorstel¬
gesolelt werhen Direktor Vernau erklärt, er¬
ung des „Reigen“ untersagt.