II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 373

11. Reigen
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A Jahungom
9 Millionen Dollar?
Der Krneste „Krigen=Staubat.
Der gestrige Sturm aut die Kammerspiele. — Wo
war die Polizei? — Dr. Schuter bei der Vor¬
stellung. — Ein endgültiges polizeiliches Verbot?
Die gestrigen Szenen vor den Kammerspielen werden ver¬
mutlich nicht ohne Folgen bleiben. Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß das Polizeipräsidium heute vormittag im eigenen Wirkungs¬
kreis, unbekümmert um die zwischen Wien=Land und Re¬
gierung schwebenden Differenzen, aus sicherheitspolizeilichen
Gründen die Fortsetzung der Aufführungen des „Reigen
in den Kammerspielen verbieten und der nun seit einer Woche
dquernden Diskussion in der Oeffentlichkeit ein Ende zu machen
versuchen wird. Es ist ebenso fraglos, daß, wenn eine solche Ver¬
fügung der Polkzei erfließen sollte, diese von jenen Stellen, die
für die Freiheit des Wortes und gegen den Muckerterror der
Straße kämpfen, nicht widerspruchslos hingenomen werden wird.
Der Gründe, die die Sozialdemokraten veranlassen könnten, die
gestrigen Demonstrationen als eine vis major für die Polizei
gelten zu lassen, gibt es genug: es ist schon heute ziemlich ein¬
wandfrei festgestellt, daß diese Skandale von langer Hand vor¬
bereitet wurden, ohne daß sich die Polizei veranlaßt gesehen hätte,
die nötigen Gegenmaßnahmen zu treffen.
In gestrigen Versammlungen, die mit den Skandalmachern
nichts gemein hatten, konnte man schon in den ersten Nachmittag¬
stunden hören,
daß heute beim „Reigen“ etwas los sein werde.
Es ist unwahr, wenn ein offiziöser Bericht versichert, daß
sich unmittelbar vor der Vorstellung vor dem Theater keinerlei
Ansammlungen gebildet hatten und daß der Einbruch von etwa
150 Menschen in den Theatersoal ganz plötzlich und un¬
vermittelt kam. Es ist weiter wahr, daß in einer nachmittags im
alten Rathaus abgehaltenen Versammlung des Antisemiten¬
bundes und der Frontkämpfervereinigung,
zu der die Polizei selbstverständlich Zutritt hatte, ganz
offen von einem festgelegten Plan,
von seinen einzelnen Details gesprochen
wurde, die Abendvorstellung des „Reigen“ zu stören,
ohne Schonung gegen das Gebäude und
das Theaterpublikum vorzugehen und auf
diese Weise gewaltsam den Schluß der „Reigen“=Aufführungen zu er¬
zwingen. Dr. Artur Schnitzler, der gestern abend zum Beginn der
Vorstellung ins Theater kam, wurde, als er das Haus betrat, von
einer Schauspielerin mit der Bemerkung apostrophiert:
„Gerade heute kommen Sie ins Theater?“
Dies in einem Augenblick, in dem von einem Skandal im
Theater noch keine Spur war. Und all das soll die
Polizei nicht gewußt haben, und all dies soll
sie nicht veranlaßt haben, mehr als die obligaten
fünf Mann vor und im Theater postiert zu
haben, um Eindringlingen von der Brutalität,
wie sie gestern bewiesen wurde, entgegenzutreten? Wenn
schon, wie in gewissen Kreisen behauptet wird, die glatte Ab¬
wicklung dieses Skandals von der Polizei geduldet wurde,
um eben hinterher den Vorwand für das Verbot zu haben, ist
da von keiner Seite daran gedacht
worden, daß Leben und Sicherheit der
im Theater anwesenden Besncher durch
Exzesse von derartiger Brutalität,
auf das Ernsteste gefährdet waren. Und glaubt
die Polizei nicht, daß sie unbekümmert um ihre Auffassung über
Moral und Unmoral des „Reigen“ ver¬
pflichtet ist, alles zu unternehmen, um in
solchen Fällen Leben und Gesundheit von
Wiener Staatsbürgern zu schützen?
Es wird also mit dem glatten Verbot der Polizei keines¬
wegs sein Bewenden haben. Wir können es also erleben, daß
der öffentliche Krawall, der nun laut und lang
genug angedauert hat, nan abgeflaut war, ausgerechnet
wegen des „Reigen“ neuerlich an¬
geht. Daß übrigens aller Anlaß besteht, diesen Terror der
Straße in diesem Fall nicht ohne weiters gelten zu lassen,
kann man all denen nachfühlen, die sich dagegen zur Wehre