11. Reigen
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Donnerstag
Geite 2
setzen. Man braucht lediglich das Nationale jener an¬
zusehen, die, natürlich „moralisch entrüstet", in den
Theatersaal eindrangen und dann von der Polizei verhaftet wurden:
Ein Schuhmacher gehilfe, ein Tapezierergehilfe,
ein Kommis, ein Handelsakademiker und ein
Zahntechrikerlehrling. Diese also schöpften aus
ihrer literarischen Bildung, aus ihrer moralischen Weltanschauung
Mut und Kraft, sich an die Spitze einer Demonstration zu stellen,
die nicht mehr und nicht weniger zum Ziel
hat, als ein Theater klein und krumm
d
w
zu hauen, unbekümmert um das,
was dabei mit den Leuten drin geschieht.
Die Demonstranten, die plötzlich da waren und durch die offenen
ei
Türen ins Theater stürmten, entblödeten sich nicht, die schweren
A
Sessel aus den Logen und vond u Galerten
auf das in wilder Panik flüchet###de
Publikum zu werfen und dadurch seihst¬
verständlich eine Anzahl von Leuten zu ver letzeen.
Sie unterließen es nicht, sich vor die Eingangs= und Ausgangstür
zu stellen, um zu verhindern, daß die davonlaufenden Leute
das Freie erreichen. Sie leisteten sich den Spaß den Be¬
suchern, die in wilder Flucht davonliefen,
„das Bein“ zu stellen und gröhlend und
lachend sich an dem Bilde zu erfreuen, das
die auf dem Boden liegende über= und
aufeinanderpurzelnden Menschen ihnen
boten.
Diese Kultur, diese Moral ist wenig geeignet, als Sitten¬
richter oder als literarischer Richter genommen zu werden und zu
erreichen, daß man sich ihrem Diktat fügt. Man wird fa böcen,
zu welchen Mitteln sich die Polizei, die heute vormittag besondere
Ob sie es vor¬
Beratungen pflegt, entschließen wird.
ziehen wird, mit geringen Mitteln — sie brauchte bloß ihren
Wacheko on um zehn Mann zu stärken, also ungefähr den fünften
Teil der Mannschaft bei irgendeiner überflüssigen Raizsahauf¬
zubieten — um derartige Skandale unmöglich zu mache# oder
aber, ob sie das billigere und sicherlich ge¬
wissen Kreisen erwünschtere Mitter
wählen wird, die Vorstellungen zu ver¬
bieten.
Artur Schnitzler über die Demonstrationen.
Dr. Schnitzler, der gestern im Theater anwesend
war äußerte sich zu einem Journalisten über den Skandal
folgendermaßen:
„Ich kam während des fünften Bildes zufällig in das
Theater, um mit Direktor Bernau einige Einzelheiten zu
besprechen. Schon beim Betreten der Bühne rief mir eine
Schauspielerin zu: „Gerade heute kommen Sie?“ Ich fragte
erstaunt, ob heute ein so besonderer Tag sei, und in diesem
Augenblicke hörte ich schon von der Bühne her und auch von der
Straße ein wüstes Getöse. Die Zuschauer flüchteten
auf die Bühne und suchten von dort schreckensbleich einen
Ausgang zu erreichen. Inzwischen waren von den Bühnen¬
arbeitern schon die Hydranten in Tätigkeit gesetzt worden, um
die eindringenden Demonstranten von der Bühne zu verdrängen.
Die Garderoben der Schauspielerinnen waren völlig unter Wasser,
ebenso wie die Bühne. Das Publikum und die Demanstramen
hämmerten gegen den eisernen Vor
hang, um auf die Bühne zu gelangen, dieser hielt aber stand.
Weder den Schauspielein noch mir ist irgend etwas geschehen,
aber ich kann kaum genügend scharse Worte finden, um das Vor¬
gehen der Eindringlinge zu geißeln. Meine Empörung ist wohl
um so berechtigter, als die Demonstranten ohne Rücksicht auf die
unten weilenden Peisonen die schweren Logenbänke
von der Galerie in das Parterre stürzten;
jede einzelne dieser Bänke hätte genügt, einen Menschen zu er¬
schlagen.
Die gefährdete Garderobe.
Worauf es die Moralhelden abgesehen hatten.
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setzen. Man braucht lediglich das Nationale jener an¬
zusehen, die, natürlich „moralisch entrüstet", in den
Theatersaal eindrangen und dann von der Polizei verhaftet wurden:
Ein Schuhmacher gehilfe, ein Tapezierergehilfe,
ein Kommis, ein Handelsakademiker und ein
Zahntechrikerlehrling. Diese also schöpften aus
ihrer literarischen Bildung, aus ihrer moralischen Weltanschauung
Mut und Kraft, sich an die Spitze einer Demonstration zu stellen,
die nicht mehr und nicht weniger zum Ziel
hat, als ein Theater klein und krumm
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zu hauen, unbekümmert um das,
was dabei mit den Leuten drin geschieht.
Die Demonstranten, die plötzlich da waren und durch die offenen
ei
Türen ins Theater stürmten, entblödeten sich nicht, die schweren
A
Sessel aus den Logen und vond u Galerten
auf das in wilder Panik flüchet###de
Publikum zu werfen und dadurch seihst¬
verständlich eine Anzahl von Leuten zu ver letzeen.
Sie unterließen es nicht, sich vor die Eingangs= und Ausgangstür
zu stellen, um zu verhindern, daß die davonlaufenden Leute
das Freie erreichen. Sie leisteten sich den Spaß den Be¬
suchern, die in wilder Flucht davonliefen,
„das Bein“ zu stellen und gröhlend und
lachend sich an dem Bilde zu erfreuen, das
die auf dem Boden liegende über= und
aufeinanderpurzelnden Menschen ihnen
boten.
Diese Kultur, diese Moral ist wenig geeignet, als Sitten¬
richter oder als literarischer Richter genommen zu werden und zu
erreichen, daß man sich ihrem Diktat fügt. Man wird fa böcen,
zu welchen Mitteln sich die Polizei, die heute vormittag besondere
Ob sie es vor¬
Beratungen pflegt, entschließen wird.
ziehen wird, mit geringen Mitteln — sie brauchte bloß ihren
Wacheko on um zehn Mann zu stärken, also ungefähr den fünften
Teil der Mannschaft bei irgendeiner überflüssigen Raizsahauf¬
zubieten — um derartige Skandale unmöglich zu mache# oder
aber, ob sie das billigere und sicherlich ge¬
wissen Kreisen erwünschtere Mitter
wählen wird, die Vorstellungen zu ver¬
bieten.
Artur Schnitzler über die Demonstrationen.
Dr. Schnitzler, der gestern im Theater anwesend
war äußerte sich zu einem Journalisten über den Skandal
folgendermaßen:
„Ich kam während des fünften Bildes zufällig in das
Theater, um mit Direktor Bernau einige Einzelheiten zu
besprechen. Schon beim Betreten der Bühne rief mir eine
Schauspielerin zu: „Gerade heute kommen Sie?“ Ich fragte
erstaunt, ob heute ein so besonderer Tag sei, und in diesem
Augenblicke hörte ich schon von der Bühne her und auch von der
Straße ein wüstes Getöse. Die Zuschauer flüchteten
auf die Bühne und suchten von dort schreckensbleich einen
Ausgang zu erreichen. Inzwischen waren von den Bühnen¬
arbeitern schon die Hydranten in Tätigkeit gesetzt worden, um
die eindringenden Demonstranten von der Bühne zu verdrängen.
Die Garderoben der Schauspielerinnen waren völlig unter Wasser,
ebenso wie die Bühne. Das Publikum und die Demanstramen
hämmerten gegen den eisernen Vor
hang, um auf die Bühne zu gelangen, dieser hielt aber stand.
Weder den Schauspielein noch mir ist irgend etwas geschehen,
aber ich kann kaum genügend scharse Worte finden, um das Vor¬
gehen der Eindringlinge zu geißeln. Meine Empörung ist wohl
um so berechtigter, als die Demonstranten ohne Rücksicht auf die
unten weilenden Peisonen die schweren Logenbänke
von der Galerie in das Parterre stürzten;
jede einzelne dieser Bänke hätte genügt, einen Menschen zu er¬
schlagen.
Die gefährdete Garderobe.
Worauf es die Moralhelden abgesehen hatten.