II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 378

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11. Reigen
Sturm gegen die „Reigen“
Aufführungen.
die Abenpvorstellung unterbrochen. — Die Nachtvorstellung
polizeilich verhoten.
Die Verzeit zugkräftigste Abendvergnügung der
Schieher wurde heute uffangenehm gestört. Was läng
orauszusehen war, ist eingetroffen. Es kam zu einem
skandal während der „Reigen“=Aufführung in den
kammerspielen. Demonstranten unterbrachen die Abend¬
orstellung und erzwangen die Räumung des Theaters.
die Verantwortung für den Vorfall trifft jene Stelle,
ie in Außerachtlassung ihrer pflichtgemäßen Obsorge die
herausforderung des Volksempfindens durch
den
Reigen"=Skandal nicht nur duldete, sondern sogar noch
rotegierte; sie trifft den Bürgermeister und Landeshaupt¬
nann Reumann und seine Genossen, die ihn beraten
nd in seiner senilen Starrköpfigkeit unterstützt haben.
zei diesen mögen sich jene bedanken, die bei dem Akt
er Selbsthilfe christlicher junger Männer gegen das
ffentliche Aergernis der „Reigen“=Aufführungen unter
em Schutz der Sozialdemokraten vielleicht zu Schaden
jekommen sind.
Wir erhalten folgenden Bericht: Bis halb 8 Uhr
errschte vor dem Theater und im Theater vollkommene
Ruhe. Während des vierten Bildes kam plötzlich in die
Zuschauer Bewegung: Stinkbomben platzten im Theater¬
raum und erfüllten die Luft mit einem fürchterlichen
Gestank. Das Schieberpublikum geriet in große Nervosi¬
tät. Der Akt wurde abgebrochen und alle Türen geöffnet,
um die Räume auszulüften. Ueber allen Zuschauexn lag
eine bange Stimmung und alle fragten sich: „Was ist
los? Was wird geschehen?“ Ein junger Mann, der
Stinkbomben geworfen hatte, wurde festgenommen und
unter erregten Flüchen des Publikums vom Personal des
Theaters weggeführt. Vor dem Theater hatte sich mittler¬
weile nichts Auffallendes ereignet. Nur sah man größere
und kleinere Gruppen von Leuten, die ihrem Aussehen
nach durchaus nicht zum Publikum der Rotenturmstraße
zu gehören schienen. Sie marschierten in den umliegenden
Gassen ruhig auf und ab und niemand ahnte, was in
wenigen Minuten geschehen sollte. Plötzlich schrillte durch
die Straßen ein gellender Pfiff und wie auf ein Kom¬
gegen die Eingänge des Theaters. Unter Hurro waren
in wenigen Sekunden die Eingänge gestürmt. Die Massen
ergossen sich über die Stiegen hinunter in den Zuschauer¬
raum. Dort hatte unterdessen das Spiel wieder seinen
Fortgang genommen, als der Lärm von der Gasse herein¬
drang. Das Licht wurde aufgedreht und mit bangem
Schrecken und bleichen Gesichtern sahen die Zuschauer,
die sich in ihrer Mehrheit aus Frauen (auch ein Zeichen
der Zeit!) zusammensetzten, die jungen Burschen ein¬
den Logen wurden Sessel auf die Ein¬
dringlinge geschleudert, wodurch von diesen
mehrere erheblich verletzt wurden. Doch immer mehr De¬
monstranten kamen in den Saal, die mit lauter Stimme
die Zuschauer aufforderten, das Theater zu verlassen und
daran gingen, ihrer Forderung energischen Nachdruck zu
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Februar 1921
raum. Alle tieferen Stellen des Theaters standen bald bis
zu zwei Dezimetern unter Wasser. In dem Durchein¬
ander, das durch das Hereinfluten des Wassers entstand,
wurde die genannte Verbindungstüre geschlossen und von
innen verriegelt.
Während dieser Ereignisse war ein großes Wacheauf¬
gebot erschienen. Die Demonstranten vor dem Theater
wurden von der Wache abgedrängt und nun begannen
auch die im Theater befindlichen Demonstranten das
Theater zu verlassen. Bald waren der Zuschauerraum
und die Vorräume leer. Nur in den Garderoben hingen
hinter den händeringenden Garderobefrauen kostbare
Pelz und herrliche Mäntel, die von ihren Besitzern im
Stiche gelassen worden waren. Als die Luft rein war,
krochen aus den verschiedenen Verstecken verschüchterte
Leute hervor und suchten mit oder ohne Garderobe das
Weite.
Die Rotenturmstraße bot um halb neun Uhr bereits
wieder ein friedliches Bild. Die Demonstranten waren
unter der Absingung des Liedes: „Der Gott, der Eisen
wachsen ließ“ nach verschiedenen Richtungen abgezogen.
Im Café=Restaurant „Habsburg“ hat es vorher noch
eine kleine Panik gegeben, als den Gästen das Geschehene
bekannt wurde. In kurzer Zeit waren die Lichter des
Cafés verlöscht, die Musik verstummt, die Fenster ver¬
hängt und die Gäste geflüchtet.
In der Umgebung der Kammerspiele und in der
ganzen „Inneren Stadt“ war das Ereignis der
„Reigen“=Sprengung bald allgemeiner Gesprächsstoff.
Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde das
Vorgefallene mit lebhaftester Befriedigung zur Kennt¬
nis genommen. Ueberall war man sich darüber einig.
daß die Aufführung des „Reigen“ eine Schande für
Wien und daß die Verhinderung der Aufführung dieses
Stückes die Erfüllung einer allgemeinen Forderung des
Volkswillens entspreche. Das Schieberpack, das die
„Reigen“=Vorstellungen bevölkerte, war der Gegenstand
nicht gerade zärtlicher Bemerkungen und die Betpoffenen
drückten sich eiligst vor den Gruppen, die in lebhaftem
Gespräche ihren Meinungen freien Lauf ließen. Einige der
Ausländer, die in Wien ihre dunklen Geschäfte machen
und die auch aus der Vorstellung verjagt wurden und
darüber sehr entrüstet taten, wurden, als sie sich äußerten,
daß Oesterreich diesen Vorfall bitter werde büßen müssen,
von der empörten Menge entsprechend zurechtgewiesen.
Eigentumsdelikte sind, wie das Personal
des Theaters einstimmig zugab, nicht zu verzeich¬
nen gewesen.
Bei den Vorfällen wurden, wie die Polizeikorre¬
spondenz meldet, fünf Personen arretiert. Die Nacht¬
vorstellung, die um 10 Uhr beginnen sollte, wurde
polizeilich verboten.
Eie geiulicher Zwischenfall auf dem