II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 387

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11. Reigen
I7. ELoaUse
Gesterreschlsche
Volks-Zeitung.
Eine gesprengte „Reigen“= Vorstellung.
Große Tumuliszenen in den Kammerspielen. — Verwüstungen im Theater.
Demonstrakionen auf der Straße. — Zusammenstöße mit der Wache.
Die weiteren Vorstellungen in Frage gestellt.
Die estrige Ahendvotstellung des schauerraum eine Stinkbombe auf den hu߬
boden geworsen, die mit Schwesel¬
„Reige“ konnte nicht zu Ende geführt
wasserstoff gefüllt war und einen pene¬
werden; Demonstranten drangen in das
tranten Geruch verbreitete. Ein Mann, der
Theater, es kam zu wilden Tumuli¬
sich an dieser Stelle zur kritischen Zeit gebückt
szenen, wie sie in der Wiener Theater¬
hatte, wurde als der bezeichnet, der die Stink¬
vombe geworsen hatte. Er wurde durch den
geschichte ohne Beispiel dastehen. Die Be¬
den Dienst versehenden Kriminalbeamten ins
ucher wurden aus dem Theater
Inspektionszimmer gebracht. Gleich darau
gedrängt, wobei sich Schlägereien
entstand der Tumult. Die Turen des
entwickelten. Einige Theaterbesucher erhielten
Theatersaales wurden geöffnet, um den üblen
nicht unerhebliche Verletzungen. Das
Geruch hinausströmen zu lassen. In diesem
Glas der Eingangstür wurde eingedrückt. Die
Augenblick wurden aber auch schon die Rufe
kleine Gasse bei den Kammerspielen war
von der Straße aus hörbar, und da begannen
von einer tobenden, entfesselten Menge er¬
im Theater die Demonstrationen. An der
füllt. Erst nach einiger Zeit konnte die
Spitze der Demonstranten stand ein als
Sicherheitswache dem Trubel ein Ende
Natienalrat bezeichneter Theatergast.
Die im Theater befindlichen Teilnehmer der
machen. Einige Personen wurden verhaftet.
Kun gebung riefen die Worte: „Weg mit
Die Nachtvorstellung, die um
diesem Schiebergesindel! Hinaus
10 Uhr hätte stattfinden sollen, mußte über
mit dieser Schweinerei!“
Einschreilen der Feuerwehr abgesagt
Mittlerweile hatten die von der Straße
werden.
aus emgedrungenen Demonstranten einen
Nachstehend die uns zugekommenen
neuen Sturmlauf gegen die im Theater¬
Meldungen:
soher aufgestellten wenigen Wachleute unter¬
nommen. Unter Geschrei drang die Menge
Die Vorstellung abgebrochen.
ins Parierre und in die Logen. Von den
Tumultszenen auf der Straße.
Logen aus warsen sie zusammengeballte
Die schon seit einigen Tagen gehegten
Papiere, die mit Teergetränkt
Vermutungen wegen der Aufführungen des
waren, in den Zuschauerraum, und auch
„Reigen“ haben sich während der gestrigen
Eierschalen, deren Inneres mit
Abendvorstellung erfüllt. Es kam zu wüsten
Teer ausgefüllt war. Auch Stühle
Szenen, wie sich solche in einem Wiener
wurden von den Logen aus in den Zuschauer¬
Theaternoch nie abgespielt haben. Im
raum sowohl als auf die Bühne geschleudert
Zuschauertaum waren Demonstranten an¬
Die Panik im Zuschauerraum.
wesend, die darauf warteten, bis die anderen
Unter solchen Umständen mußte natürlich
Gruppen der Demonstranten, etwa 600 Per¬
ab¬
ofort
sonen, die verabredetermaßen von der Straße
die Vorstellung
gebrochen werden. Die Schauspielermn
aus in das Theater eindringen sollten, den
Marietta Olly, die eben auftreten sollte, wurde
Zuschauerraum erreicht hatten.
von einem Weinkrampf befallen, der
Es kam zu Kämpfen zwischen den Demon¬
Vorhang mußte herabgelassen werden, und
stranten, der Wache, dem Theaterpersonal und
auch gegen den herabgelassenen Vorhang
dem Publikum, zu Verwüstungen im
wurden noch Stühle und mit Teer gefüllte
Theatergebäude, zu Zertrümmerungen
von Fenstern, Sesseln, Musik¬
Eierschalen geschleudert.
nstrumenten, wie auch zu tätlichen
Des Publikums hatte sich eine furcht¬
Mißhandlungen von Theater¬
bare Panik bemächtigt. Das Wacheaufgebot

esuchern, Männern und Frauen, die g
erwies sich als zu schwach, um dem Treiben
chlagen und bei den Haare
der Demonstranten Einhalt zu tun. Die Leute
jezerrt wurden. Die Vorstellung
stürmten aus den Sitzreihen, um sich in
nußte abgebrochen werden und die
Sicherheit zu bringen. Sie ließen ihre
Lumultszenen im Theatergebäude selbst führten
Garderobe im Stich. Nur mit Mühe gelang
eine Panik der Theaterbesucher herbei, die
es den Theaterbediensteten, die in den
ich zu flüchten oder in Verstecken zu sichern
Garderoben abgegebenen Kleidungs¬
In
versuchten.
stücke vor Verwüstungen zu schützen.
Die Panik vermehrte sich noch dadurch,
großer Angst suchten die Theaierzuschauer
aß sich plötzlich ein Wasserstrahl
allerlei Verstecke auf. Sie versuchten auch,
iber den Zuschauerraum ergoß,
auf die Bühne selbst zu gelangen, deren Tür
nachdem einer der Demonstranten den
geschlossen
aber aus Sicherheitsgründen
jächst der Bühne befindlichen Hydranten
werden mußte, nachdem dort ein kleiner
lusgedreht und das Mundstück des
Teil der geflüchteten Zuschauer Schutz ge¬
Schlauches gegen den Zuschaler¬
funden hatte. Ein anderer Teil fand in den
taum gerichtet hatte. Nachdem die Sicher¬
8.
Harderoben der Darsteller Unterste
heitswache Verstärkung erhalten hatte, konnte
Im Saale wurde eine förmliche
das Theatergebäude geräumt
Jagd auf die Flüchtenden veranstaltet,
werden; die Tumultizenen auf der Straße
Männer, die ihre bedrohten Frauen
dauerten noch eine Zeitlang fort, doch schließlich
beschützen wollten, wurden geprügelt,
gelang es der Wache, die Demonstranten gegen
viele von ihnen durch Hiebe mit Stocken
oberen Teil der Rotenturmstraße
den
Alagringen verient.


olssenuss

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Darsteller verllaßen dann che Garderoben.
Bielen durch Mißhandlungen Verletzten hat
ein im Theater anwesender Arzt Hüft ge¬
leistet.
Der Thlatersaal selbst bet ein
Büd der Verwüstung Der Vorhang zeigte
noch die schwarzen Flecke von den mit Teer
gefüllten Eierschalen, die gegen ihn geschleudert
worden sind. Auf der Rampe lagen noch
einige zerbrochene Stühle, die man hier hin¬
geworsen hatte. Die auf dem Fußboden fest¬
genagelt gewesene Leiste einer Sitzreihe war
weggerissen. Der vordere Teil des Zu¬
chauerraumes war mit Wasser
überflatet. Noch höher stand das Wasser
in dem Zugang zum Bühnenraum. Im Wasser
chwammen die Bestandteile einer Baßgeige,
und auch sonst gab es überall Trümmer und
Spuren der Verwüstungen.
Mitteitungen von Zuschanern.
Mit Stinkbomben und Knüppeln.
Ein Theauerbesucher gab einem unserer
Mitarbeiter die folgende Darstellung der
gestrigen Vorgänge:
Als ich das Theatergebäude betrat, ver¬
spürte ich im Vestibül Schwefelwasserstoffgeruch.
Ich beachtete die Sache weiter nicht und begab
mich auf meinen Platz. Eine gewisse Unruhe
m Zuschauerraum war wohl schon zu Beginn
der Vorstellung zu bemerken, doch erfolgte bis
zur vierten Szene keine Störung der Vor¬
stellung. Plötzlich erhoben iich einzelne Theaier¬
Stinkbomben
besucher von ihren Pläten —
verbreiteten eine unertiägliche Atmosphäre.
Gleichzeitig drang von der Straße herein das
Gesohle von Demonstranten. Jetzt wußte man,
wieviel es geschlagen habe. Nichtsdestoweniger
nahm die Vorstellung ihren Fortgang. Das
Bild konnte noch zu Ende gespielt werden.
Kaum hatte jedoch die Darstellung der
fünften Szene begonnen, als das Gejohle von
der Straße her immer durchdringender wurde,
und im nächsten Augenblick Leute von außen
her in den Zuschauerraum und auch auf die
Bühne eindrangen. Siebzehn= bis Zwanzig¬
jährige und zum Teil noch jüngere schwangen
mitten im Zuschauerraum Latten und
K nüppel, beschimpften und bedrohten die
Theaterbesucher und drängten sie unter Püffen
hmaus. Es entstand eine Panik und, da ein¬
zelne Zuschauer sich zur Wehr zu setzen ver¬
uchten, wäre es zu Zusammenstößen gekommen,
wenn nicht die Hydranien geöffnet
und das Haus unter Wasser gesetzt
worden wäre. Jetzt leerte sich das Parkett,
das bald überschwemmt war, rascher, und ein
um so beängstigenderes Gedränge entstand in
der Garderobe und im Bestibül. Es gelang
den wenigsten, in der allgemeinen Aufregung
zu ihren Oberkleidern zu gelangen. Herren
ohne Winterrock und Damen in leichter Abend¬
t#ilette flüchteten auf die Straße und in die
Nachbarhäuser.
Alle Vorstellungen ausverkauft.
Ein anderer Besucher schilderte die Vor¬
fälle folgendermaßen: Sämtliche Vorstellungen
des „Reigen“ bis Montag abends waren aus¬
verkauft, und man glaubte deshalb im Theater
nicht, daß aus dem Zuschauerraum selbst
Störungen erfolgen könnten. Unter den Be¬
suchern der gestrigen Vorstellung fielen aber
unge Burschen, die besonders auf den billigeren
Sitzen gaßen, auf und diese bereiteten die
Demonstrationen vor. In der vierien Szene
kam es zu den ersten wesentlichen Störungen.