Tumuliszenen auf der Straße.
Die schon seit einigen Tagen gehegten
Vermutungen wegen der Aufführungen der
„Reigen“ haben sich während der gestrigen
Abendvorstellung ersüllt. Es kam zu wüste
Szenen, wie sich solche in einem Wienen
Theater noch nie abgespielt haben. Im
Zuschauerraum waren Demonstranten an
wesend, die darauf warteten, bis die anderer
Gruppen der Demonstranten, etwa 600 Per¬
onen, die verabredetermaßen von der Straße
aus in das Theater eindringen sollten, dei
Zuschauerraum erreicht hatten.
Es kam zu Kämpfen zwischen den Demon¬
stranten, der Wache, dem Theaterpersonal und
dem Publikum, zu Verwüstungen im
Theatergebäude, zu Zertrümmerungen
von Fenstern, Sesseln, Musik¬
nstrumenten, wie auch zu tätlichen
Mißhandlungen von Theater¬
esuchern, Männern und Frauen, die ge¬
chlagen und bei den Haaren
ezerrt wurden. Die Vorstellun
nußte abgebrochen werden und die
Tumultszenen im Theatergebäude selbst führten
ine Panik der Theaterbesucher herbei, die
ich zu flüchten oder in Verstecken zu sichern
Die Pansk vermehrte sich noch dadurch
aß sich plötzlich ein Wasserstrahl
ber den Zuschauerraum ergoß
nachdem einer der Demonstranten den
ächst der Bühne befindlichen Hydranten
rufgedreht und das Mundstück des
Schlauches gegen den Zuschauer¬
raum gerichtet hatte. Nachdem die Sicher
eitswache Verstärkung erhalten hatte, konnte
das Theatergebäude geräum
werden; die Tumultizenen auf der Straße
dauerten noch eine Zeitlang fort, doch schließlich
zelang es der Wache, die Demonstranten gegen
oberen Teil der Rotenturmstraße
en
abzudrängen. Die Leute zogen geschlossen bis
zum Stephansplatz und fangen während des
Marsches deutschnationale Lieder.
Auf dem Stephansplatz forderte die
Sicherheitswache die Demonstranten zur Auf¬
lösung des Zuges aus. Ein Mann, der die
Kundgebungen mit dem Signal einer Sirenen¬
pfeife dirigiert hatte, hielt hier eine kurze An¬
sprache, in der er ausführte, daß der Zweck
erreicht sei und daß die Teilnehmer nun nach
Hause gehen mögen, welcher Aufforderung auch
Folge geleistet wurde.
Die Vorgänge im Theater.
Besucher mit Stinkbomben. — Der Sturm
auf das Haus.
Die Abendvorstellung begann in vollster
Rühe. Es hatten sich aber bereits Gerüchte
verbreitet, daß es zu Kundgebungen kommen
würde, und es hieß, daß Gegner der Auf¬
ührungen Sitze gekauft hätten. Eine gewisse
Unruhe entstand schon während der ersten
Dialoge, als ein scharser Geruch sich bemerkbar
machte, der auf Stinkbomben zurück¬
geführt wurde. Man versuchte diesem üblen
Geruche durch Ausspritzen von Desinfektions¬
mittein zu begegnen.
Die Aufführung war bis za dem Dialog
„Junger Herr und junge Frau“ gediehen
Plötzlich horte man von der Rotenturmstraße
aus und aus dem Vorraum des Theaters
Sirenenpfiffe und laute Hurrarufe. Es hatten
sich nämlich in der Umgebung des Theaters
etwa 600 junge Leute aupesammelt, gegen
deren Ansturm die zehn vor dem Theater auf
machtlos
gestellten Sicherheitswachmänner
waren. Sie wurden überrannt, und auch
auf die Wachleute wurde mit Stöcken und
Knütteln losgeschlagen. Die Wacht versuchte,
die Türen, die zum Vorraum des Theaters
führen, besetzt zu halten, doch auch hier konnter
ie dem Sturmlauf der Demonstranten nicht
standhalten. Klirrend gingen zwei der großen
Spiegelscheiben in Trümmer.
„Weg mit dem Schiebergefindel!“
Bei der Vorstellung waren inzwischer
einzelne Mißbilligungsrufe laut geworden
Während des vierten Dialoges wurde im Zu¬
ins Parterre und in die Logen. Von den
ogen aus warsen sie zusammengeballt
Papiere, die mit Teergetränk
waren, in den Zuschauerraum, und auch
Eierschalen, deren Inneres mit
Teer ausgefüllt war. Auch Stühle
wurden von den Logen aus in den Zuschauer
aum sowohl als auf die Bühne geschleudert
Die Panik im Zuschauerraum.
Unter solchen Umständen mußte natürlich
a b¬
sofort
die Vorstellung
gebrochen werden. Die Schauspielerin
Marietta Olly, die eben auftreten sollte, wurde
von einem Weinkrampf befallen,
Vorhang mußte herabgelassen werden, unc
uuch gegen den herabgelassenen Vorhan
vurden noch Stühle und mit Teer gefüllte
Eierschalen geschleudert.
Des Publikums hatte sich eine furcht¬
bare Panik bemächtigt. Das Wacheaufgebot
erwies sich als zu schwach, um dem Treiben
er Demonstranten Einhalt zu tun. Die Leute
türmten aus den Sitzreihen, um sich in
Sicherheit zu bringen. Sie ließen ihre
Garderobe im Stich. Nur mit Mühe gelang
den
es den Theaterbediensteten, die in
gs¬
Garderoben abgegebenen Kleidun
In
tücke vor Verwüstungen zu schützen.
großer Angst suchten die Theaterzuschauer
illerlei Verstecke auf. Sie versuchten auch
auf die Bühne selbst zu gelangen, deren Tür
aber aus Sicherheitsgründen geschlossen
werden mußte, nachdem dort ein kleine
Teil der geflüchteten Zuschauer Schutz ge¬
unden hatte. Ein anderer Teil fand in den
8.
arderoben der Darsteller Untersta
Im Saale wurde eine förmliche
Jagd auf die Flüchtenden veranstaltet,
Männer, die ihre bedrohten Frauer
beschützen wollten, wurden geprügelt
viele von ihnen durch Hiebe mit Stocken
und mit Schlagringen verletzt.
Weibliche Theaterbesucher wurden bei den
Haaren zu Boden gerissen und
geschleift. Während der Panik stürzten einzelne
Personen zu Boden und wurden durch Fu߬
tritte mißhandelt.
Die Hilferafe der Geängstigten wit
auch die der Mißhandelten erfüllten den Saal
und dazwischen mengte sich der so grelle Pfiff
der Sirene, die das Kommando war, und
das Gejohle der Demonstranten, die durch all
Teile des Theaters umherliefen und mit ihren
Stöcken losschlugen, wohin sie trafen.
Die Räumung des Hauses.
Sieben Personen verhaftet.
Unterdessen hatte die Sicherheits
wache von der Wachstube in der Postgass
Verstärkung erhalten, und unterstützt vor
den im Theater den Dienst versehenden
Feverwehrleuten wie aulch von den
Bühnenarbeitern, wurde an die
Räumung des Saales geschritten. Als die Ver
stärkung der Wache kam. gab der Führer der
Kundgebungen das Kommando zum Rückzug.
Auch während der Räumung des Saales
spielten sich noch immer Kämpfe zwischen De¬
nonstranten und Theaterbesuchern ab.
Es wurden sieben Personen darch
die Wache angehalten, die Personer
nißhandelt hatten und im Besitz von schwerer
Knütteln angetroffen worden sind. Die An¬
gehaltenen sind ein Handelsakademiker, ein
Techniker, ein Mediziner, ein Handlungsgehilfe,
ein Tapezierergehilfe, ein Schuhmachergehilfe
ind ein Zahntechnikerlehrling. Die Angehaltenen
wurden dem Polizeikommissariat Innere Stadt
überstellt und dort nach Feststellung ihres
Nationales wieder entlassen.
Die Verwüstungen in den Kammerspielen.
Die Theaterbesucher, die während der
Panik fluchtartig das Theater verlassen und in
umliegenden Straßen, in Nachbarhäusern, in
Kaffeehäusern und Restaurants Zuflücht gesucht
hatten, kehrten nun allmählich wieder zurück
im ihre in der Theatergarderobe verwahrten
Ueberkleider in Empfang zu nehmen. Auch die
besucher von ihren Plozen — Stinkbomben
verbreiteten eine unertiägliche Almosphäre.
GBleichzeitig drang von der Straße herein das
Gesohle von Demonstranten. Jett wüßte man,
wieviel es geschlagen habe. Nichtsdestoweniger
nahm die Vorstellung ihren Fortgang. Das
Bild konnte noch zu Ende gespielt werden.
Kaum hatte jedoch die Darstellung der
fünften Szene begonnen, als das Gejohle von
der Straße her immer durchdringender wurde,
und im nächsten Augenblick Leute von außen
her in den Zuschauerraum und auch auf die
Bühne eindrangen. Siebzehn= bis Zwanzig¬
ährige und zum Teil noch jüngere schwangen
nitten im Zuschauerraum Latten und
Knüppel, beschimpften und bedrohten die
Theaterbesucher und drängten sie unter Püssen
maus. Es entstand eine Panik und, da ein¬
zelne Zuschauer sich zur Wehr zu setzen ver¬
uchten, wäre es zu Zusammenstößen gekommen,
wenn nicht die Hydranten geöffnet
nd das Haus unter Wasser gesetzt
worden wäre. Jetzt leerte sich das Parkett,
das bald überschwemmt war, rascher, und ein
um so beängstigenderes Gedränge entstand in
er Garderobe und im Bestibül. Es gelang
den wenigsten, in der allgemeinen Aufregung
u ihren Oberkleidern zu gelungen. Herten
ohne Winierrock und Damen in leichter Abend¬
#ilette flüchteten auf die Straße und in die
Nachbarhäuser.
Ein anderer Besucher schilderte die Vor¬
älle folgendermaßen: Sämtliche Vorstellungen
des „Reigen“ bis Montag abends waren aus¬
verkauft, und man glaubte deshalb im Theater
licht, daß aus dem Zuschauerraum selbst
Störungen erfolgen könnten. Unter den Be¬
uchern der gestrigen Vorstellung fielen aber
unge Burschen, die besonders auf den billigeren
Sitzen gaßen, auf und diese bereiteten die
Demonstrationen vor. In der vierten Szene
am es zu den ersten wesentlichen Störungen.
inzelne Besücherriefen: „Skandal! Schweinerei!“
Ein Logenbesucher wies die Störer laut
zurecht und rief ins Publikum: „Wem es
nicht paßt, der soll hinaus¬
gehen!“ Nach dem vierten Bilde bemächtigte
ich des Publikums große Aufregung. Der
Geruch der Stinkbomben war, trotzdem mun
n den Zwischenpausen so gut es ging, gelüstet
hatte, immer intensiver geworden. Ein Stink¬
ombenwerfer wurde arretiert und Polizei¬
kommissär Dr. Müller nahm sein Natio¬
iale auf.
Nach kurzer Pause wurde das Spiel
wieder ausgenommen.
Im Zuschauerraum
wurde es aber immer unruhiger. Plötzlich sah
man, wie in die Logen, ins Parkett und auf
den Balkon junge Leute mit Hüten und
stappen auf dem Kopfe eindrangen und schrien,
daß das Theater geräumt werden müsse. Der
Zuschauerraum war nahezu ganz voll, da
wenige Minuten vorher der Direktionssekretär
der Kammerspiele Marseid vom Balkon
aus zur Ruhe ermahnt hatte und auf die
Sicherheit hingewiesen hatte, in der sich die Be¬
ucher befänden. Dann war es licht geworden.
Als die Demonstranten eingedrungen
waren, fiel der Vorhang und nach wenigen
Minuten sah man auch die eiserne Courtine
inaufziehen. Die Burschen, die in die Logen
eingedrungen waren, warfen nun die
Stühle auf das im Parkett be¬
indliche Publikum hinunter. Im
Parterre und auf dem Balkon kam es zu
Mißhandlüngen. So soll eine Frau
gewürgt worden sein. Die Demonstranten
warfen auch Teer gegen den eisernen Vor¬
hang, so daß er von oben bis unten beschmutzt
wurde.
Die Demonstranten stürmten auch in den
Bühnenraum ein, in dem sich zufällig
Artur Schnitzler, der aber von ihnen
unerkannt bliev, befand. Mehrere Demon¬
tranten drangen auch in die Damengarderobe,
als Bühnenarbeiter auf den Einfall
amen, die Hydranten zu öffnen. In
er Damengarderobe stand zentimeterpoch das
Wassen
Die schon seit einigen Tagen gehegten
Vermutungen wegen der Aufführungen der
„Reigen“ haben sich während der gestrigen
Abendvorstellung ersüllt. Es kam zu wüste
Szenen, wie sich solche in einem Wienen
Theater noch nie abgespielt haben. Im
Zuschauerraum waren Demonstranten an
wesend, die darauf warteten, bis die anderer
Gruppen der Demonstranten, etwa 600 Per¬
onen, die verabredetermaßen von der Straße
aus in das Theater eindringen sollten, dei
Zuschauerraum erreicht hatten.
Es kam zu Kämpfen zwischen den Demon¬
stranten, der Wache, dem Theaterpersonal und
dem Publikum, zu Verwüstungen im
Theatergebäude, zu Zertrümmerungen
von Fenstern, Sesseln, Musik¬
nstrumenten, wie auch zu tätlichen
Mißhandlungen von Theater¬
esuchern, Männern und Frauen, die ge¬
chlagen und bei den Haaren
ezerrt wurden. Die Vorstellun
nußte abgebrochen werden und die
Tumultszenen im Theatergebäude selbst führten
ine Panik der Theaterbesucher herbei, die
ich zu flüchten oder in Verstecken zu sichern
Die Pansk vermehrte sich noch dadurch
aß sich plötzlich ein Wasserstrahl
ber den Zuschauerraum ergoß
nachdem einer der Demonstranten den
ächst der Bühne befindlichen Hydranten
rufgedreht und das Mundstück des
Schlauches gegen den Zuschauer¬
raum gerichtet hatte. Nachdem die Sicher
eitswache Verstärkung erhalten hatte, konnte
das Theatergebäude geräum
werden; die Tumultizenen auf der Straße
dauerten noch eine Zeitlang fort, doch schließlich
zelang es der Wache, die Demonstranten gegen
oberen Teil der Rotenturmstraße
en
abzudrängen. Die Leute zogen geschlossen bis
zum Stephansplatz und fangen während des
Marsches deutschnationale Lieder.
Auf dem Stephansplatz forderte die
Sicherheitswache die Demonstranten zur Auf¬
lösung des Zuges aus. Ein Mann, der die
Kundgebungen mit dem Signal einer Sirenen¬
pfeife dirigiert hatte, hielt hier eine kurze An¬
sprache, in der er ausführte, daß der Zweck
erreicht sei und daß die Teilnehmer nun nach
Hause gehen mögen, welcher Aufforderung auch
Folge geleistet wurde.
Die Vorgänge im Theater.
Besucher mit Stinkbomben. — Der Sturm
auf das Haus.
Die Abendvorstellung begann in vollster
Rühe. Es hatten sich aber bereits Gerüchte
verbreitet, daß es zu Kundgebungen kommen
würde, und es hieß, daß Gegner der Auf¬
ührungen Sitze gekauft hätten. Eine gewisse
Unruhe entstand schon während der ersten
Dialoge, als ein scharser Geruch sich bemerkbar
machte, der auf Stinkbomben zurück¬
geführt wurde. Man versuchte diesem üblen
Geruche durch Ausspritzen von Desinfektions¬
mittein zu begegnen.
Die Aufführung war bis za dem Dialog
„Junger Herr und junge Frau“ gediehen
Plötzlich horte man von der Rotenturmstraße
aus und aus dem Vorraum des Theaters
Sirenenpfiffe und laute Hurrarufe. Es hatten
sich nämlich in der Umgebung des Theaters
etwa 600 junge Leute aupesammelt, gegen
deren Ansturm die zehn vor dem Theater auf
machtlos
gestellten Sicherheitswachmänner
waren. Sie wurden überrannt, und auch
auf die Wachleute wurde mit Stöcken und
Knütteln losgeschlagen. Die Wacht versuchte,
die Türen, die zum Vorraum des Theaters
führen, besetzt zu halten, doch auch hier konnter
ie dem Sturmlauf der Demonstranten nicht
standhalten. Klirrend gingen zwei der großen
Spiegelscheiben in Trümmer.
„Weg mit dem Schiebergefindel!“
Bei der Vorstellung waren inzwischer
einzelne Mißbilligungsrufe laut geworden
Während des vierten Dialoges wurde im Zu¬
ins Parterre und in die Logen. Von den
ogen aus warsen sie zusammengeballt
Papiere, die mit Teergetränk
waren, in den Zuschauerraum, und auch
Eierschalen, deren Inneres mit
Teer ausgefüllt war. Auch Stühle
wurden von den Logen aus in den Zuschauer
aum sowohl als auf die Bühne geschleudert
Die Panik im Zuschauerraum.
Unter solchen Umständen mußte natürlich
a b¬
sofort
die Vorstellung
gebrochen werden. Die Schauspielerin
Marietta Olly, die eben auftreten sollte, wurde
von einem Weinkrampf befallen,
Vorhang mußte herabgelassen werden, unc
uuch gegen den herabgelassenen Vorhan
vurden noch Stühle und mit Teer gefüllte
Eierschalen geschleudert.
Des Publikums hatte sich eine furcht¬
bare Panik bemächtigt. Das Wacheaufgebot
erwies sich als zu schwach, um dem Treiben
er Demonstranten Einhalt zu tun. Die Leute
türmten aus den Sitzreihen, um sich in
Sicherheit zu bringen. Sie ließen ihre
Garderobe im Stich. Nur mit Mühe gelang
den
es den Theaterbediensteten, die in
gs¬
Garderoben abgegebenen Kleidun
In
tücke vor Verwüstungen zu schützen.
großer Angst suchten die Theaterzuschauer
illerlei Verstecke auf. Sie versuchten auch
auf die Bühne selbst zu gelangen, deren Tür
aber aus Sicherheitsgründen geschlossen
werden mußte, nachdem dort ein kleine
Teil der geflüchteten Zuschauer Schutz ge¬
unden hatte. Ein anderer Teil fand in den
8.
arderoben der Darsteller Untersta
Im Saale wurde eine förmliche
Jagd auf die Flüchtenden veranstaltet,
Männer, die ihre bedrohten Frauer
beschützen wollten, wurden geprügelt
viele von ihnen durch Hiebe mit Stocken
und mit Schlagringen verletzt.
Weibliche Theaterbesucher wurden bei den
Haaren zu Boden gerissen und
geschleift. Während der Panik stürzten einzelne
Personen zu Boden und wurden durch Fu߬
tritte mißhandelt.
Die Hilferafe der Geängstigten wit
auch die der Mißhandelten erfüllten den Saal
und dazwischen mengte sich der so grelle Pfiff
der Sirene, die das Kommando war, und
das Gejohle der Demonstranten, die durch all
Teile des Theaters umherliefen und mit ihren
Stöcken losschlugen, wohin sie trafen.
Die Räumung des Hauses.
Sieben Personen verhaftet.
Unterdessen hatte die Sicherheits
wache von der Wachstube in der Postgass
Verstärkung erhalten, und unterstützt vor
den im Theater den Dienst versehenden
Feverwehrleuten wie aulch von den
Bühnenarbeitern, wurde an die
Räumung des Saales geschritten. Als die Ver
stärkung der Wache kam. gab der Führer der
Kundgebungen das Kommando zum Rückzug.
Auch während der Räumung des Saales
spielten sich noch immer Kämpfe zwischen De¬
nonstranten und Theaterbesuchern ab.
Es wurden sieben Personen darch
die Wache angehalten, die Personer
nißhandelt hatten und im Besitz von schwerer
Knütteln angetroffen worden sind. Die An¬
gehaltenen sind ein Handelsakademiker, ein
Techniker, ein Mediziner, ein Handlungsgehilfe,
ein Tapezierergehilfe, ein Schuhmachergehilfe
ind ein Zahntechnikerlehrling. Die Angehaltenen
wurden dem Polizeikommissariat Innere Stadt
überstellt und dort nach Feststellung ihres
Nationales wieder entlassen.
Die Verwüstungen in den Kammerspielen.
Die Theaterbesucher, die während der
Panik fluchtartig das Theater verlassen und in
umliegenden Straßen, in Nachbarhäusern, in
Kaffeehäusern und Restaurants Zuflücht gesucht
hatten, kehrten nun allmählich wieder zurück
im ihre in der Theatergarderobe verwahrten
Ueberkleider in Empfang zu nehmen. Auch die
besucher von ihren Plozen — Stinkbomben
verbreiteten eine unertiägliche Almosphäre.
GBleichzeitig drang von der Straße herein das
Gesohle von Demonstranten. Jett wüßte man,
wieviel es geschlagen habe. Nichtsdestoweniger
nahm die Vorstellung ihren Fortgang. Das
Bild konnte noch zu Ende gespielt werden.
Kaum hatte jedoch die Darstellung der
fünften Szene begonnen, als das Gejohle von
der Straße her immer durchdringender wurde,
und im nächsten Augenblick Leute von außen
her in den Zuschauerraum und auch auf die
Bühne eindrangen. Siebzehn= bis Zwanzig¬
ährige und zum Teil noch jüngere schwangen
nitten im Zuschauerraum Latten und
Knüppel, beschimpften und bedrohten die
Theaterbesucher und drängten sie unter Püssen
maus. Es entstand eine Panik und, da ein¬
zelne Zuschauer sich zur Wehr zu setzen ver¬
uchten, wäre es zu Zusammenstößen gekommen,
wenn nicht die Hydranten geöffnet
nd das Haus unter Wasser gesetzt
worden wäre. Jetzt leerte sich das Parkett,
das bald überschwemmt war, rascher, und ein
um so beängstigenderes Gedränge entstand in
er Garderobe und im Bestibül. Es gelang
den wenigsten, in der allgemeinen Aufregung
u ihren Oberkleidern zu gelungen. Herten
ohne Winierrock und Damen in leichter Abend¬
#ilette flüchteten auf die Straße und in die
Nachbarhäuser.
Ein anderer Besucher schilderte die Vor¬
älle folgendermaßen: Sämtliche Vorstellungen
des „Reigen“ bis Montag abends waren aus¬
verkauft, und man glaubte deshalb im Theater
licht, daß aus dem Zuschauerraum selbst
Störungen erfolgen könnten. Unter den Be¬
uchern der gestrigen Vorstellung fielen aber
unge Burschen, die besonders auf den billigeren
Sitzen gaßen, auf und diese bereiteten die
Demonstrationen vor. In der vierten Szene
am es zu den ersten wesentlichen Störungen.
inzelne Besücherriefen: „Skandal! Schweinerei!“
Ein Logenbesucher wies die Störer laut
zurecht und rief ins Publikum: „Wem es
nicht paßt, der soll hinaus¬
gehen!“ Nach dem vierten Bilde bemächtigte
ich des Publikums große Aufregung. Der
Geruch der Stinkbomben war, trotzdem mun
n den Zwischenpausen so gut es ging, gelüstet
hatte, immer intensiver geworden. Ein Stink¬
ombenwerfer wurde arretiert und Polizei¬
kommissär Dr. Müller nahm sein Natio¬
iale auf.
Nach kurzer Pause wurde das Spiel
wieder ausgenommen.
Im Zuschauerraum
wurde es aber immer unruhiger. Plötzlich sah
man, wie in die Logen, ins Parkett und auf
den Balkon junge Leute mit Hüten und
stappen auf dem Kopfe eindrangen und schrien,
daß das Theater geräumt werden müsse. Der
Zuschauerraum war nahezu ganz voll, da
wenige Minuten vorher der Direktionssekretär
der Kammerspiele Marseid vom Balkon
aus zur Ruhe ermahnt hatte und auf die
Sicherheit hingewiesen hatte, in der sich die Be¬
ucher befänden. Dann war es licht geworden.
Als die Demonstranten eingedrungen
waren, fiel der Vorhang und nach wenigen
Minuten sah man auch die eiserne Courtine
inaufziehen. Die Burschen, die in die Logen
eingedrungen waren, warfen nun die
Stühle auf das im Parkett be¬
indliche Publikum hinunter. Im
Parterre und auf dem Balkon kam es zu
Mißhandlüngen. So soll eine Frau
gewürgt worden sein. Die Demonstranten
warfen auch Teer gegen den eisernen Vor¬
hang, so daß er von oben bis unten beschmutzt
wurde.
Die Demonstranten stürmten auch in den
Bühnenraum ein, in dem sich zufällig
Artur Schnitzler, der aber von ihnen
unerkannt bliev, befand. Mehrere Demon¬
tranten drangen auch in die Damengarderobe,
als Bühnenarbeiter auf den Einfall
amen, die Hydranten zu öffnen. In
er Damengarderobe stand zentimeterpoch das
Wassen