II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 395

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11. Reigen
* Wien=Freitaa
— Ny 397
Nachtragliches zum
„Reigen“=Standal.
Bundesrat Dr. Kienböck und AR. Dr. Seipel
über das Verhalten der Marzisten. — Die
Austerlitz=Lippowitz=Presse unterm „Reigen“=
Banner.
In einer am Mittwoch abend, asso ungefähr zur
Zeit der Demonstration gegen die Schieber= und Ge¬
nossenunterhaltung im Rotenturmstraßentheater, abge¬
haltenen zahlreich besuchten Versammlung im Alten Rat¬
hause in der Wipplingerstraße, kam der erste Redner.
Bundesrat Dr. Kienböck, auf den „Reigen“=Skandal
zu sprechen und sagte:
Im Bun#esrat, dem für die Verständigung der
ist
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Länder untereinander große Bedeutung zukommt,
bisher noch kein böses Wort über Wien, am allerwenig
sten über das christliche Wien, gehört worden. Um so
mehr ist daher das Verhalten des Bürgermeisters Reu¬
mann als Landeshauptmann zu verurteilen. der wegen
der „Reigen“=Aufführungen einen Verfassungs¬
konflikt vom Zaune brach und damit in frivoler
Weise ein sehr bedenkliches Beispiel gab. Daß die Auf¬
führung des „Reigen“ zum Anlaß eines solchen Kon¬
fliktes wurde, gibt überhaupt zu denken. Hat denn
die Sozialdemokratie ein Interesse
baran, in Fragen der öffentlichen Sitt¬
lichkeit einen solchen Standpunkt einzu¬
nehmen? Ich habe das Gefühl, daß die Sozialdemo¬
zu dem¬
kratie sich merkwürdigerweise stets
jenigen hingezogen fühlt, das zer¬
setzend wirkt. Dieses Verhalten muß den schärfsten
Tadel herausfordern. Diejenigen, die den Sittlichkeits¬
wert der Arbeiterschaft hochstellen, müssen gerade für sie
die sittliche Erstarkung wünschen. Im Interesse der Ent¬
wicklung der Arbeiterschaft ist die Frage der Reinhal¬
tung des öffentlichen Lebens eine Frage
allerersten Ranges. Man sollte also eigentlich von der
Sozialdemokratie erwarten, daß sie geschlossen gegen
alles auftritt, was die öffentliche Sittlichkeit herabsetzt.
Die christlichsoziale Partei würde in dieser Veziehung
sicherlich keinen Widerstand leisten, sondern mit Freu¬
den ein solches, allerdings bisher bei den Sozialdemo¬
kraten noch nie beobachtetes Verhalten als höchst ver¬
dienstlich voll anerkennen.
Auch der nächste Redner, Abg. Dr. Seipel, kam
auf den „Reigen =Skandal zu sprechen und richtete an
die Sozialdemokraten die öffentliche Frage, ob sie denn
nichts Besseres wüßten, als immer wieder Skandale von
der Art der letzten Sturmszene im Parlamente zu ent¬
fesseln. Die kostbare Zeit in der obersten gesetzgebenden
Körperschaft müsse für andere Dinge reierviert bleiben.
In Anbtracht der Haltung einiger weniger Blätter be¬
dürfe es übrigens noch der ausdrücklichen Feststellung,
daß nicht die Parteien des Nationalrates als solche, son¬
die sattsam bekannten Szenen im Parlamente hervor¬
riefen.
Wiener Slimmen
Die „Arbeiter=Zeitung“ beschimpfte in ihrer gestrigen
Nachmittagsausgabe die Demonstranten gegen den
Reigen“ als „bezahlte Apachen“ als „wahre Platten¬
brüder“ als Diebe und Plünderer und im Bilde als
Kasseneinbrecher. Das ist halt so der Austerlitzjargon,
der Ton des Organes der gewesenen Staatssekretäre
Bauer, Renner, Ellenbogen, Deutsch usw. Auch das
heutige Morgenblat der „A.=Z.“ vermag sich über das
allabendlichen Schieberunterhaltung
Verbot der

in der Rotenturmstraße noch nicht zu beru¬
langem
was es seit
higen und macht,
bei jedem Anlasse zu sein pflegt, den Oberhirten der
Wiener Erzdiözese zur Zielscheibe von Jargonlaus¬
bübereien („Apachen des Kardinals“!) Das sozialdemokrati¬
che Zentralorgan hofft wohl, sich und der „Reigen“=
Kundschaft die Sympathien der Straße zu erwerben,
wenn es zur Rache für die Einstellung der Schieber¬
uinterhaltung sich im Zungenherausstrecken und in den
Grimassen der Kreuzwegjuden gegenüber dem Christentum
und dem Träger der kirchlichen Autorität produziert.
Es gibt damit zu verstehen, daß es Schwärmerei für
die „Reigen“=Moral insanity mit Christen= und Kirchen¬
haß gepaart weiß. Und da dürfte es ja recht haben.
Das Blatt droht am Schluße seiner Sammlung von
verbalem Unflat mit der Sprengungnicht¬
sozialdemokratischer Versamlungen
und Störung von Predigten in der
Kirche. Die „A.=Z“=Juden werden damit, das
kann ihnen jetzt schon gesagt werden, nicht viel
Glück haben. Für die perverse Gleichstellung
der Judenschweinerei des „Reigen“ mit politischen Ver¬
sammlungen oder gar mit kirchlichen Veranstaltungen
werden die Hetzer der A.=Z.“ in der Bevölkerung wenig
Verständnis finden und auch der marxistische Teil der
Arbeiterschaft dürfte die ihm zugedachte Rolle, Schutz¬
und Rachegarde der Schieberwelt zu sein, entschieden
ablehnen.
Zugleich mit dem sozialdemokratischen Zentralorgan
empört sich über das „Reigen“=Verbot auch das „Neue
Wiener Journal“, und zwar nicht etwa in jenem Teile
den die Masseusen und Damen verwandter Berufe mit
Beschlag zu belegen pflegen, sondern auf der damit dann
und wann ehrbar korrespondierenden Leitartikeiseite:
„Mag er (der „Reigen) züchtig oder unzüchtig, Kin¬
dern oder Erwachsenen gefährlich sein, mag man ihn
pielen oder nicht, das ist herzlichst gleichgül¬
ig“ verkündet das Blatt, das noch immer die einzige
Lektüre und Belehrungsquelle vieler Tausende Fami¬
lien ist. „Der Zahntechnikerlehrling und der Schuhmacher¬
lehrlug hätten sich nicht in ihrem sittlichen Gefübl durch
Theateraufführungen beleidigt zu fühlen. —####
Es dürfen, versteht sich, nur Theaterunternehmungen,
ie sich in eine Art Freudenhaus verwandeln, auf die
niedern Instinkte und auf — den Geldbeutel von Zahn¬
technikerlehrlingen spekulieren. Das, ja das ist erlaubt,
aber daß die Kundschaft Kritik übt und nicht die Wurzen
abgeben will, das ist unstatthaft. Von wegen der deut¬
chen Literatur natürlich, die mit Schnitzlers „Reigen
teht und fällt, und der Freiheit des „Geistigen“!
Man sieht, das „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und
Pharisäer“ hat in den neunzehn Jahrhunderten, vor
18. Februar
denen es den V
donnert worden
das Blatt schlie
Stinkbomben un
Gruppierung rich
die Geistigkeit des
bombenwürfe der