—
—
—
□
Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesministerium für
Inneres die Haltung der Landesregierung unbeachtet lassen
Untersagung der weiteren Auf¬
und aus eigener Macht der Polizeidirektion den Auftrag zur
führungen des „Reigen.
Einstellung der weiteren „Reigen“=Aufführungen geben
Staatskorrespondenz berichtet:
Die
Durch eine Verfügung der Regierung wurde die weitere
Aufführung des Bühnenwerkes „Reigen“ untersagt.
Stürmische Auftritte im
Hiezu wird amtlich mitgeteilt:
Bereits vor Zulassung der Aufführung des „Reigen“
Nationalrat.
durch den Magistrat Wien als politische Landesbehörde hat
Nach Erledigung der Tagesordnung der heutigen Sitzung
der Polizeipräsident den Bürgermeister von Wien
des Nationalrates wird eine dringliche Anfrage der Abgeord¬
auf die schweren Bedenken aufmerksam gemacht, die der
neten Leuthner und Genossen, betreffend das Verbot der
Aufführung dieses Bühnenwerkes entgegenstehen. Der Ma¬
Aufführung des „Reigen“ verhandelt.
gistrot erteilte jedoch nach Anhörung des Zensurbeirates
Leuthner erklärt, er wolle sich mit der künstlerischen
mit Bescheid vom 12. Jänner l. J. die Aufführungsbewilli¬
Seite gar nicht befassen, sondern sich nur auf die rechtliche
gung.
Seite der Angelegenheit beschränken. Die Verfügung stelle eine
Die nun erfolgten Aufführungen des Stückes gaben
schwere Kompetenzüberschreitung der Regierung dar, einen
zu lebhaften Erörterungen in der Öffentlichkeit Anlaß
Bruch der Verfassung, welche die Christlichsozialen= sich selbst
Hiebei sprach sich die weitaus überwiegende Mehrzahl der
gegeben haben und dies unternehme dieselbe Regierung, welche
öffentlichen Stimmen dahin aus, daß die Aufführung
an der Machtsphäre der Landeshauptleute nicht zu rühren wage.
nach ihrem Gesamteindrucke eine arge Ver¬
Redner richtet dann schwere Angriffe gegen den Minister des
letzungder Sittlichkeit bedeute. (?!) Kundgebungen
Innern Glanz.
aus der Bevölkerung und zahlreiche Artikel der Presse ver¬
Dieser ergreift hierauf das Wort und verliest eine Er¬
schiedener Richtung ließen erkennen, daß diese Vorführung
klärung, die sich im Wesen mit der Begründung der Verfügung
mit dem sittlichen Empfinden weiter Kreise der Wiener
des Verbotes deckt. Er wird wiederholt ven Zwischenrufen der
Bevölkerung in scharfem Gegensatze steht.
Sozialdemokraten und Gegenrufen der Christlichsozialen unter¬
Der Bundesminister für Inneres und Unterricht
richtete daher an den zunächst zur Beurteilung des Falles
Abg. Seitz macht gleichfalls wiederholte Zwischenrufe.
berufenen Bürgermeister von Wien die Einladung, zu der
Abg. Dr. Mataja ruft: „Der Präsident als Krawall¬
durch die öffentlichen Aufführungen gegebenen Sachlage
macher“.
Stellung zu nehmen. Der Bürgermeister erklärte jedoch
Laute Gegenrufe der Sozialdemokraten und ununter¬
daß er nicht in der Lage sei, seine erste Entscheidung
brochener Lärm.
abzuändern.
Minister Glanz kann sich in dem Lärm nur schwer
Aus Rücksichten der öffentlichen Sittlichkeit sah sich
verständlich machen.
nun die Bundesregierung veranlaßt, die weiteren Auf¬
Der Minister schließt mit der Erklärung, daß er die Beur¬
führungen des „Reigen“ zu untersagen. Sie glaubt sich
teilung seines Wirkens ruhig allen anständigen Menschen über¬
hiebei mit der öffentlichen Meinung, abgesehen von einem
lassen könne.
kleinen, für das Wiener Volksempfinden wohl nicht ma߬
Die letzten Worte werden auf Seite der Sozialdemokraten
gebenden Zuhörerkreise, in voller übereinstimmung zu
mit tosendem Lärm und lauten Pfuirufen, von den
befinden.
Christlichsozialen mit tosendem Beifall ausgenommen. Die
Sozialdemokraten sammeln sich vor der Ministerbank.
Es ist sonnenklar, daß es sich hier nicht um eine Frage
Abg. Witternigg und Abg. Zelenka schlagen mit
um
literarischen Sittlichkeit, sondern
110
der Faust auf die Bank des Ministers Glanz. Es kommt vor
Machtprobe handelt. Die klerikale Meute hat
der Ministerbank zu einem Gedränge.
eine ihr von Herrn Arthur Schnitzler sehr bedauerlicherweise
gebatene Gelegenheit benützt, um die ihr verhaßte Freiheit
Eine Rauferei.
des Wortes bei einer empfindlichen Stelle zu packen. Die Her#en
Die Christlichsozialen und Sozialdemokraten drängen
Dr. Funder und Piffl verbieten aus wohlverstandenem Partei¬
sich in dem kleinen Raum durcheinander. Plötzlich sieht
interesse die Aufführung eines Stückes und die Regierung
man, wie Abg. Sever einen Schlag ins Gesicht
heeilt sich diensteifrig, den Befehl zu vollstrecken.
erhält. Die Sozialdemokraten stürmen gegen die Christlich¬
Man weiß, wie wir über die Aufführung denken. Es
sozialen. Die Ordner schließen eine Kette und es gelingt
wäre gut gewesen, wenn man sie unterlassen hätte. Das hin¬
ihnen mit schwerer Mühe, selbst raufend, nach allen Seiten
dert nicht, daß der dreiste Versuch, die künstlerische Freiheit
Püffe austeilend, weitere Tätlichkeiten zu verhindern. Die
einzuschränken, mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden
Sozialdemokraten rufen dem Minister Glanz zu: „Hinaus
muß, ein so arger Unfug es auch war, daß Herr Schnitzler
mit ihm! Hinaus! Lumv! Er muß fort!“
und seine geschäftstüchtigen Berater der rückschrittlichen Meute
Abg. Sever: Wo ist der Kerl? Ich werde mir ihn
einen so geeigneten Vorwand dargebracht haben.
rausholen und ihm eine 'runterhauen. Sever wurde von
einen eigenen Parteigenossen gehindert, sich auf den Abgeord¬
neten Pischitz zu stürzen.
Der Bürgermeister nimmt das Verbot nicht
Die Christlichsozialen erwidern mit Gegenrufen. Der
zur Kenntnis.
Lärm dauert ununterbrochen an.
Heute vormittag hat der Bürgermeister einen Erlaß
Dr. Weiskirchner gibt verzweifelt ununterbrochen
des Ministers des Innern erhalten, in dem mitgeteilt
Glockenzeichen, kann sich jedoch nicht Gehör verschaffen.
wird, daß auf Grund des § 5 der Theaterverordnung
Schließlich erteilt er im Lärm dem Abgeordneten Volker
vom Jahre 1850 die weitere Aufführung des
(christlichsozial) das Wort. Die ersten Worte Volkers gehen
„Reigens“ verboten sei. Der Bürgermeister hat in seiner
natürlich in dem Tohen verloren. Man hört nur, wie
Antwort darauf verwiesen, daß dieser Erlaß den Be¬
Volker, der furchtbar aufgeregt tut, von der bedrohten Sitt¬
stimmungen der bezogenen Verordnung und der ein¬
lichkeit spricht und den Bürgermeister dafür verantwortlich
schlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht entspreche und
nacht, daß er die Aufführung zugelassen habe. Es kommt zu
daher von ihm nicht zur Kenntnis ge¬
Zwischenrufen der Sozialdemokraten. Die Christlichsozialen
nommen werde.
Rede des Abg. Seitz.
Die Polizeidirektion, die von der Landesregierung die
Sodann spricht Abg. Seitz. Der Lärm legt uch etwas,
Weisung zur Durchführung des Verbotes zu erhalten hätte,
so daß Seitz sich verständlich machen kann. Er erklärt, die
ist natürlich infolge der widersprechenden Haltung des Bür¬
sei ein schwerer politischer Fehler der christlich¬
Angelegenheit
germeisters von dem Verbot bisher nicht verständigt worden.
—
V
sozialen Partei. Man könne heute
nicht mehr so regieren wie frühe
eine Regierung von Ang
lingen
die Geschäfte führe.
Seitz wird natürlich von de
Großdeutschen, unter denen sich bes
vortut, unterbrochen, doch weiß er
Er wendet sich nun an den
und zitternd, in sich zusammengest
sitzt, und erklärt, daß es so habe
einen jungen, wenn auch strebsame
den Präsidialbureaus gesessen sei,
Seitzterwidert auf die Schlu
er seine Handlungsweise dem Ur
überlasse und rügt diese Wo
hörigkeit. Dr. Glanz gibt na
Zeichen und Handbewegungen zu
merkung nicht so gemeint habe, mach
versuch, aber Seitz wiederholt Herrn
sagt dann
„Der größte Teil der Ausführ
mit seinen ästhetischen Ansichten er
essieren uns, sagt Seitz, gar nicht.“
Seiß betont, daß der Lande
Erkaubnis, den „Reigen“ aufzuführ
Zensürbeirates, der die Auf
gestützt habe. Et wolle absolut nich
Aufführungen denke. Zwischenrufe
„Das wäre aber interessant.“
Seitz erwidert, wenn einer
Meinung haben wolle, so werde er
sonst wie mitteilen. Hier sei diese
Die Arbeiter und die Schichte
vertreten, seien in ihrer Sittlich
führungen durchaus nicht betro
nicht, weil sie infolge d
Preise nicht hineingehe
An dieser Stelle rufen die
„Aber die Juden!“ worauf Seit
wolle keine Kontrolle anstellen, 1
sucht, er kenne diese christlichsozial
lüsternen Blick, was natürlich
Heiterkeit, bei den Christlichsozic
hervorruft.
Seitz erklärt schließlich, der
Autonomie der sozialdemokratischen
geschützt werden.
Wenn die Christlich
neter Gewalt vorgehen
Sozialdemokraten
neten Widerstand
(Großer Lärm.)
Seitz schließt seine Rede, ind
Glanz nicht auf seinen Posten passe
präsidenten Dr. Dinghofer der
verlangtseinen Ordnungsruf für
demokraten beleidigt habe. Diese
erteilt.
Bei Schluß der Sitzung ersch
und reicht dem Dr. Glanz die H#
Es kommt noch zu Schimpfe
Christlichsozialen zeigen sich besond
Unter den Christlichsozialen h
hervorgetan, der seine Parteigeno
Sozialdemokraten loszugehen.
*
Es ist ungemein traurig,
diesem Anlaß so aufeinanderpl
es der christlichsozialen Regierung
als um eine Machtprobe zu tun
den muß.
Warum hat man sich nicht
des Fleischwuchers geprügelt? War
Österreich nur wegen ihrer ponte
eingesperrt wurden?