II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 438


heute vormittag dem Bürgermeister Reumann in
seiner Eigenschaft als Landeshauptmann über¬
mittelt. Von dort erst kann es an die Polizei gelangen,
die dann dem Befehle Folge leisten wird.
Die Entscheidung der Bundesregierung.
Amtlich wird mitgeteilt: Bereits vor Zulassung
der Aufführung des „Reigen“ durch den Magistrat
Wien als politische Landesbehörde hat der Polizei¬
präsident den Bürgermeister von Wien auf die schweren
Bedenken aufmerksam gemacht, die der Aufführung des
Stückes entgegenstehen. Der Magistrat erteilte jedoch
nach Anhörung des Zensurbeirates mit Bescheid vom
12. Jänner die Aufführungsbewilligung. Die nun er¬
folgten Aufführungen des Stückes gaben zu lebhaften
rörterungen in der Oeffentlichkeit Anlaß. Hiebei sprach
ich die weitaus überwiegende Mehrzahl der öffentlichen
Stimmen dahin aus, daß die Aufführung nach ihrem Ge¬
amteindruck eine arge Verletzung der Sittlichkeit bedeute
Kundgebungen aus der Bevölkerung und zahlreiche
Artikel der Presse verschiedener Richtung ließen erkennen
daß diese Vorführung mit dem sittlichen Empfinden
weiter Kreise der Wiener Bevölkerung in scharfem
Gegensatz steht. Der Bundesminister für Inneres und
Unterricht richtete daher an den zunächst zur Beurteilung
des Falles berufenen Bürgermeister von Wien die Ein¬
ladung, zu der durch die öffentlichen Aufführungen
gegebenen Sachlage Stellung zu nehmen. Der Bürger¬
meister erklärte jedoch, daß er nicht in der Lage sei, seine
erste Entscheidung abzuändern. Aus Rücksichten der
öffentlichen Sittlichkeit sah sich nun die Bundesregierung
veranlaßt, die weiteren Aufführungen des
„Reigen“ zu untersagen. Sie glaubt sich hiebei
mit der öffentlichen Meinung, abgesehen von einem
kleinen für das Wiener Volksempfinden wohl nicht ma߬
gebenden Zuhörerkreise, in voller Uebereinstimmung zu
befinden.
Der Bürgermeister nimmt das Verbot nicht zur Kenntuls.
Aus dem Rathause wird uns gemeldet: In einer
Sitzung, die heute beim Bürgermeister Reumann
in Anwesenheit der amtsführenden Stadträte stattfand,
kam auch die Angelegenheit der Aufführung von
Schnitzlers „Reigen zur Sprache. Während der Be¬
ratungen erschien Polizeipräsident Schober im Rat¬
hause, der mit Vizebürgermeister Emmerling und
dann mit dem Bürgermeister konferierte. Wie wir er¬
fahren, steht der Bürgermeister als Landeshauptmann
auf dem Standpunkt, daß es sein ausschlie߬
liches Recht ist, die Aufführung von
Theaterstücken zu gestatten oder zu ver¬
bieten und daß er sich dieses Recht von
keiner Seite schmälern lassen wolle.
Weiter wird uns aus dem Rathause mitgeteilt
Der Bürgermeister hat heute vormittag einen Erlaß des
Ministers des Innern erhalten, in dem mitgeteilt wird,
daß auf Grund des § 5 der Theaterordnung vom
de
Jahre 1850 die weitere Aufführung
„Reigen“ verboten ist. Der Bürgermeister
hat in seiner Antwort darauf verwiesen, daß dieser
Erlaß den Bestimmungen der bezogenen Verordnung
und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht
entspricht und daher von ihm nicht zur Kenntnis
genommen werden kann.
Eine dringliche Anfrage wegen des Verbotes der „Reigen“.
aufführungen.
Im Laufe der Sitzung war im Nationalrat die
Verfügung des Ministeriums des Innern bekannt¬
geworden, durch welche die Aufführungen
Die
Schnitzlerschen „Reigen" verboten wurden.
noch
sozialdemokratische Partei beschloß,
während der Sitzung eine dringliche Anfrage zu ver¬
fassen, welche der Abgeordnete Leuthner über¬
nahm Wenige Minuten vor Schluß der Sitzung über¬
reichten die Sozialdemokraten diese Anfrage, die
ofort in Verhandlung gezogen werden mußte.
Minister Dr. Glanz wurde in das Haus gerufen,
und bei Schluß des Blattes beginnt Abgeordneter
Leuthner die dringliche Anfrage:
Er erklärt: Ich frage nicht, was der „Reigen“ ist Wir
wollen nur die rechtliche Seite der Angelegenheit untersuchen.
Nach dem Bundesverfassungsgesetz hat der Landeshauptmann,
dan ist der Bürgermeister von Wien, die Entscheihung. Wenn

Bundesverfassung in Widerspruch. Das ist dieselbe Regierung
die allen Landeshauptleuten gegenüber vollständige Tatlosigkei
übt. Es ist derselbe Herr Glanz, der es überhaupt nicht wag
in die Verfügungen der andern Landeshauptleute sich ein
zumengen. Redner greift den Bundesminister Dr. Glanz y
der heftigsten Weise an und bezeichnet ihn als einen Lakaie:
der christlichsozialen Partei. Redner spricht fort.
Erwiderung des Ministers Glanz.
Nach dem Abg. Leuthner ergreift Minister Glanz da
Wort. Der Inhalt seiner Rede deckt sich mit der an andre
Stelle wiedergegebenen amtlichen Mitteilung. Während de
Ausführungen des Ministers kommt es zu heftigen un
lärmenden Auseinandersetzungen zwischen de
christlichsozialen und sozialdemokratischen Partei. Die Ab
geordneten stehen gedrängt vor der Ministrbank. Unmittelba
or dem Minister steht auch Präsident Seitz, der sich eben
alls an den Zwischenrufen beteiligt. Abg. Mataja ruft
„Der Herr Präsident als Krawallmacher!“
Der Minister schloß mit der Bemerkung, daß alle an
ständigen Menschen das Urteil über diese Ver
anstaltung teilen werden. Minutenlanges Toben be
den Sozialdemokraten wurde durch diese Worte ausgelöst.
Ein Handgemenge.
Die sozialdemokratischen Abgeordneten Witternig un
Zelenka dringen auf den Minister ein. Die christ
lichsozialen Abgeordneten wersen sich dazwischen. Es kommt
zu einem Handgemenge.
Die Ordner suchen die streitenden Gruppen auseinander¬
zureißen. Dabei erhält der Abg. Sever einen Stoß i
das Gesicht.
Das Tosen und die gegenseitigen Beschimpfungen dauern
minntenlang an.
Präsident Weiskirchner läutet unausgesetzt und ver¬
sucht vergebens, die Ruhe herzustellen. Er ruft eine Reihe von
Abgeordneten zur Ordnung. Erst als der sozialdemokratische
Abgeordnete Volker das Wort ergreift, tritt allmählich
Ruhe ein.
Die „Arbeiter-Zeitung“ über den „Reigen“=Konflikt.
Die „Arbeiterzeitung“ erörtert die politische Seite der
Verfügung des Bundesministeriums für Inneres und bezieht
ich in ihrem heutigen Artikel auf das Schreiben des Ministers
an den Bürgermeister als Landeshauptmann von Wien als
Bundesland, in dem es heißt: „Der Minister glaube, da sich
n der Oeffentlichkeit die Stimmen gegen die
Aufführung mehren, nahelegen zu müssen, dieser Auf¬
assung, die abgesehen von einem kleinen, für das
Wiener Volksempfinden gewiß nicht ma߬
gebenden Zuhörerkreis, wohl eine einmütige
st, durch Untersagen der weiteren Aufführung
Rechnung tragen zu wollen. Das sozialdemokratische Blatt
bemerkt hiezu: „Da Herr Glanz den Bürgermeister bittet, ihm
über die sodann getroffene Verfügung baldmöglichst eine Mit¬
teilung zukommen zu lassen, so hat, wie wir zu wissen glauben,
der Bürgermeister mit der „Mitteilung“ nicht gezögert und
Herrn Glanz wissen lassen, er habe keinen Anlaß, von
der einmal und nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände
getroffenen Verfügung abzugehen, werde eine neue und
andre Verfügung auch nicht treffen. Womit die
Sache eben zum zweitenmal erledigt ist.“
Bei Erwägung der Frage nach dem künstlerischen Werte
des „Reigen“ schreibt die „Arbeiterzeitung“, daß sie der Forde¬
rung, die Zulassung zu den Aufführungen des „Reigen“ von
einem bestimmten Alter abhängig zu machen, keineswegs
widersprechen würde.
Direktor Bernau hat bis heute mittag keine amtliche
Mitteilung betreffend die weiteren „Reigen“=Aufführungen
in den Kammerspielen bekommen. Das Stück bleibt
sonach angesetzt.
Die Aufführungen des „Reigen“ im Deutschen Reiche“.
Schnitzlers „Reigen“, der vom Dichter ursprünglich nicht
ür die Aufführung im Theater bestimmt war, wurde in den
Kammerspielen seit 1. d. täglich bei ausverkauftem Hause ge¬
geben. Morgen und Sonntag hätte das Stück außer in der
Abend= auch in der Nachtvorstellung wiederholt werden sollen.
Bis Montag waren alle Vorstellungen ausverkauft
Gegenwärtig wird der „Reigen“ noch in Berlin aufgeführt. Die
Vorstellungen in München wurden, wie erinnerlich, Anfang
dieser Woche von der Polizei verboten.
p