II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 442

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11. Reigen
Wien, Freitag
Neue Freie Presse.
da zur Ausübung der Theaterzensur in
Inzwischen hatte der Abg. Volker (christlichsozial) das
Landeshauptmann von Wien befugt ist. Wort ergriffen, um den Standpunkt seiner Partei, welche das
daß der Regierung das Diktat
der
Vorgehen des Ministers gutheiße, zu vertreten. Es herrscht aber
ls die Bestimmungen der Verfassung.
Es
noch immer ein solcher Lärm, daß das Wort Volkers im
ob der Bundesminister für nneres
den
Saale fast unverständlich blieb. Der Lärm legte sich erst, als der
ß über das Verbot der Aufführung des
letzte Redner in dieser Debatte, Abg. Sein, das Wort ergriff.
uck ziehen wolle.“
Abg. Seitz erklärt, das heutige Vorkommnis sei eine Folge
Dringlichkeitsantrages Leuthner zeigte
des mangelnden Mutes der Christlichsozialen,
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große Unruhe. Die Abgeorhneten der
Ministerposten durch Parteimänner zu ersetzen. So habe man
sammelten sich in dem Halbrund vor
einen strebsamen jungen Mann, der in den Präsidailbureaux ge¬
ziemlicher Unruhe begann Abgeord¬
dient hat, aber die Eignung zum Minister nicht besitzt, auf diesen
Dringlichkeitsantrag zu begründen. Er
Posten gestellt, und dieser müsse nun alles tun, wofür sie die
ht in eine Erorierung über ästhelische
Verantwortung nicht übernehmen wollen. Es handle sich hier nicht
glasse und gar nicht fragen wolle, was
um den „Reigen“, sondern um die Tatsache, daß der Landes¬
und ethisch bedeutet. Der Schwerpunkt
hauptmann eine verfassungsmäßige Entscheidung getroffen hat,
die sich auf das Votum des zuständigen Zensurbeirates stützt.
inister des Innern einen schweren
Gegen diese Entscheidung könnte nur die betreffende Partei
ch begangen habe, indem er ein Verbot
den Rekurs an das Ministerium des Innern ergreifen. Das
rlassung ausschließlich der Landeshaupt¬
Ministerium des Innern hat aber kein Recht, einzu¬
n ist. Abgeordneter Leuthner sprach in
greifen. Wenn es sich auf die Verordnung vom Jahre 1850
Weise, was zahlreiche Zwischenruse von
stützt, die ein solches Einschreiten ermöglichen würde, so hätte sie
r Folge hatte.
auf keinen Fall direkt mit einer Unterbehörde
rte an, als auch unmittelbar nach ihm
zu verkehren gehabt. Die Sache habe eine viel weiter¬
mDr. Glanz sich erhob, um auf die
gehende politische Bedeutung. Die christlichsoziale Regierung
Die Ausführungen des Dr. Glanz decken
wolle diesen nebensächlichen Anlaß benützen, um in die
dem amtlichen Communiqué über die
Machtsphäre des Landeshauptmannes von
Is Minister Dr. Glanz betonte, daß sich
Wien einzugreifen, damit sie sich später in ernsteren
en gegen die Aufführung
Fällen auf dieses Präjudiz berufen könne.
n“ geäußert haben, ertönte der Ruf:
Die Partei des Redners müsse gegen einen solchen Ver¬
haben Sie solche Stimmen gelesen?
der „Reichspost“ und in den „Wiener
nicht, wie sich der Landeshauptmann Reumann gegenüber diesem
lesen.“ Minister Dr. Glanz: In ver¬
Verbot verhalten werde. Aber das wisse er, wenn man ein Nicht¬
essentlichkeit hat sich ein lebhafter Unmut
befolgen des Verbotes mit Gewalt oder gar mit Waffengewalt
geltend gemacht, der sich bis zur Ent¬
durchsetzen wollte, so würde die Arbeiterschaft ihre
bg. Seitz: „Woher wissen Sie das ?
ganze Kraft aufbieten, um einem solchen Verbot mit
stwas gehört?“ Abg. Mataja: „Der
Gewalt entgegenzutreten. Dem Dr. Glanz lege er nahe, einen
hallmacher.“ M.nister Dr. Glanz fähr in
Posten zu verlassen, für den er durchaus nicht die
Eignung besitze.
Er müsse sich in schärfster Weise dagegen wenden, daß dieser
fn.
junge Mann es wage, sein Urteil, das von einer großen Partei
ge¬
te große Unruhr. Die
dieses Hauses als unrichtig erkannt wird, durch Berufung auf
er und Widholz riesen wiederholt:
das Urteil aller anständigen Leute zu stützen. Das sei eine grobe
über die V.rfassungsftage, J.re Un¬
Verletzung nicht nur des parlamentarischen Anstandes, sondern
nteressieren uns nicht.“ Minister
aller Sitten, die ein Minister gegenüber einer Partei des Hauses
gumeite belämpfen will, mu
zu beobachten hat.
Minister sprach weiter über die Ten¬
Präsident Dinghofer erteilte Seitz wegen seiner Aeuße¬
igen“ und führte aus, daß in #esem
rungen gegen Minister Glanz den Ordnungsruf. Von
Bühne gebracht werden, die auch bei
sozialdemokratischer Seite ertönen stürmische Rufe: „Warum
Völkern gewöhnlich mit einer ge¬
rufen Sie den Glanz nicht zur Ordnung? Er hat die ganze
delt werden.“bg. Witternig:
Partei beleidigt. Er muß zur Ordnung gerufen werden.“
eine Rezension für die „Wiener
er Zelenka: „Reden Sie über den
Tie antliche Mitteilung über das Verbot.
Die „Staatskorrespondenz“ schreibt: Durch eine Ver¬
ende Handae enge.
fügung der Regierung wurde die weitere Auf¬
Ausführungen bemerkte der Minister,
führung des Bühnenwerkes „Reigen“
lung seines Vorgehens allen anständigen
untersagt.
Worte entfesselten einen neuerlichen
Hiezu wird amtlich mitgeteilt:
zialdemokraten. Die Abgeord¬
Bereits vor Zulassung der Aufführung des „Reigen“
ternig drängen zur Minister¬
mit den Fäusten auf den Tisch
durch den Magistrat Wien als politiche Landesbehörde
Andere Abgeordnete eilen ebenfalls,
hat der Polizeipräsident den Bürgermeister von Wien auf
den Platz Dr. Glanz' zu und rufen
die schweren Bedenken aufmerksam gemacht, die der Auf¬
rhm—bas-ist eine Beleidigung, das
führung dieses Bühnenwertes entgegennehen.
Der
llen!“ Man hat den Eindruck, als ob die
Drs
Magistrat erteilte jedoch nach Anhörung
kordneten Dr. Glanz mit Gewalt
Zensurbeirates mit Bescheid vom 12. Januar 1921
egdrängen wollen, namentlich die
die Aufführungsbewilligung.
d Witternig zeigen sich sehr erregt.
Die nun erfolgten Aufführungen des Stückes gaben
ck versuchen die christlichsozialen, die auf
es standen, vorzudringen, um Dr. Glanz
zu lebhaften Erörterungen in der O ffentlichkeit Anlaß.
chützen. Es kam in der Mitte des
u
Hiebei sprach sich die weitaus überwiegende Meyrzahl der
ichsozialen und Sozialdemokraten zu
öffentlichen Stimmen dahin aus, daß die Aufführung nach
oß, indem die Parteien gegeneinander
hrem Gesamteindrucke eine arge Verletzung der Sittlich¬
ldemokraten ununterbrochen gegen den
keit bedeute. Kundgedungen aus der Bevölkerung und
Hinaus mit ihm!“
zahlreiche Artikel der Presse verschiedener Richtung ließen
in dem Drängen, wie die Faust
erlennen, daß diese Vorführung mit dem
Pischitz den Kopf des
ittlichen Empfinden weiter Kreise
ever traf, nicht absichtlich, um
der Wiener Bevölkerung in scharfem
n in dem allgemeinen Hii= und Hei¬
Gegensatze steht.
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um ihn steyende Freunde, die an
Der Bundesminister für Inneres und
Schlag glaubten, drängten
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11. Februar 1921
Nr. 20279
bewilligung berechtigt ist, fehlt, wie man sieht, vollständig.
Aus der Bestimmung des § 3, die die Aufführungs¬
bewilligung der Kompetenz des Statthalters überweist,
mußte naturlich gefolgert werden, daß die Statthalierei,
unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Landes¬
regierung, allein befugt ist, ihre Bewilligung zu
reassumieren. Dies um so mehr, als § 7 derselben Ver¬
ordnung ausdrücklich dem Theaterunternehmer das Recht
des Rekurses gegen die Entscheidung des Statthalters an
den Minister des Innern zubilligt, insofern sie ein Auf¬
führungsverbot beinhalte. Von einem Recht auf einen
Rekurs gegen eine die Aufführung zulassende Entscheidung
ist nirgends die Rede.
Besprechungen im Rathaus.
Beim Bürgermeister fand heute eine Sitzung statt, an
der die geschäftsführenden Stadträte teilgenommen haben.
Es wurd#e den Vertretern der Presse folgende Mitteilung ge¬
macht: „Der Bürgermeister in seiner Eigenschaft als Chef
der niederösterreichischen Landesregierung erklärt es als sein
ausschließliches Recht, die Aufführungen von Theaterstücken
zu gestatten oder zu verbieten. Er wird sich dieses Recht von
niemandem nehmen lassen.“
Während der Sitzung erschien Polizeipräsident
Schober im Rathause; er konferierte zunächst mit Vi
bürgermeister Emmerling, dann mit Bürgermeister
Reumann, bei dem er länger als eine halbe Stunde ver¬
weilte.
Die Stellung der Polizei.
Der Polizei ist nach der „Aktenlage“ und dem Kom¬
petenzkreise bis mittag keine amtliche Nachricht von dem
Verbot durch die Bundesregierung zugekommen und sie hal
daher ihrerseits keine Veranlassung zu einer Verfügung.
ist deshalb auch kein Aufführungsverbot an
die Kammerspiele ergangen. Solange die Landes¬
regierung ihre Haltung nicht ändert, könnten für die Polizei
nur Vorgänge auf der Straße und im Theater selbst maß
gebend werden für ein aktives Eingreifen.
Aeußerungen ##irektor Vernaus.
Direktor Bernau äußerte sich einem unserer Mit¬
arbeiter gegenüber:
Ich habe bisher kein Verbot der weiteren Aufführungen
von Artur Schnitzlers „Reigen“ erhalten. Ich kümmere mich
nicht um die Nachrichten und um die Vorgänge
hinter den politischen Kulissen und erwarte von der
maßgebenden Behörde, daß sie ein von ihr
zur
Aufführung freigegebenes Stück, das ihre Beamten
in
einer Generalprobe geprüft haben, mit dem Aufgebote aller
Mittel schützen wird. Meine Gründe für die Aufführung des
Schnitzlerschen Werkes sind bekannt. Ich halte den „Reigen“
auf eine ausführliche künstlerische Würdigung des Stückes
kann ich mich jetzt nicht einlassen — für ein sittliches, überaus
wertvolles Kunstwerk. Man kann mir nicht nachsagen, daß
ich das Werk einzig aus Geschäftsinteresse zur Aufführung
bringe. Ich kann beweisen, daß ich mehr als hundert Stücke,
in denen Cochonerien enthalten sind, glatt abgelehnt habe,
aber auch wirkungsvolle Stücke politischen Inhaltes zurück¬
weise. Erst kürzlich habe ich ein dramatisches Werk von
ausgezeichneten Qualitäten, weil es Angriffe auf die Re¬
gierung enthält, nicht zur Aufführung gebracht. Der „Reigen“
wird weiter zur Aufführung gelangen und ich erwarte zu¬
versichtlich von der Behörde den Schutz der Vorstellungen.
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