II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 447

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11. Reigen
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1, Samstag den 12. Februar 1921
3. Jahrgang
„Reigen“-Krawalle
Parlament und
Kalhaus.
G
Neumann gestattet die Aufführung, der Minister Glanz verbietet sie. — Die
Polizei schützt das Gesetz. — Lärm und Ohrfeigen im Parlament. — Tumult
im Gemeinderat.
Den öffentlichen Aufführungen des „Reigen“ war,
die Freizügigkeitserlässe des Herrn Sever gegen die
wie gemeldet, eine Probe für die Zensur vorausgegangen.
Flüchtlinge) für das bedrohte Gesetz aufzutreten. Sie
Da sich hiebei kein Grund ergeben hatte, die Vorstellung
schlugen also im Parlament Lärm, die Christlichsozialen
zu verbieten, hatte Bürgermeister Reumann in
replizielten mit „Jud! Jud! Jud!“, Herr Sever er¬
seiner Eigenschaft als Landeshauptmann den „Reigen“
hielt eine Ohrfeige, man trommelte mit Pultdeckeln,
für die Kammerspiele freigegeben. Einer Vorstellung
Fäusten, Aktenstößen. Im Gemeinderat dasselbe Schau¬
wohnte nun eine christlichsoziale Gräfin bei. Sie nahm
spiel. Und am Abend stand die Polizei vor und im
das ihrer Weltanschauung entsprechende Aergernis und
Theater und schützte das Gesetz. Allen ist geholfen. Der
bearbeitete die gesinnungsverwandte Presse so lange. bis
Theaterdirektor hat eine prachtvolle Reklame, die ihn
die „Reichspost“ offen mit Ruhestörungen drohte. Ein
keinen Heller kostet, bis Montag sind alle Karten ver¬
paar junge Mitglieder der Orel=Partei fühlten sich ver¬
griffen, Christlichsoziale und Sozjaldemokraten steyen
anlaßt, die Moral zu retten. Sie hatten, wie sie selbst
vor ihrer Wählerschaft als verfluchte Kerle da. So ist
bei der Polizei angaben, das Stück nicht gesehen, nicht
der Reigen geschlossen.
gelesen, aber da es die Partei so wollte, versuchten sie
im Theater Lärm zu machen, wurden aber verhaftet.
Unsere Ansicht über die Bühnenaufführung des
Jetzt war für die Christlichsozialen der Moment
„Reigen“ haben wir bereits nach der Premiere in den
gegeben, offiziell, parteiamtlich aufzutreten und aus der
Kammerspielen unzweideutig zum Ausdruck gebracht.
Geschichte so viel Kapital zu schlagen als nur möglich.
Schnitzler hat diese Dialogreihe nicht für die Bühne ge¬
Sie haben ja in der letzten Zeit viel Pech gehabt. West¬
schrieben, hat sich durch lange Jahre gegen die In¬
ungarn kriegen sie von Horthy nicht, mit dem Anschluß
szenesetzung des „Reigen“ gewehrt, ja, eine im Jahre
kann man nichts machen, in Paris hat ihre glotreiche
1919 veranstaltete Aufführung im letzten. Augenblick
Regierung keinen Erfolg gehabt. Also her mit den
inhibiert. Wir haben mit Bedauern festgestellt, daß der
Juden! Das hat noch immer genützt. Die Regierung
Dichter sich selbst untreu geworden ist, wenn er jetzt
fürchtete sich zuerst, grob aufzutreten, und der Minister
die Bühnenaufführung kuldet, und halten die von
Glanz schrieb an den Polizeipräsidenten Schober einen
Schnitzler so lange Zeit geäußerte und bewiesene Ueber¬
Brief, er möge doch so gut sein und den „Reigen“ ein¬
zeugung aufrcht, daß die Inszenierung dieser Dialoge
stellen. Herr Schober wollte nicht, denn das Gesetz
unkünstlerisch, ja geschmacklos ist. Auch die Art, wie der
spricht da zu deutlich. Also mußte der Kabinettsrat, da
„Reigen“=Rummel begann, war uns nicht gerade som¬
die „Reichspost“ und die übrigen Blättlein, die das
pathisch. Für eine Sensationsmache mit Tausendkronen¬
„Fensterln“ auf dem flachen Land als gemütstiese
sitzen haben, wir nichts übrig. Auch für das Publikum
Aeußerung rustikalen Wesens lieben und den Operetten¬
nicht, das sich lüstern um die teuren Plätze balgte.
schund als höchste Blüte „weanerischen Hamurs“ ver¬
Deshalb ist aber der christlichsoziale Feldzug gegen
ehren, eine Sitzung halten und den „Reigen“ ver¬
den „Reigen“ nicht minder verlogen und lächerlich. Die¬
dammen. Wenn man schon kein Geld hat und der
selben Herren, welche gegen die Verderbung des Wiener
Finanzminister von einem 42=Milliarden=Defizit erzählt,
Kunstgeschmacks durch die Operettenseuche nichts einzu¬
dann will man doch wenigstens die Sittlichkeit retten.
wenden hatten, laufen jetzt gegen eine Aufführung